Samuel Finzi

Und schreiben kann er auch

Alle Magie liegt im Timing: Samuel Finzi Foto: picture alliance/dpa

Samuel Finzi

Und schreiben kann er auch

Der Schauspieler hat sein Leben zu Papier gebracht – einen Teil zumindest

von Sophie Albers Ben Chamo  27.04.2023 09:13 Uhr

Wenn er über sein Buch spricht, das er schnörkellos Samuels Buch genannt hat, fängt Samuel Finzi immer wieder an zu lachen. Der gefeierte Schauspieler scheint sich fast ein wenig zu wundern, dass gerade seine 224 Seiten starke Autobiografie erschienen ist und Menschen sie sogar lesen wollen.

Seine Idee sei es nicht gewesen, versichert er gern in Interviews, schließlich sei er Schauspieler und nicht Autor. Aber unter anderem Maxim Biller habe ihn zum Schreiben angetrieben, und dann habe er es halt versucht. Schulterzucken. Also sollten wir Maxim Biller danken, denn, und das haben wir jetzt schwarz auf weiß, Samuel Finzi kann nicht nur auf Bühnen und in Film und Fernsehen Welten schaffen, schreiben kann er sie auch.

KINDHEIT Gleich auf Seite eins, mit dem sechsten Satz, stürzt er die Leserschaft kopfüber in seine Kindheit im Bulgarien der 70er-Jahre, wo er als Sohn eines berühmten Paares, der Pianistin Gina Tabakova und des Schauspielers Itzhak Finzi, aufwuchs, bis er seine Zukunft in Paris suchte und sie in Berlin fand. Da war Finzi 23. Das Buch endet mit dem Neuanfang im Westen – und es verweigert sich so angenehm wie komplett dem Genre Celebrity-Geschichtchen.

Kindheitserinnerungen authentisch aufzuschreiben – das gehört zu den schwierigsten der schriftstellerischen Disziplinen, doch Finzi meistert sie mit beneidenswerter Leichtigkeit. Sofort ist man drin in der Bohème-Wohnung der Eltern, wo der Vater mehr oder weniger nützliche Möbel und Gadgets improvisiert, während er seine Schauspielkunst dazu nutzt, die Wahrheit über das herrschende System auszusprechen. Sofort ist man Teil der Kindertruppe, die den Ferienort der Erwachsenen verunsichert.

Man riecht das Meer, fühlt die Hitze und das Brodeln der Hormone und zugleich die große Unsicherheit ob der eigenen Position im Großen und Ganzen. Man sitzt in der Schule, im Zug, im Kino, in das Finzi sich geschlichen hat, um Pasolinis Salò zu sehen. Man fühlt die Freude, die Wut und immer wieder das Staunen über die Welt und die Menschen in ihr. Vor allem aber spürt man das warme, weiche Netz aus Vertrauen und Liebe, das die Familie stellt. Welch Glück für ein Kind!

LIEBESERKLÄRUNG Mit Samuels Buch hat Finzi eine Liebeserklärung an seine Eltern und Großeltern geschrieben, an schräge Onkel, Tanten, Freunde und Bekannte der Familie, die mit Kinderaugen betrachtet ziemlich gerade dastehen dürfen, weil sie einfach nur so sind, wie sie sind. Diese Charakter-Miniaturen nimmt man mit, wenn das Buch längst zu Ende ist.

Im interessierten Beobachterstil – Wertung gibt es kaum, die kommt schon vom Leser selbst – erfährt der Leser nicht nur, wie es Samuel Finzi und seiner weitverzweigten Familie ergangen ist, sondern auch, wie sich das Leben in einem sozialistischen Staat anfühlt, dass Antisemitismus zeit- und grenzenlos ist, wo Freiheit anfängt und wo sie aufhört. Der Ton ist dabei so sachlich, dass es zum Lachen und Weinen ist, manchmal beides gleichzeitig.

Finzi bleibt aber nie zu lang bei einer Szene, denn wer, wenn nicht er, weiß, dass alle Magie im Timing liegt. Es geht mal fein und präzise, mal sprunghaft und den eigenen Erinnerungen misstrauend, von Massenszenen zu intimen Einblicken, von der historischen Einordnung zur Nahaufnahme eines Sohnes, der seinen Vater vergöttert, der ihm mit rabbinischem Witz und Chuzpe die Welt zu Füßen legt, wenn diese zu bedrohlich wird.

Nein, Schnörkel brauchen diese Geschichten keine, die kommen ganz von allein, wenn das Kopfkino loslegt. Samuels Buch ist knapp, direkt und echt, so wie gutes Schauspiel eben sein muss.

Samuel Finzi: »Samuels Buch. Ein autobiografischer Roman«. Ullstein, Berlin 2023, 224 S., 22,99 €

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  08.06.2025

Rheinland-Pfalz

»Aus Beutebeständen« - NS-Raubgut in rheinland-pfälzischen Museen

Viele kleine Museen in Rheinland-Pfalz haben bisher nicht danach geforscht, ob NS-Raubgut in ihrem Besitz ist. In den Sammlungen von vier dieser mehr als 400 Museen sah eine Kunsthistorikerin nun genauer nach

von Norbert Demuth  06.06.2025

Medien

Deutschlands Oberlehrer

Wer will noch mal, wer hat noch nicht? In diesen Tagen scheint die Diffamierung Israels oberste Bürgerpflicht zu sein. Ein Kommentar

von Michael Thaidigsmann  06.06.2025 Aktualisiert

Interview

»Es findet ein Genozid statt« – »Israel muss sich wehren«

Henryk M. Broder und Hamed Abdel-Samad über ihre langjährige Freundschaft, was sie verbindet – und was sie nach dem 7. Oktober 2023 trennt

von Philipp Peyman Engel  06.06.2025 Aktualisiert

Berlin

Dokumentarfilm »Don’t Call It Heimweh« über Margot Friedländer

Die Dokumentation von Regisseur Thomas Halaczinsky zeigt Friedländers erste Reise aus New York nach Berlin im Jahre 2003. Es war ihre erste Fahrt in die Heimatstadt nach 60 Jahren

 05.06.2025

Bildung

Mehr als nur zwei Stunden Reli

Jüdischer Religionsunterricht muss attraktiver werden und auch Kinder erreichen, die keine jüdische Schule besuchen. Was kann konkret getan werden?

von Uri R. Kaufmann  05.06.2025

Wissenschaft

Wie die Jerusalemer Erklärung Antisemitismus verharmlost

Kritiker der IHRA-Antisemitismusdefinition behaupten gerne, die konkurrierende Jerusalemer Erklärung sei klarer und kohärenter. Doch das Gegenteil ist der Fall

von Ingo Elbe, Sven Ellmers  05.06.2025

Dresden

»Tiefgang mit Witz«: Erste Lesung des Dresdner Stadtschreibers Alexander Estis

Der jüdische Autor schreibe heiter, ironisch, grotesk und überrasche mit originellen Beobachtungen, so die Stadtverwaltung

 04.06.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Tabellenfragen: Was hat die Jewro mit der Bundesliga gemeinsam?

von Katrin Richter  04.06.2025