Kino

Zerstörer der Welten

Der militärische und der wissenschaftliche Leiter des sogenannten Manhattan-Projekts: Generalleutnant Leslie Groves (Matt Damon) und Julius Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) Foto: © Universal Pictures. All Rights Reserved.

Sie ist da: Die gespannt erwartete »Barbenheimer«-Woche. Die Titelfusion geistert durch die sozialen Medien samt Meme-Feuerwerk, seitdem klar ist, dass Greta Gerwigs quietschrosa Film Barbie und Christopher Nolans Biopic Oppenheimer zeitgleich in die Kinos kommen.

Es wird gemauschelt, die Terminierung von Barbie sei die Rache von Warner Bros. Denn Kino-Mann Nolan verließ das Studio, nachdem Warner damit begonnen hatte, Filme zeitgleich im Kino und auf der hauseigenen Streaming-Plattform auszustrahlen.

premiere Man könnte sagen, dass Dampf drin ist, auch weil gerade jetzt zur Premiere Hollywood und die amerikanisch beeinflusste Filmwelt aufgrund der Streiks der Drehbuchautoren und Schauspieler lahmgelegt sind – Hauptdarsteller Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon und Florence Pugh verließen die Oppenheimer-Premiere in London, noch bevor der Film begann.

Der Film fängt den Moment ein, der die Welt in ein Davor und ein Danach teilt.

Explosiv ist natürlich auch Nolans Film, der den Moment, in dem sich die Welt in ein Davor und ein Danach teilt, atemlos einfängt. Da sitzen sie, Julius Robert Oppenheimer (Cillian Murphy), sogenannter »Vater der Atombombe«, und sein Team und schauen aus sicherer Entfernung mit Schutzbrillen in den White Sands Proving Ground im US-Bundesstaat New Mexico.

Der Countdown zum Trinity-Test läuft, auf der Tonspur (Filmmusik: Ludwig Göransson) kratzen die Streicher buchstäblich an den Nerven. Dann: absolute Stille, während sich der Feuerpilz in die Höhe schraubt und anwächst. Es ist ein visuell beeindruckendes Schauspiel, bis, gefühlte Minuten später, ein unfassbarer Knall Oppenheimer und sein Team erreicht.

MAnhattan-Projekt Die ganze Ambivalenz des Manhattan-Projekts manifestiert sich in diesen Einstellungen. Denn auf die Zerstörungskraft dieser ersten jemals gezündeten Atombombe folgen Jubelschreie. Die Angst vor der eigenen Forschung ist dem von Murphy gespielten, äußerlich kantigen, innerlich zerrissenen Physiker dennoch fest eingeschrieben.

»Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten« – das Zitat aus einer heiligen Schrift des Hinduismus, das Oppenheimer in einem Interview von 1965 zitierte, spielt auch im Film eine Rolle.

Oppenheimer ist eine der kontroversesten Figuren des 20. Jahrhunderts. Der Physiker deutsch-jüdischer Herkunft ist Sohn eines Textilimporteurs und einer Kunst­erzieherin. Ab 1922 studierte er in Harvard, er forschte in Cambridge und pflegte Kontakte zu den großen Wissenschaftlern seiner Zeit, zu Werner Heisenberg, Niels Bohr oder Edward Teller und auch zu Albert Einstein.

Zwiespalt Ab 1942 übernahm Oppenheimer die Leitung des Manhattan-Projekts, um mit einem großen Team die erste Atombombe zu bauen. Man wollte schneller sein als die Nazis und gewann bekanntermaßen das Rennen. Im Film wird einmal gewitzelt, dass man aus Hitlers Antisemitismus Hoffnung schöpfen könne, schließlich betrachte er die Quantenphysik als »jüdische Wissenschaft«.

Oppenheimer hat die Atombombe für notwendig gehalten, als ein Mittel, um Frieden zu schaffen. Kurz nach dem erfolgreichen Test in der Wüste fliegen die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Der Film zeigt das nicht, vielmehr bleiben die Einschläge ein folgenschweres Hintergrundrauschen, begleitet von der Diskussion, ob die Bomben den Zweiten Weltkrieg beendeten oder den Kalten Krieg auslösten.

Nolan entwirft das Psycho- und Soziogramm eines ambivalenten Antihelden.

Später stellte sich Oppenheimer gegen den Bau der Wasserstoffbombe und wurde in der McCarthy-Ära wegen Verbindungen in kommunistische Kreise als angeblicher Sowjet-Spion diffamiert.

Christopher Nolan bannt sein Biopic in für ihn gewohnt großspuriger Manier auf Analogfilm und IMAX-Format und spannt den erzählerischen Bogen über mehrere Jahrzehnte und Zeitebenen. Aus Oppenheimers Aussagen während einer Sicherheitsanhörung, zu der der Physiker 1954 geladen wird, springt der Film zu den Ereignissen um seine Physikerwerdung und das militärisch von General Leslie R. Groves (Matt Damon) geleitete Manhattan-Projekt.

In Schwarz-Weiß wiederum sind Nachkriegsszenen gehalten, in denen Lewis Strauss (stark: Robert Downey Jr.), Vorsitzender der amerikanischen Atomenergiekommission und Oppenheimers Gegenspieler, eine wesentliche Rolle spielt.

BOMBAST Inspirieren ließ sich Nolan, der auch das Drehbuch verfasst hat, von der Biografie von Kai Bird und Martin J. Sherwin, die im Original unter dem Titel American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer erschienen ist.

Wie jeder neue Nolan-Film ist auch Oppenheimer ambitioniert. Es gelingt dem Regisseur mit Bombast, das Psycho- und Soziogramm seines ambivalenten Antihelden zwischen Forschung, Vernichtungswaffen, seiner Frau Kitty (Emily Blunt), seiner Geliebten Jean (Florence Pugh) und den Mühlen der Politik zu entwerfen.

Doch so audiovisuell beeindruckend diese von flippenden Atomen und Musik zusammengehaltene Biopic-Oper daherkommt: Völlig überzeugen will sie nicht. Was in seinem unfassbaren historischen Detailreichtum beeindrucken mag, wirkt über die satten drei Stunden immer wieder ermüdend, auch, weil Nolan seine Erzählung unnötig stark zeitlich zerhackt und dazu neigt, seinen kühl gezeichneten Figuren arg bedeutungsschwangere Sätze in den Mund zu legen.

Sicher ist dennoch: Nolans filmische Hybris wird die »Award Season« tangieren.

Ab 20. Juli im Kino

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