Michael Thaidigsmann

EU-Beschluss: Vieles, aber wenig Konkretes

Michael Thaidigsmann Foto: privat

Der Fortschritt ist bekanntlich eine Schnecke. In der europäischen Politik gilt dieser Satz ganz besonders. Deswegen ist der einstimmige Beschluss zum Antisemitismus, den der EU-Ministerrat vergangene Woche fasste, durchaus bemerkenswert. Erst zwei Jahre ist es her, dass sich die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten zum ersten Mal überhaupt zu einer gemeinsamen Erklärung zum Antisemitismus durchgerungen hatten. Jetzt wurde der Text von 2018 konkretisiert.

Vor allem Deutschland, das noch bis Ende Dezember den Ratsvorsitz in Brüssel innehat, hatte darauf gedrängt. Die Gewährleistung der Sicherheit jüdischer Gemeinden müsse EU-weit höchste Priorität haben, fordert die Erklärung. Wichtig sei auch eine »systematische Meldung und Erfassung« antisemitischer Vorfälle – auch solcher, die nicht strafrechtlich relevant sind.

DEFINITION Außerdem müsse die IHRA-Arbeitsdefinition zum Antisemitismus in allen EU-Ländern zur Geschäftsgrundlage für den Kampf gegen den Judenhass gemacht werden. Bislang haben das allerdings erst 18 der 27 Mitgliedstaaten getan. Auch der Dialog zwischen Politik und jüdischen Gemeinden sei relevant, so die Erklärung. Das klingt zwar wie eine Binse, war aber bis vor Kurzem keineswegs gang und gäbe.

Einige jüdische Gemeindevorsitzende aus kleineren EU-Staaten waren dem Vernehmen nach hoch erfreut, endlich politische Ansprechpartner im Regierungsapparat zu bekommen. Man sieht also: Selbst unverbindliche Erklärungen können durchaus das Papier wert sein, auf dem sie gedruckt sind.

Bereits die Ratserklärung von 2018 hatte die Regierungen aufgefordert, konkrete Aktionspläne gegen den Antisemitismus vorzulegen.

Dennoch wirkt es einigermaßen schizophren, wenn EU-Länder in Brüssel zwar hehren Erklärungen zustimmen, zu Hause aber mehr mit Däumchendrehen als mit resolutem Handeln gegen Antisemitismus auffallen. Bereits die Ratserklärung von 2018 hatte die Regierungen aufgefordert, konkrete Aktionspläne gegen den Antisemitismus vorzulegen.

Dem ist bislang nicht einmal die Hälfte der 27 Staaten nachgekommen. Zu den Nachzüglern gehört neben Griechenland, Spanien und Portugal auch Belgien. Irritierend ist auch, dass das Thema Religionsfreiheit in der Erklärung überhaupt nicht erwähnt wird. Aber dazu fehlte offenbar der politische Wille.

Meinung

Mit Martin Hikel geht einer, der Tacheles redet

Der Neuköllner Bürgermeister will nicht erneut antreten, nachdem ihm die Parteilinke die Unterstützung entzogen hat. Eine fatale Nachricht für alle, die sich gegen Islamismus und Antisemitismus im Bezirk einsetzen

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Meinung

Die Ukrainer brauchen unsere Hilfe

Die Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten in Deutschland nimmt ab. Aus einer jüdischen Perspektive bleibt es jedoch wichtig, auch weiterhin nicht von ihrer Seite abzuweichen

von Rabbinerin Rebecca Blady  16.11.2025

Meinung

Israel: Keine Demokratie ohne Pressefreiheit

Den Armeesender abschalten? Warum auch jüdische Journalisten in der Diaspora gegen den Plan von Verteidigungsminister Katz protestieren sollten

von Ayala Goldmann  14.11.2025

Meinung

Jason Stanley und der eigentliche Skandal

Ohne mit allen Beteiligten gesprochen zu haben und ohne zu wissen, was wirklich passiert ist, schrieb die deutsche Presse das Ende des jüdisch-liberalen Diskurses herbei. Dabei offenbart sich, wie leichtfüßig Stereotype gefüttert werden

von Daniel Neumann  14.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Sabine Brandes

Wie Donald Trump Israels Demokratie angreift

Der US-Präsident hat angekündigt, in den Korruptionsprozess gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu eingreifen zu wollen. Damit geht der Amerikaner eindeutig zu weit

von Sabine Brandes  12.11.2025

Kommentar

In Zohran Mamdanis New York werden Juden geduldet, nicht akzeptiert

»Liberale Zionisten« müssen in der Regierung des neuen Bürgermeisters keinen »Lackmustest« fürchten. Was beruhigend klingen soll, zeigt, wie stark der Antisemitismus geworden ist - nicht zuletzt dank Mamdani

von Gunda Trepp  11.11.2025 Aktualisiert

Meinung

Wahlen in Ostdeutschland: Es gibt keine Zeit zu verlieren

In Mecklenburg-Vorpommer und Sachsen-Anhalt wird im September gewählt. Es steht viel auf dem Spiel: Eine AfD-Regierung könnte großen Schaden anrichten. Leidtragende wären nicht zuletzt die jüdischen Gemeinden

von Joshua Schultheis  10.11.2025

Meinung

Wieder ein Blankoscheck für Palästina?

Europa will Gazas Wiederaufbau finanziell fördern. Glaubt man in Brüssel wirklich, Millionen an Hilfsgeldern würden etwas zum Besseren verändern, fragt unser Autor

von Jacques Abramowicz  10.11.2025 Aktualisiert