Anschlag auf Synagoge

Antisemit und selbsterklärter »Verlierer«

Rechtsterrorist Stephan B. wird von Polizisten abgeführt. Foto: dpa

Anschlag auf Synagoge

Antisemit und selbsterklärter »Verlierer«

In dem Video des Attentäters wimmelt es vor antisemitischen Begriffen. Eine Analyse

von Jan Ludwig  10.10.2019 19:04 Uhr

Einer der ersten Sätze, mit denen sich der Rechtsterrorist Stephan B. der Weltöffentlichkeit vorstellt, lautet: »Scheiß drauf.« Es ist ein verstörendes, grausames Video, das der Tatverdächtige von Halle live im Internet übertrug. Aber es ist – so wird man es auch sehen müssen – ebenso ein Dokument seines umfassenden Scheiterns.

Erst kann B. seine Helmkamera nicht bedienen, dann schafft er es nicht, die Tür der Synagoge aufzubrechen. Seine Waffen haben Ladehemmung, immer wieder flucht er, sagt »Verkackt«, »Fuck«, »Scheiße«, »Mist«. Er nennt sich einen »Versager«, einen »kompletten Verlierer«. Wer ist der Mann, der in Halle zwei Menschen ermordet und mehrere verletzt hat?

BIOGRAFIE B. wird 1992 geboren. In der Nähe der Lutherstadt Eisleben, keine Stunde vom Ort des Anschlags entfernt, wächst er auf. Früher wurde in dieser Gegend in Sachsen-Anhalt Kupfer abgebaut. Heute leiden die Gemeinden unter einer der höchsten Arbeitslosenraten in Deutschland.

Sein Vater sagte der »Bild«-Zeitung, sein Sohn sei ein Eigenbrötler: »Er war weder mit sich noch mit der Welt im Reinen, gab immer allen anderen die Schuld.« »Bild« berichtet, B. habe in Halle Chemie studiert, aber nach zwei Semestern abgebrochen. Zuletzt habe er als Rundfunktechniker gearbeitet.

B. spricht etwa von einer »zionistisch besetzten Regierung« – ein klassischer judenfeindlicher Begriff aus der rechtsextremen Szene.

Von Verstößen gegen das Gesetz wussten die Behörden bis jetzt nichts, weder in seiner Jugend noch als Erwachsener. Kein Eintrag als Rechtsextremist, kein Ladendiebstahl, nichts. Bis B. loszog, um massenhaft Juden zu ermorden, scheint er der Polizei nie aufgefallen zu sein. Kann niemand bemerkt haben, woran er wohl seit Monaten arbeitete?

Mit vier Kilo Sprengstoff, mit selbstgebastelten Maschinenpistolen und Schrotflinten fuhr B. am Mittwoch zum Ziel seines Anschlags. Monatelang muss er an seinen Waffen und den Bomben gebastelt haben.

WELTBILD So zusammengewürfelt wie sein Waffenarsenal ist auch B.s Weltbild. In einem elf Seiten langen »Manifest«, das er vor der Tat veröffentlichte, legt er seine Gedanken dar – auf Englisch, um möglichst viel Verbreitung zu erlangen. Der Text liest sich stellenweise wie die Anleitung zu einem Computerspiel, lakonisch-lapidar geht es um »Ziele«, »Ergebnisse«, »Bonus«. Gemeint ist: Massenmord.

In dem Dokument wimmelt es von antisemitischen Begriffen. B. spricht etwa von einer »zionistisch besetzten Regierung« – ein klassischer judenfeindlicher Begriff aus der rechtsextremen Szene. Eigentlich habe er zunächst eine Moschee oder ein Antifa-Zentrum attackieren wollen, schreibt B., habe sich aber dann entschieden, doch lieber so viele Juden wie möglich zu töten.

Er leugnet den Holocaust, wütet gegen den Feminismus – und bezeichnet »den Juden« als Wurzel allen Übels.

