Michael Thaidigsmann

Aalst und die »Judenfrage«

Foto: privat

Über alles und jeden wird im Karneval gelacht, keiner ist vor dem Spott der Narren sicher. Das ist auch das Motto des 600 Jahre alten Straßenkarnevals. Frechheit gegenüber der Obrigkeit hat Tradition in Aalst, Regierende bekommen ihr Fett ab. Soweit, so normal. Das gibt es auch in anderen Städten.

Doch in Aalst schlägt man gerne mal dem Fass den Boden aus. 2013 liefen einige Karnevalisten als SS-Offiziere verkleidet durch die Stadt, in der Hand hielten sie Zyklon-B-Dosen.

Motivwagen Vergangenes Jahr war es ein Motivwagen des Karnevalsvereins Vismooil’n, der einen riesigen Aufschrei auslöste. »Sabbatjahr 2019« war er betitelt. Zwei Figuren, die eindeutig ultraorthodoxe Juden darstellten, standen darauf. Beide mit fiesem Gesichtsausdruck und großen Hakennasen, Schläfenlocken und Streimelhüten.

Wie Juden eben aussehen, hatten sich die Karnevalisten sicher gedacht. Die Figuren saßen auf Goldmünzen und Geldsäcken. Auf der Schulter einer der beiden war eine weiße Ratte abgebildet. Julius Streicher, der Herausgeber der Nazi-Postille »Der Stürmer«, hätte sicher auch herzhaft gelacht beim Anblick dieser archetypischen Juden.

Die UNESCO strich den Aalster Karneval im Dezember von ihrer Liste der immateriellen Weltkulturgüter. Bürokraten verstehen bekanntlich keinen Spaß.

Obwohl ihnen Bürgermeister Christoph D’Haese doch persönlich erklärt hatte, dass das alles nicht böse gemeint gewesen war. Schließlich werde in Aalst jeder durch den Kakao gezogen, Schwarze, Muslime, Katholiken, ja, sogar der König! Antisemitische Stereotypen? Ein Schelm, wer so etwas Böses dabei denkt, erläuterte ein empörter Bürgermeister wieder und wieder.

Niemand wollte es ihm abnehmen. Immer wieder hagelte es Kritik. Sogar D’Haeses eigene Parteifreunde gingen auf Distanz. Alles Spaßbremsen? Klar, da mussten die Aalster Jecken jetzt nachlegen, sie mussten diese Judenfrage erneut ausführlich thematisieren.

Klagemauer Hakennasen und riesige Hüte waren am Sonntag an jeder Straßenecke zu sehen. Aalster Ameisen gingen als Juden verkleidet auf den Karneval. Hach, es war wieder eine große Gaudi. Auch die Klagemauer wurde durch die Straßen der Stadt gefahren; sie war aus Goldbarren gebaut.

Die UNESCO wurde zur »UNESTAPO« umfunktioniert. Schließlich ist diese Organisation ja ähnlich gemein und böse wie die NS-Geheimpolizei es damals war. »Passend« dazu liefen einige Karnevalisten in Gestapo-Outfits durch die Straßen.

Und was sagte der Bürgermeister dazu? Er lud vorab, präventiv sozusagen, zu einer Pressekonferenz ein. »Alles nur Satire, kein Antisemitismus«, sagte D’Haese den Journalisten. Die, so dachte er sich wohl im Stillen, waren eh nur angereist, um Aalst und seinen Karneval zu diskreditieren.

Sprach’s – und ließ seine Jecken gewähren. Zu Beginn des Umzugs sah man dann einen fröhlichen Bürgermeister, der fürs Foto mit einem Mann posierte, der als Jude zum Karneval gekommen war und aussah, wie ein Jude eben aussehen muss, Hakennase inklusive.

In Aalst zumindest – auch wenn es da schon lange keine echten Juden mehr gibt. Am Sonntag hat man wieder gemerkt, warum: Es wäre für Juden dort auch nicht zum Aushalten.

Meinung

Verrat an Frauen und an der Mitmenschlichkeit

Wie viele Fälle sadistischer Gewalt müssen noch nachgewiesen werden, damit die Welt endlich Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober zeigen kann?

von Sarah Maria Sander  19.01.2025

Kommentar

Warum bejubelt ihr den Terror, statt euch über Frieden zu freuen?

Ein Kommentar von JA-Chefredakteur Philipp Peyman Engel über die israelfeindlichen Demonstrationen in Berlin-Neukölln nach Verkündung der Gaza-Waffenruhe

von Philipp Peyman Engel  17.01.2025

Meinung

Die linke Tour der Alice Weidel

Mit ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  17.01.2025

Meinung

Ein Waffenstillstand ohne Sieger

Nicole Dreyfus wägt Chancen und Risiken des sich abzeichnenden Abkommens zwischen Israel und der Hamas ab

von Nicole Dreyfus  16.01.2025

Meinung

Gebt endlich ihre Tochter zurück!

Bei einem Geisel-Deal geht es nicht um Ideologien, sondern um einen einzigen Wert: den, unschuldiges Menschenleben zu schützen

von Sabine Brandes  16.01.2025

Meinung

Die Kürzung der Fördermittel für antizionistische Vereine ist richtig

Unterstützung für Menschenrechtsorganisationen darf nicht bedeuten, dass man am Ende Hass und Hetze unterstützt

von Olga Deutsch  16.01.2025

Meinung

98-mal Hoffnung

Melody Sucharewicz sieht die Hamas entschieden geschwächt und bangt mit ganz Israel um die Geiseln in Gaza

von Melody Sucharewicz  15.01.2025

Mascha Malburg

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ein Deal ist die einzige Chance, die Geiseln noch aus der Gewalt der Hamas zu retten

von Mascha Malburg  15.01.2025

Meinung

Düsseldorfs braunes Erbe

Beim Gedenken muss die Stadt konsequent sein

von Oded Horowitz  12.01.2025