Konferenz

Zufluchtsort für Gelehrte

Lesesaal der Bibliothek der Hebräischen Universität Jerusalem im Jahr 1940 Foto: GPO

»Erinnerungsarbeit ist immer auch Erinnerung an einzelne Menschen«, erklärte Michelle Müntefering, Staatsministerin für internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, am vergangenen Donnerstag bei der Konferenz »Archives of German-Jewish Scholarship, 1918–2018. Wissenstransfer und Staatsbildung im Mandatsgebiet Palästina und in Israel« in der Staatsbibliothek zu Berlin.

Dort wurde das Kooperationsprojekt zwischen dem Franz-Rosenzweig-Minerva-Forschungszentrum für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte und dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) zur Erschließung der vorstaatlichen Archive der Hebräischen Universität Jerusalem (HUJI) und weiterer, teils privater Sammlungen vorgestellt. Erschlossen wurden Briefwechsel, Forschungsnotizen und zahlreiche andere Dokumente von deutsch-jüdischen Wissenschaftlern und Künstlern, die nach Palästina emigrierten und dort ihre Arbeit an der Hebräischen Universität fortführten.

NACHLÄSSE Ein Team von Master-Studenten und (Post-)Promovierenden arbeitete sich mehrere Jahre lang durch 120 Meter an Material aus der Zeit zwischen 1918, dem Jahr der Gründung der Hebräischen Universität, und der Staatsgründung Israels 1948. Ein zentrales Thema des Abends war neben dem 100-jährigen Bestehen der HUJI auch der 70. Jahrestag der Staatsgründung.

Bereits 2012 arbeiteten das Franz-Rosenzweig-Minerva-Forschungszentrum und das DLA gemeinsam an einem Projekt zur Erschließung und Konservierung der Nachlässe bedeutender deutscher Juden, die zuvor der Forschung noch nicht zugänglich waren. Die Erfahrungen, die in dieser intensiven Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen und persönlichen Dokumenten gesammelt wurden, bildeten die Basis für das aktuelle Projekt, das 2015 startete und in diesem Monat abgeschlossen wird. Begleitet wurde das Projekt von Ulrich Raulff, Direktor des DLA, und Yfaat Weiss, Professorin an der HUJI und Direktorin des Leibniz-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow, Leipzig.

Erschlossen wurden Briefwechsel, Forschungsnotizen und andere Dokumente.

Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin, Barbara Schneider-Kempf, eröffnete die Konferenz. Sie skizzierte die Beweggründe für die Emigration deutsch-jüdischer Wissenschaftler, die oftmals sichere Anstellungen an deutschen Universitäten aufgaben, um an der neuen Universität in Jerusalem zu lernen und zu lehren, ohne jede Gewissheit über ihre Zukunft im Mandatsgebiet. Während des Nationalsozialismus wurde die HUJI zudem ein wichtiger Zufluchtsort für jüdische Gelehrte.

ZUSAMMENARBEIT Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Peter-André Alt, legte den Fokus in seinem Grußwort auf die Entwicklung der Zusammenarbeit von Deutschland und Israel, die zu Beginn der 50er-Jahre infolge der Schoa noch unmöglich schien. Alt berichtete von einem Brieffund, in dem Andreas Paulsen, ab 1955 Präsident der Freien Universität Berlin, die HUJI um Kooperation in der Forschung und den Austausch von Studenten bat. Eine Antwort blieb aus.

Es sei noch zu früh gewesen, meint auch Menachem Ben-Sasson, Kanzler der HUJI. Doch nur einige Jahre später lud das Weizmann-Ins­titut eine Delegation der Max-Planck-Gesellschaft ein. Dies läutete den Beginn der deutsch-israelischen Zusammenarbeit ein. Doch es dauerte noch weitere sechs Jahre, bis die diplomatischen Beziehungen 1965 zwischen Deutschland und Israel aufgenommen wurden, unter einer »fortbestehenden Nichtnormalität«, wie Raulff es beschrieb.

Auch über die Gegenwart wurde gesprochen. Besorgt berichtete Peter-André Alt von den rückläufigen Zahlen israelischer Studenten an deutschen Universitäten, die er auf den wachsenden Antisemitismus in Europa zurückführt. Barack Medina, Rektor der HUJI, beschreibt das Projekt auch als eine Arbeit gegen den wachsenden Rechtspopulismus weltweit, nicht nur wegen der Erinnerung an die Gründe für die Emigration, sondern auch wegen der exzellenten wissenschaftlichen Arbeiten der deutsch-jüdischen Wissenschaftler, die einen Gegensatz zum Populismus bilden würden. Die HUJI wurde damals in Jerusalem auch scherzhaft »Deutsche Universität« genannt, so Medina. Nicht nur wegen ihrer vielen deutschsprachigen Angestellten, sondern auch wegen des Aufbaus der Lehre.

EXPONATE Einen tieferen Einblick in das Projekt, das vom Auswärtigen Amt und der Gerda-Henkel-Stiftung finanziert wurde, bot sich im Projektpanel, in dem Lina Barouch (HUJI/DLA), Caroline Jessen (DLA), Philipp Messner (Archiv Uni Zürich) und Adi Livny (HUJI) Teile ihrer Forschungsergebnisse vorstellten. Für die Konferenz wurden eigens Exponate aus Jerusalem nach Berlin überführt, die gemeinsam mit Dokumenten aus der Berliner Staatsbibliothek ausgestellt wurden. Elisabeth Gallas (Dubnow-Institut) leitete durch die detailreichen Darstellungen der Vortragenden.

Den Abschluss der ausführlichen Konferenz bildete die kurzweilige Keynote Lecture von Yfaat Weiss über »Akten der Gelehrsamkeit. Über deutsch-jüdische Residuen in Jerusalem«. Sicherlich werden durch die Erschließung und Konservierung der Dokumente noch viele neue Erkenntnisse über die damalige Zeit gewonnen.

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Stefan Wimmer  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025