Sicherheitsrat

Obsessiv und pathologisch

Einmal mehr geben in der UN Israels Feinde den Ton an: Abstimmung des Sicherheitsrats am 23. Dezember 2016 über ein Ende des Siedlungsbaus Foto: imago

Was haben Markus Lanz und John Kerry gemeinsam? Herzlich wenig. Aber eines verbindet sie: Beide kümmern sich um Israel, jeder auf seine Weise und jeder, so gut er eben kann. Der ZDF-Mann Markus Lanz begab sich zu Weihnachten wie einer der Heiligen Drei Könige nach Bethlehem, um mal nach den Christen zu sehen, nach den Muslimen und, ja, auch nach den Juden im »Heiligen Land«.

Man ahnt es schon: Es geht ihnen nicht gut, den Palästinensern. John Kerry bestieg drei Tage später und ein letztes Mal die Bühne, um Israel anzuflehen, endlich zur Vernunft zu kommen. Anlass seiner von vielen als Gardinenpredigt verstandenen Rede war das vergiftete Chanukka-Geschenk des UN-Sicherheitsrats für Israel, die Resolution 2334. Ein gemeiner Denkzettel Obamas zum Abschied für Benjamin Netanjahu, mit dem er nie wirklich warm geworden ist und eine Steilvorlage für den Neuen im Weißen Haus. »Bleib stark, Israel«, twitterte Donald Trump und meinte wohl, »Halte durch – bald bin ich an der Macht!«

Tatsächlich ist die von der Regierung Obama betriebene UN-Resolution verheerend, vor allem, was ihre politische Wirkung angeht. Einmal mehr geben in den Vereinten Nationen die Feinde Israels den Ton an. Besonders grotesk und noch gut in Erinnerung ist der Beschluss der UNESCO, die jüdische Geschichte des Tempelbergs in Jerusalem für obsolet zu erklären. Der Judenhass der Weltgemeinschaft trägt mittlerweile geradezu pathologische Züge. Von den 23 UN-Verurteilungen im Jahr 2015 richteten sich 20 gegen Israel. Und im November 2016 waren es sogar 20 in nur einem Monat. Besonders apart die Resolution, die Israel auffordert, den Golan wieder an Syrien abzutreten, was einer Auslieferung der Menschen dort in ein Schlachthaus gleichkommt.

ZweiStaatenLösung Die dreiste Parteinahme für die Palästinenser schadet den Betroffenen am meisten. Die Hardliner in Israel sehen sich bestätigt in ihrer Haltung, allein gegen den Rest der Welt. Die Palästinenser dagegen feiern mit jeder Resolution einen weiteren Pyrrhussieg, der sie verführt zu glauben, am Ende doch noch das eigentliche Ziel, die Vernichtung Israels, zu erreichen. Damit verengt sich der politische Spielraum zusehends und überlässt die Bühne jenen, die keine Zweistaatenlösung wollen. Auch diesmal sieht auf den ersten Blick alles nach einer Wiederholung des ermüdenden Stücks aus. Israel weist die Schuldzuschreibung empört zurück, der palästinensische Präsident feiert seinen diplomatischen Erfolg. »Was bisher erreicht wurde, ist ein kleiner Dschihad, und der große Dschihad wartet noch auf uns«, erklärte Abbas.

Teil dieses neuen Dschihad ist die Isolierung Israels auf dem diplomatischen Parkett. Man kann nicht behaupten, dass die Palästinenser in dieser Beziehung nicht enorme Fortschritte machen. Und das, obwohl sie nicht verhehlen, was sie wirklich wollen. Beim 29. Geburtstagfest der Hamas protzten ihre führende Vertreter: »Wir werden Israel nie anerkennen, weil es unweigerlich verschwinden wird, es gibt für das israelische Gebilde keine Zukunft in unserem Heimatland.« Und weltweit findet die Hamas verständnisvolle Claqueure.

