Jazz

Oratorium in der Synagoge

Aufführung in der Jerusalem-Synagoge in Prag Foto: Zdenek Sokol

Jazz

Oratorium in der Synagoge

80 Jahre nach dem Tod des Komponisten Erwin Schulhoff wird sein Werk »H.M.S. Royal Oak« in Prag wieder aufgeführt

von Claudia Irle-Utsch  30.08.2022 07:38 Uhr

Frei und ungestüm, rhythmisch, mitunter ekstatisch, gern auch ein bisschen subversiv: Jazzmusik war auf der HMS Royal Oak, dem riesigen englischen Schlachtschiff, unerwünscht. Jedenfalls vom Kapitän. Denn die Mannschaft liebte den Jazz.

Hier fand sie sich wieder mit ihrer Sehnsucht nach Liebe, Heimat, einem bisschen Glück. Was also tun, wenn der Befehl den Gehorsam verlangt? Die Seemänner folgen ihren Herzen: Sie musizieren, sie singen, selbst noch in Ketten. Zurück in England, erleben sie einen triumphalen Empfang, das Kriegsgericht gibt ihnen recht, der Kapitän muss seinen Hut nehmen. Es folgt ein großes »Halleluja«.

Erzählt wird die Geschichte, auf einer historischen Begebenheit gründend, in dem Jazzoratorium »H.M.S. Royal Oak«. Der Prager Komponist Erwin Schulhoff (1894–1942) und sein Librettist, der Journalist Otto Rombach (1904–1984), siedeln diese Story einer friedlichen Revolte irgendwo im Nirgendwo der Südsee an – als Parabel der Freiheit des Denkens, Meinens und Tuns. Schulhoff scheint zu antizipieren, dass in der Welt, in der er lebt, diese Freiheit höchst gefährdet ist: Am 18. Mai 1931 wird sein Jazzoratorium in Frankfurt am Main uraufgeführt.

VERFOLGUNG Keine zwei Jahre später kommt Adolf Hitler an die Macht. Erwin Schulhoff, Jude, Dadaist, Kommunist und seit April 1941 sowjetischer Staatsbürger, überlebt das NS-Regime nicht. Er wird im Zuge der Deportationen der jüdischen Prager Bevölkerung auf der Festung Wülzburg nahe Weißenburg inhaftiert. Dort erkrankt er an Tuberkulose und stirbt am 18. August 1942.

Genau 80 Jahre danach wird sein Jazz­oratorium wieder aufgeführt. Am 18. August 2022 sind es acht Studierende der Hochschule für Musik und Tanz (HfMT) Köln und sieben Mitglieder des Chors der Staatsoper Prag, die dieses Stück, 40 aufregende Minuten lang, in der prächtigen Jerusalem-Synagoge in der Prager Neustadt zu Gehör bringen – in einer neuen, vom großen Orchester auf eine Jazz-Combo reduzierten kammermusikalischen Fassung im Arrangement des Kölner Musikers Frank Engel.

Was sich in der militärischen Männerwelt zugetragen hat, schildern zwei Frauen: Sopranistin Rebecca F. Hagen und Sprecherin Johanna Heyne packen das Publikum eindringlich und hochpräsent. Sie werden begleitet von einem Ensemble, das das Geschehen mit lässiger Leichtigkeit kommentiert und unterstreicht, auf dem Punkt und dynamisch enorm variabel.

KONZEPT Werner Dickel, Professor an der HfMT, hat die jungen Musiker aus Wuppertal und Köln und die etablierten Sänger der Prager Staatsoper mit pädagogischem Geschick und klarem künstlerischen Konzept auf den gemeinsamen Weg gebracht. Und das an einem Ort, der wie kaum ein anderer für abgebrochene Komponistenbiografien steht: in Terezín, dem ehemaligen Ghetto Theresienstadt, wo zwischen 1941 und 1945 so viele Künstler versuchten, dem Grauen etwas zu entgegnen – Malerei, Literatur und eben auch Musik.

Hier setzt die Terezín Summer School seit ein paar Jahren mit ihrer Erinnerungs­arbeit an. Sie wolle, sagt Tomáš Kraus, Repräsentant der jüdischen Gemeinden in Tschechien und mitverantwortlich beim veranstaltenden Terezín Composers’ Institute, den Geist einer großen Kultur zurück an die historische Stätte bringen. Und von dort in die Welt.

MUSICA NON GRATA Denn durch die Kooperation mit dem vornehmlich von der deutschen Botschaft in Prag unterstützten Projekt »musica non grata« wird die Initiative breiter wahrgenommen. Auf vier Jahre angelegt, wolle »musica non grata« zeigen, wie reich das tschechisch-deutsch-jüdische musikalische Leben im Prag der Zwischenkriegszeit war, so Kai Hinrich Müller von der HfMT Köln, Forschungsdirektor des Projekts.

Als »mastermind« bezeichnet Müller den künstlerischen Direktor der Prager Staatsoper, Per Boye Hansen, der Schulhoff auch in seinem Haus spielt: Dessen Oper Flammen feierte in der Saison 2021/22 in der Inszenierung von Calixto Bieito ein Comeback und wird auch in der neuen Spielzeit zu sehen sein. Erwin Schulhoff, so scheint es, passt in unsere Zeit – vermutlich, weil er seiner Zeit weit voraus war.

Justiz

Gericht: Melanie Müller zeigte mehrmals den Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was im Berufungsverfahren zur Debatte steht

von André Jahnke  14.12.2025

Feiertage

Weihnachten mit von Juden geschriebenen Liedern

Auch Juden tragen zu christlichen Feiertagstraditionen bei: Sie schreiben und singen Weihnachtslieder

von Imanuel Marcus  14.12.2025

Nachruf

Trauer um Hollywood-Legende Arthur Cohn

Arthur Cohn war immer auf der Suche nach künstlerischer Perfektion. Der Schweizer Filmproduzent gehörte zu den erfolgreichsten der Welt, wie seine Oscar-Ausbeute zeigt

von Christiane Oelrich  12.12.2025

Computerspiel

Lenny Kravitz wird James-Bond-Bösewicht

Als fieser Schurke will der Musiker im kommenden Jahr dem Agenten 007 das Leben schwer machen – allerdings nicht auf der Kinoleinwand

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025

Aufgegabelt

Latkes aus Dillgürkchen

Rezepte und Leckeres

 12.12.2025

Kulturkolumne

Lieber Chanukka als Weihnachtsstress?

Warum Juden es auch nicht besser haben – was sich spätestens an Pessach zeigen wird

von Maria Ossowski  12.12.2025

Kommerz

Geld oder Schokolade?

Der Brauch, an den Feiertagen um Münzen zu spielen, hat wenig mit den Makkabäern oder dem traditionellen Chanukkagelt zu tun. Der Ursprung liegt woanders

von Ayala Goldmann  12.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Singend durch Paris oder Warum unser Chanukka-Song der beste ist

von Nicole Dreyfus  12.12.2025