Musik

Rufer in der Wüste

Auf der Bühne laut, im wirklichen Leben ganz zivilisiert: die Musiker von Arallu Foto: Ariel Ifergan

Der Mai begann für Heavy-Metal-Fans mit einer frohen Botschaft: Anfang des vergangenen Monats verkündete Arallu die Arbeit an einem neuen Album, das im Spätsommer erscheinen soll. Danach will das Metal-Quintett aus Jerusalem Europa mit einer Tour »heimsuchen«. Die kommende Veröffentlichung bezeichnen sie als »riesigen und gewalttätigen Dämon aus der antiken Welt«.

Eines steht fest: Das notwendige Klappern beherrschen die Handwerker in Sachen Speed Metal perfekt. Mit ihrem unverwechselbaren Mix aus rifflastigen Gitarren und furiosem Schlagzeug im Stil eines Maschinengewehrs, Schreigesang und orientalischen Folkfragmenten hat sich die israelische Band mittlerweile auch in der deutschen Subkultur des Extrem-Metal einen Namen erspielt.

Israel genießt nicht unbedingt den Ruf, das Eldorado der Metal-Gemeinde zu sein. Einschlägige Bands lassen sich an zwei Fingern einer Hand abzählen. Der bekannteste Vertreter ist Orphaned Land. Setzen diese auf Versöhnung der Religionen und Rock als Friedensbringer im Nahostkonflikt, so hält Arallu ganz im Gegensatz dazu der gewalttätigen Gegenwart den Spiegel vor.

In martialischem Gewand zielt die Band auf Aggressionen und Absurditäten ab, die sie beim Aufeinandertreffen der drei monotheistischen Religionen in ihrer Heimatstadt Jerusalem beobachtet, wo sie sich in den späten 90ern gründete. Sie setzt sich mit den Widersprüchen zwischen Sakralraum und Alltag dort auseinander, wo jeder Stein heilig ist.

finster Arallu ist Akkadisch und bedeutet sowohl »Unterwelt« als auch »Götterberg«: Dieser Berg, wo die Götter geboren wurden und aufwuchsen, wird in Jerusalem lokalisiert. Bei den Musikern überwiegt sicherlich der Unterweltaspekt. Denn mit dem Dämonischen haben sie es und deuten Arallu auch als Namen eines Finsternisfürsten um, wie eine Liedzeile verrät: »Open the gate to Arallu, Messiah of all evil.« War on the Wailing Wall (Krieg gegen die Klagemauer) hieß denn auch ihr Albumdebüt im Jahr 1999. Satanic War in Jerusalem, das Nachfolgealbum (2002), ist nicht weniger aussagekräftig.

Genrefremden Lesern sei gesagt, dass es ein großes Missverständnis ist, Metal an sich als Gewaltorgie und -verherrlichung zu begreifen; das sind eher seltene Tendenzen. Die Haltung hinter der Musik ist vielmehr eine Art reflektierender Umgang mit Themen wie Gewalt, Krankheit und Tod – gepaart mit überzogen-parodistischen Elementen. In einem Interview erklärte der Bandgründer Moti »Butchered« Daniel: »Wenn du dort lebst, wo der Terror dich umgibt, prägt dich das, ob du willst oder nicht; zu was auch immer.

Ich erinnere mich an den Bus, der neben mir explodiert ist, und den Hass der Menschen, der darauf folgte.« Damals war er 16, so Moti Daniel, und der aus Europa heranschwappende Black Metal habe seiner Gefühlswelt entsprochen. »Arallus Musik ist inspiriert von den Ereignissen im Nahen Osten, dem Blutvergießen in Jerusalem und dem globalen Terror.«