An traditionelle rechtsextreme Zirkel muss einer wie B. gar keinen Anschluss haben, erklärt Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. »Das ist in Zeiten des Internets gar nicht mehr nötig«: Die Extremisten holten sich aus dem Netz, »was ihnen in den Kram passt«.

JUDEN Im Video seiner Tat nennt sich B. »Anon«. Er leugnet den Holocaust, wütet gegen den Feminismus – und bezeichnet »den Juden« als Wurzel allen Übels. Im Hintergrund läuft kein Rechtsrock, wie man ihn von Neonazi-Festivals kennt. B. hört Musik aus japanischen Zeichentrickserien. Die sogenannten Animes, »teils auch pornografisch, sind sehr geläufig in dieser antifeministischen Online-Kultur«, sagt der Terrorismusexperte Peter R. Neumann. Die Ausdrucksweise von B. zeige, dass er recht intensiv in einer rechten Internetszene unterwegs gewesen sein müsse, in Message-Foren, 4chan und 8chan. Es sind anarchische Foren, auch bei Rassisten beliebt.

Auffällig ist, wie gut B.s geschriebenes Englisch ist – und wie miserabel sein gesprochenes in dem Video. Es deutet darauf hin, dass er sich all die Formulierungen, vor allem die Szene-Ausdrücke, in einigen Internetforen angeeignet hat. »Viele der jungen Männer, die dort unterwegs sind, bezeichnen sich selbst als Loser, weil sie keine Frau abbekommen haben oder weil sie im Leben nicht erfolgreich sind«, erklärt Neumann.

Die Reaktionen auf seine Tat in einschlägigen Foren sei jedoch gemischt, sagt die Extremismus-Expertin Julia Ebner: »Während ihn einige glorifizieren und ihm applaudieren, stellen ihn andere als Dilettanten dar.«

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

München

Bayern gibt NS-Raubkunst an Erben von Ernst Magnus zurück

Nach Jahrzehnten geht ein Renaissance-Gemälde an die Erben des jüdischen Bankiers. Warum die Entscheidung erst jetzt fiel und was das Bild mit NS-Verbrecher Hermann Göring zu tun hat

 12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Niedersachsen

Moscheen in Hannover mit »Israel«-Schriftzügen besprüht

Unbekannte haben »Israel«-Schriftzüge auf mehrere Moscheen in Hannover geschmiert. Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter und die jüdische Gemeinde reagieren entsetzt

 11.12.2025

Berlin

Erstmals Chanukka-Feier im Bundestag

Zur Feier werden unter anderem der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein und Zentralrats-Geschäftsführer Daniel Botmann erwartet

 11.12.2025

Block-Prozess

Mutmaßlicher Entführer-Chef: Aussage gegen sicheres Geleit

Hat Christina Block den Auftrag erteilt, ihre Kinder aus Dänemark zu entführen? Der mutmaßliche Chef der Entführer äußert sich dazu als Zeuge vor Gericht

 11.12.2025

Brigitte Macrons Ausfall gegen Aktivistinnen entfacht eine landesweite Debatte.

Frankreich

First Lady an Abittans Seite – und gegen Feministinnen

Brigitte Macrons Ausfall gegen Feministinnen wirft ein Schlaglicht auf Frankreichs Umgang mit Protest, sexueller Gewalt und prominenten Beschuldigten.

von Nicole Dreyfus  11.12.2025

Parteien

Justiz prüft Äußerungen nach Neugründung von AfD-Jugend 

Nach einer Rede beim AfD-Jugendtreffen prüft die Staatsanwaltschaft Gießen mögliche Straftatbestände

von Janet Ben Hassin  10.12.2025

Debatte

Merz, Trump und die Kritik an der Migration

Deutschlands Bundeskanzler reagiert auf die Vorwürfe des US-Präsidenten

von Jörg Blank  10.12.2025