Myzelien

Wohnen wie in Schlumpfhausen

Werden wir bald wie die Schlümpfe in Pilzen wohnen? Auch wenn die kleinen blauen Comicfiguren, 1958 von dem belgischen Zeichner und Autor Peyo erfunden, ihre Behausungen im Laufe ihrer medialen Existenz durch Steinhäuser ersetzten – zu leben begonnen haben sie in Pilzen, waren Teil der Natur, Teil eines Kreislaufs.

»Myzelien sind die Basis für Baustoffe der Zukunft«, sagt der Designer Maurizio Montalti. Die Verwendung von Pilzen als Baumaterial bedeute eigentlich die Nutzung ihres großen Wurzelsystems, in die die Hyphen (Pilzfäden) miteinander verschmelzen und das Myzelium bilden, so der Italiener. 2017 zeigte Montalti im Museum of Modern Art seine »Moonboots«. Doch nicht nur Montalti ist auf dem besten Weg, zum Pionier für die Produktion von Wandverkleidungen, Bodenbelägen oder Schallschutzwänden zu werden, auch in Israel wird das Wissen um Myzele verwendet, um nachhaltige Baumaterialien zu erforschen und herzustellen.

Mycoblocks Achiya Livne, Doktorand der Ben-Gurion-Universität des Negev, stellte kürzlich auf der 50. Konferenz der Israelischen Gesellschaft für Ökologie und Umweltwissenschaften in Tel Aviv seine »Mycoblocks« vor. Basis der Blocks sind Pilzfäden und Rapsstroh. »Gebäude sind für rund 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs und der Kohlendioxidemissionen in der industrialisierten Welt verantwortlich«, sagt Livne.

Der Forscher nennt weitere Zahlen: Jährlich werden weltweit mehr als 33 Milliarden Tonnen Beton produziert; Zement ist für etwa acht Prozent der CO2-Emissionen der globalen Erwärmung verantwortlich. Livne hat mit seinen »Mycoblocks« einen Prototyp geschaffen, der Myzel verwendet, das Rapsstroh, aber auch Weinreben oder Dattelpalmenschnitt binden kann.

Ein Myzel besitzt die Fähigkeit, jegliche Art von organischem Substrat zu transformieren.

Ein Myzel besitzt die Fähigkeit, jegliche Art von organischem Substrat zu transformieren. Pilzkulturen ernähren sich von der Zellulose in ihrem Innern und um dorthin zu gelangen, zersetzen sie die Schutzschicht aus Lignin. Gleichzeitig hüllen sie die einzelnen Teilchen in ein dichtes Netz von Zellfasern und »kleben« sie zu einem kompakten neuen Material zusammen. So können sie Epoxidharze ersetzen, die gesundheitlich nicht unbedenklich sind und in der Regel auch nicht recycelbar.

Über nachhaltige Materialien zu forschen und sie bis zur Produktionsreife zu bringen, erfordert allein das globale Bevölkerungswachstum. Am Institut für Baukonstruktion der Universität Stuttgart befassen sich Dozenten und Studierende ebenfalls mit Myzelkompositen, die in der Bauindustrie noch weitgehend unerforscht sind. Myzelium als schnell wachsender organischer Rohstoff verbindet sich mit Abfallprodukten aus Industrie und Landwirtschaft. So wird Myzel zu einem leichten Verbundwerkstoff mit vorteilhaften physikalischen Eigenschaften. Untersucht wird, ob dieser Verbundstoff im Hochbau eingesetzt werden kann.

Kritik der Stuttgarter: Bisher würden Myzelverbundwerkstoffe hauptsächlich in der Verpackungsindustrie verwendet, wo Teile unter Verwendung von Polypropylen-Kunststoffformen hergestellt werden. Der Wandel in der Konstruktion erfordere nicht nur nachhaltigere Materialien, sondern auch nachhaltige Herstellungsmethoden.

bausektor Doch das Bauen in der Zukunft ist ein Thema der Zeit – auch am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) stehen Baustoffe aus Pilzen, Algen und Sonnenlicht im Fokus der Forschung – die zum Teil auf die Begegnung mit einem visionären jüdischen Künstler zurückgeht. Hier ist es Dirk Hebel, Professor für nachhaltiges Bauen, der mit alternativen Baustoffen dazu beitragen will, aktuelle Ressourcenlücken zu schließen. Mit Blick auf den dringend notwendigen Wandel im Bausektor sagt Hebel: »Wir müssen unsere Baustoffe kultivieren, andere Ansätze werden nicht ausreichen.«

