Er hieß Roman Kacew, wurde 1914 in Vilnius geboren und übersiedelte mit seiner geliebten Mutter 1928 nach Frankreich. Später wird er zum französischen Staatsbürger, tritt 1938 in die Armee ein, schließt sich nach der Niederlage des Landes 1940 der Résistance an und flieht nach England, wo der von ihm bewunderte General de Gaulle die Exil-Truppen des »Freien Frankreich« aufbaut. Als Kapitän einer Bomberstaffel entgeht er nur knapp dem Tod und schreibt in den wenigen freien Nachtstunden an einem in den polnisch-litauischen Wäldern spielenden Partisanen-Roman, der dann 1944 in England – und ein Jahr später im befreiten Frankreich – sein erster publizierter wird: Europäische Erziehung.
Nach Kriegsende tritt er in den diplomatischen Dienst ein und repräsentiert Frankreich gegen Ende seiner Karriere mehrere Jahre (bis 1960) als Generalkonsul in Los Angeles. Da ist aus Roman Kacew längst Romain Gary geworden, der 1956 für seinen Afrika-Roman Die Wurzeln des Himmels den Prix Goncourt erhält – und, ein Novum in der französischen Literaturgeschichte, den renommiertesten Literaturpreis des Landes 1975 sogar noch ein zweites Mal verliehen bekommt, für den unter Pseudonym erschienenen Roman Du hast das Leben noch vor dir. Im Dezember 1980 erschießt sich Gary, zweimal geschiedener Vater (seine Ex-Frauen waren die Schriftstellerin Lesley Blanch und die Schauspielerin Jean Seberg) in seiner Pariser Wohnung mit einem Browning-Revolver.
Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Janek, der von seinem Vater in einem Erdloch im Wald versteckt wird
Was für ein Leben, was für ein Roman, der nun in neuer, präziser deutscher Übersetzung endlich wieder erhältlich ist! Erzählt wird die Geschichte des 14-jährigen Janek, der von seinem Vater in einem Erdloch im Wald versteckt wird; die älteren Brüder waren zuvor von den Deutschen ermordet worden, denen später auch Janeks Vater zum Opfer fallen wird.
Der Junge aber überlebt und wird von einer Gruppe Partisanen aufgenommen. Deren Untergrundkampf gegen die Nazi-Besatzer ist heroisch und doch nicht ohne bedrückende Verwerfungen: So wird von ihnen ein deutscher Wehrmachts-Deserteur erschossen, und auch einer der ihrigen, ein Geige spielender junger Jude namens Moniek, wird mitunter mit antisemitischen Schmähworten bedacht. Gleichzeitig ermöglicht es die Gruppe, dass Juden sich am Freitagabend zusammenfinden und gemeinsam beten können.
Jüdischen Widerstand im okkupierten Osteuropa, im lebensgefährlichen Niemandsland zwischen den Deutschen und den vorrückenden Sowjettruppen (und deren gefürchteten stalinistischen Politkommissaren), hatten später auch Primo Levi in seinem heute zu Unrecht nahezu vergessenen Roman Wann, wenn nicht jetzt? und Manès Sperber in seiner Erzählung Wolyna literarisiert. Romain Gary aber war in Westeuropa der Erste gewesen, der in kraftvollen Landschaftsbildern, psychologisch plausibler Figurenzeichnung und so packenden wie reflektierten Dialogen dieses Geschehen zum Thema eines Romans gemacht hatte.
Albert Camus bezeichnete Europäische Erziehung als den »besten Roman über die Résistance« – gerade er konnte wertschätzen, mit welcher Subtilität hier die Untergrund-Existenz und die während der raren Kampfpausen geführten Zukunftsdebatten literarisch Gestalt angenommen hatten. (Dies im Unterschied zu Jean-Paul Sartre, der sich während der deutschen Besatzung neutral verhalten hatte, in den 50er-Jahren dann jedoch Garys Roman abkanzelte; vermutlich hatten ihm gewisse sowjetkritische Zwischentöne missfallen.)
Und so ist jetzt die Geschichte vom Leben und Sterben und Überleben von Janek, Adam, Zosia, Moniek, Krylenko und all der anderen wiederzuentdecken. Zwar gibt es merkwürdigerweise kein Nachwort, das Leben und Werk Romain Garys einordnet – doch hat zumindest diese Besprechung es in Ansätzen versucht.
Romain Gary: »Europäische Erziehung«. Aus dem Französischen von Birgit Kirberg. Wagenbach, Berlin 2025, 219 S., 24 €