Genau deshalb distanzierte sich ausgerechnet die britische Regierung, die selbst eine Schlüsselrolle bei der Formulierung der Resolution gespielt hatte, von der Rede des scheidenden US-Außenministers. Kerry und Obama haben den Eindruck erweckt, als ob die Siedlungsfrage das alles entscheidende Problem sei. Das aber sei falsch und einseitig und erschwere Verhandlungen. Verblüffend war auch die Reaktion aus Canberra. Australien, das zurzeit nicht im Weltsicherheitsrat sitzt, hätte gegen die Resolution gestimmt, erklärte die Regierung. Ganz so geschlossen ist die Front gegen Israel also nicht mehr. Nicht im Westen und nicht einmal mehr im arabischen Lager.

Die weltpolitische Lage führt zu neuen und unvermuteten Allianzen. Nicht die weitere Isolation Israels, sondern die Zusammenarbeit mit der stärksten Militärmacht der Region liegt im Interesse der sunnitischen Staaten. Netanjahu hat die sich daraus ergebenden Chancen längst benannt. Um sie zu nutzen aber muss der Konflikt mit den Palästinensern gelöst werden. Folgerichtig begrüßten Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sowie weitere sunnitische Staaten die Rede Kerrys enthusiastisch und zwar einschließlich der Forderung nach Anerkennung Israels als jüdischer Staat.

Empörung Das ist neu. Deshalb lohnt es sich, die Resolution trotz aller verständlichen Aufregung aufmerksam von Anfang bis Ende zu lesen und John Kerry genauer zuzuhören. Beide bieten durchaus einen Ausweg, den die allgemeine Empörung verstellt. Die UN fordert nicht nur den Stopp des Siedlungsbaus, sondern auch, dass die Führung in Gaza und Ramallah den Terror beendet, illegale Waffen beschlagnahmt und aufhört, ihre nach Israel geschickten Terroristen zu Helden zu verklären und neue zu ermuntern.

Mit Sicherheit hat Kerry zu viel Redezeit für das Problem des Siedlungsbaus verwendet, aber die von ihm genannten Prinzipien für Friedensverhandlungen entsprechen in großen Teilen genau jenen, die Netanjahu selbst bereits 2014 genannt hatte. Deshalb wäre es, auch wenn es schwerfällt, sehr viel klüger gewesen, Resolution und Rede als Vorlage zu nehmen, Verhandlungen anzubieten und in Ruhe abzuwarten, wie die palästinensische Seite reagiert.

»Niemand sehnt sich mehr nach Frieden als das israelische Volk«, ließ Netanjahu nach der Resolution verlauten und verschenkte zugleich eine große politische Chance. Anstatt Kerry zu geißeln, hätte er ihn als Kronzeugen nutzen können, der unmissverständlich ein Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge verneinte, der zwar davon sprach, neue Siedlungen zu stoppen, aber nicht davon, alte zu räumen. Auch Kerry weiß, dass Räumung nicht automatisch Frieden bedeutet, sondern im Gegenteil oft nur neuen Terror. Ob der Rückzug aus dem Südlibanon oder aus Gaza, das Friedensangebot Israels wurde immer als Schwäche ausgelegt. Die Beteiligten wissen, dass es keinen Rückzug auf die Grenzen von 1967 geben wird, sondern Verhandlungen über einen neuen Grenzverlauf mit Gebietstausch.

Die Zeit arbeitet dabei aber gegen Israel. Jahr um Jahr wird die Zweistaatenlösung unwahrscheinlicher; und somit auch die Gelegenheit, langfristig eine jüdische Mehrheit in Israel zu sichern. So betrachtet, wäre die Resolution 2334 für Israel durchaus auch eine Chance gewesen – vorausgesetzt, alle Punkte der Resolution sind ernst gemeint, vorausgesetzt, die politischen Akteure auf der Weltbühne erhöhen ihren Druck. Nicht nur auf Israel, sondern vor allem auch auf die palästinensische Führung. Sie ernst zu nehmen, heißt, auch sie in die Pflicht zu nehmen.

Der Autor ist Journalist und Buchautor (»Israel ist an allem schuld«, mit Esther Schapira).

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