Hebel und sein Team wurden erstmals auf Myzel als Baumaterial aufmerksam, als sie den jüdischen Künstler Philip Ross trafen, der in den 90er-Jahren begann, Myzel als Medium für Skulpturen zu verwenden. Bei ihm haben Teilnehmer in Workshops auch selbst Möbel aus Myzel hergestellt. »Es klingt wie ein Witz: Pilzmöbel. Aber eigentlich ist es ein vielseitiger Baustoff mit vielen attraktiven Eigenschaften«, sagte der schon vor Jahren.

Myzel ist feuerhemmend, ein guter Isolator, gesund für den Menschen und strukturell so stark wie der Beton, dem es ähnelt. Ross ist ein Erfinder – er hat ein Patent für speziell angebautes, behandeltes und gehandhabtes Myzel angemeldet. Und Ross ist auch ein Künstler – Galerien auf der ganzen Welt haben seine Möbel und die reinen Show-Stücke vorgestellt, bei denen er die Formen zum Tragen gebracht hat. Und er war lange der einzige »Mycotect« der Welt – er hat kleine Strukturen aus Myzelsteinen gebaut.

abfallmaterial Ross arbeitet im Allgemeinen mit Reishi-Pilzen und lässt sie auf rotem Eichensägemehl aus Mühlen in Nordkalifornien wachsen. Sie können auf vielen Dingen wachsen, beispielsweise auf Sägemehl, zerkleinerten Pistazien, Maiskolben, Samenschalen, also Abfallmaterial. »Die resultierende Verbindung kann je nach Nährstoff radikal unterschiedlich sein. Um es leichter zu machen, können Sie etwas Perlit in die Mischung geben und lassen es darum herum wachsen«, sagt Philip Ross.

»Es klingt wie ein Witz: Pilzmöbel. Aber Myzel ist ein vielseitiger Baustoff.«

Philip Ross

Myzel könne auch als Isolator verwendet werden. Es halte die Wärme gut und fange erst bei extrem hohen Temperaturen Feuer. Die Nachteile des Myzels liegen bisher noch in der geringen Beständigkeit des Materials gegen Feuchtigkeit und Insektenbefall. Für ein paar Tage bewahrt Ross die Formen mit dem Myzel und dem Sägemehl, das sie »essen«, in einem kunststoffumschlossenen, befeuchteten und luftgefilterten Gehäuse auf.

Sobald das Myzel das Material assimiliert habe, das es zu »essen« bekommen hat, und sich der Chiton, eine Art Panzer, gebildet habe, verfestige das Backen auf niedriger Ebene (bei 180 Grad für mehr als drei Stunden) das Stück.

Natur »Die Zukunft ist Pilz«, sagt Philip Ross; seine Anhängerschaft vergrößert sich ständig. Myzelbasierte Materialien sehen allerdings mitunter noch etwas rau und fleckig aus. »Wir werden unsere Sehgewohnheiten ändern und erfahren, dass Schönheit nicht im Glatten und Perfekten, sondern im Natürlichen zu sehen ist«, sagt Designer Maurizio Montalti.

Pilze, das zeige der Blick in die Menschheitsgeschichte, faszinieren, nähren und manchmal vergiften sie, so der New Yorker Künstler Ross. Die Chinesen haben den Pilz studiert und ihn 3000 Jahre lang in der Medizin verwendet. Die Mycological Society of San Francisco fördere ein besseres Verständnis von Pilzen, aber Informationen über Pilze seien nicht immer leicht zugänglich.

Ross baute Skulpturen, Möbel und Häuser aus Pilzen. Inzwischen steckt sein Material aus Myzel sogar in Hermès-Taschen, und seine Firma ist Millionen wert. »Es war noch vor der Existenz des Internets, als ich damit anfing«, erinnert sich Ross, »und die meisten Leute, die über Pilze Bescheid wussten, taten sehr geheimnisvoll.« Da nur schätzungsweise zehn Prozent der Pilzarten identifiziert wurden, gibt es auf dem Gebiet der Mykologie noch viel zu tun. Und ehe im großen Stil Pilze in der Produktion von Baumaterialien verwendet werden, wohl auch.

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