Direkte politische Botschaften will Arallu aber nicht vermitteln. Ihre Gegenwartsschelte bringt die Band okkult herüber: Eines Tages soll von Israel aus ein uraltes mesopotamisches Großreich (wieder-)auferstehen, so ihre Vision. Das werde alles Klein-Klein hinwegfegen und den Krieg um die Heilige Stadt beenden. Bei der Band ist es indes nicht der Pferdefuß, der als schwarze Überzeichnung der Wirklichkeit dient, sondern das nahöstliche Pandämonium. Wut und Resignation werden so zu Musik. »Wir hassen niemanden aufgrund seiner Hautfarbe oder Religion. Unsere Texte sind klar. Wir gehen alles an, das beleidigend ist und uns verletzt; uns als Menschen, und uns als Individuen.«

scheinheiligkeit Das letzte Album Geniewar (2015) thematisiert die Konflikte nach Israels Unabhängigkeitserklärung, den Sechstagekrieg, aber auch den aktuellen Krieg in Syrien. Leicht pathetisch und damit im typischen Metal-Werbesprech, zu dem etwas Pose und Großmaulattitüde gehören, erklärt der Sänger: »Dieses Album ist der Spiegel des Menschengeschlechts, der Scheinheiligkeit der Regierungen rund um die Welt, auch der israelischen, sowie des Unwillens und der Angst, gegen die extremen religiösen Führer anzukämpfen.«

Auf Geniewar werden Arallus Stil und Botschaft am deutlichsten. Von der anfangs puren Black-Metal-Band mit etwas rumpligem Groove und rohem Sound sind sie inzwischen zu einem hübschen Hybriden gereift. Thrash-Einflüsse à la Slayer sind herauszuhören, häufiger geworden sind Tempowechsel und hymnische Elemente, die zwischen aggressive Parts treten. Neben den Gitarren klingen orientalische Saiteninstrumente wie die Oud auf. Ins Schlagzeug sind entsprechende Trommelarten wie die Darbuka – eine einfellige Blechtrommel – integriert, mit denen auch typische Taktfolgen angeschlagen werden.

Derzeit kommt Arallu etwas rhythmischer und gebändigter daher als früher, allerdings fällt ihre Musik trotzdem weniger eingänglich aus als ihre Vorbilder. Ihre Stücke sind nicht als Ohrwürmer oder Stimmungshits gedacht. Man muss sich reinhören, um Zugang zu finden, sich auf die Songs einlassen, dann lässt einen der Dämon nicht mehr vom Haken.

Denn als wütende Rufer in der Wüste haben sie nichts an Wucht eingebüßt. Das wird man bald auch wieder auf europäischen Bühnen erleben können – und danach wie bei den vorangegangenen Tourneen mit den sympathischen Jungs erneut ein Bier heben können. Im persönlichen Gespräch sind die Unterweltler ganz zivilisiert.

www.arallu.bandcamp.com

Berlin

»Stärker als die Angst ist das menschliche Herz«

Die Claims Conference präsentiert in einem Bildband 36 Männer und Frauen, die während der Schoa ihr Leben riskierten, um Juden zu retten

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Auszeichnung

Theodor-Wolff-Preis an Journalisten vergeben

Der Theodor-Wolff-Preis erinnert an den langjährigen Chefredakteur des »Berliner Tageblatts«, Theodor Wolff (1868-1943)

 17.09.2025

Los Angeles

Barbra Streisand über Dreh mit Robert Redford: »Pure Freude«

Mit dem Klassiker »The Way We Were« (»So wie wir waren«) brachen die beiden Stars in den 70er-Jahren Millionen Herzen. Nach dem Tod von Redford blickt Hollywood-Ikone Streisand zurück auf den Dreh

von Lukas Dubro  17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Für Toleranz, Demokratie: Margot Friedländer Preis vergeben

Es ist die erste Preisverleihung nach dem Tod der Stifterin. Ausgezeichnet wird der Einsatz für die Ideale der im Frühjahr gestorbenen Holocaust-Überlebenden

 17.09.2025

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 16.09.2025

Eurovision Song Contest

Streit um Israel: ESC könnte wichtigen Geldgeber verlieren

RTVE ist einer der fünf größten Geldgeber des Eurovision Song Contest. Umso schwerer wiegt der Beschluss, den der spanische Sender verkündet

 16.09.2025

Literatur

Bestseller aus Frankreich: »Der Barmann des Ritz«

Philippe Collin hat ein packendes Porträt über einen jüdischen Barkeeper im Zweiten Weltkrieg geschrieben

von Sibylle Peine  16.09.2025

Belgien

Gent bleibt hart: Lahav Shani bei Festival weiter unerwünscht

Nach massiver Kritik befasste sich der Verwaltungsrat des Musikfestivals am Montagabend erneut mit der Ausladung der Münchner Philharmoniker. Es blieb bei der Ausladung

von Michael Thaidigsmann  16.09.2025