Polemik

Nichts gegen Juden

In Deutschland will keiner mehr Antisemit sein – und von Juden lässt man sich sowas schon gar nicht nachsagen. Foto: Fotolia, (M) Frank Albinus

Das nennt man perfektes Timing: Pünktlich zum Jahrestag der Pogromnacht erklärte der Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) seinen Moderator Ken Jebsen zur verfolgten Unschuld. »Die Vorwürfe, dass Ken Jebsen Antisemit ist und den Holocaust leugnet, sind absolut nicht haltbar«, ließ der stellvertretende Sendersprecher Volker Schreck am 9. November die Medien wissen.

Offenbar kann man im öffentlich-rechtlichen Journalismus inzwischen Karriere auch ohne Grundkenntnisse der deutschen Grammatik machen. Korrekt hätte der Satz lauten müssen: »Die Vorwürfe, dass Ken Jebsen Antisemit sei und den Holocaust leugne, sind nicht haltbar.« Auf das Konditional-»dass« folgt stets der Konjunktiv. Oder wollte sich der RBB-Sprecher vielleicht subtil von der Entscheidung seines Senders distanzieren, indem er am Indikativ festhielt: »Ken Jebsen ist Antisemit und leugnet den Holocaust«?

originalton Inhaltlich zutreffend wäre das. Der 45-jährige Jebsen, der jeden Sonntag im RBB-Jugendradio »Fritz« vier Stunden lang seine Kultsendung »KenFM« präsentiert, hatte in einer Mail an einen Hörer, der sich über seine kruden Thesen zum Nahostkonflikt beschwert hatte, unter anderem geschrieben: »ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt. goebbels hat das gelesen und umgesetzt.«

Übersetzt in ortografisch und syntaktisch richtiges Deutsch, soll das wohl heißen: Beim Völkermord an den europäischen Juden haben die Nazis sich ihre Hetzmethoden bei den Opfern selbst abgeguckt. Die sind somit an ihrem Schicksal zumindest teilweise selbst schuld.

Außerdem weiß Ken Jebsen, dass auch Juden von ihresgleichen wenig halten: »henry kissinger selber jude hat für juden überhaupt nichts übrig. er hat selber gesagt als er von russischen juden gebeten wurde ihre ausreise nach israel zu ermöglichen, das für ihn zitat ›eine vergasung der russischen juden höstens ein ökonomisches problem sei‹.« Sprich, zwischen Nazis und Juden, jedenfalls solchen wie Kissinger (»was ist das grösste problem der juden? ihre führer«), gibt es eigentlich keinen moralischen Unterschied. Was man auch im Nahen Osten täglich sehen kann: »ich war in israel und habe mit holocaust opfern gesprochen. sie selber finden es widerwärtig was in ihrem namen passiert«.

Wer angesichts dessen dann immer noch von der Schoa spricht – sofern sie wirklich stattgefunden haben sollte: »verschanzen sie sich hinter ›geschichtlichen tatsachen‹« –, handelt nicht nur bösartig – »weniger hass könnte auch ihnen nicht schaden« –, sondern gefährdet den Weltfrieden, ja das Überleben der Menschheit insgesamt: »ich gehe überhaupt nicht davon aus das sie und ihre schwarz weiss feindbild zu erschüttern sind (...) ich denke der grösste teil meiner generattion und der jungen menschen haben es aber satt. wir können sehr wohl friedlich miteiander leben, wenn man uns den liese. (...) dieser planet hat schlicht die zeit nicht sich mit dieser steinzeitmethode vor dem globalen kollaps zu retten.«

allgemeingut Selten hat man die Glaubenssätze der Post-Auschwitz-Judenfeindschaft so komprimiert gelesen wie hier. Für den RBB aber offenbar nur eine lässliche Sünde. Ken Jebsen darf weiter senden, nachdem er sich halbherzig entschuldigt hat: Seine Mail sei »missverständlich« gewesen. »Missverständlich« nannte auch RBB-Hörfunkchefin Claudia Nothelle die Ergüsse ihres Moderators.

Warum können oder wollen die RBB-Verantwortlichen Antisemitismus nicht als solchen wahrnehmen? Eine mögliche Erklärung wäre, dass ähnlicher Mist auch in ihren eigenen Köpfen rumspukt. Denn was Ken Jebsen auf seine dümmliche Manier sagt, ist in etwas konventionellerer Form längst Allgemeingut. Dass die Juden ständig auf ihrer Verfolgung herumreiten, obwohl die doch schon ewig her ist; dass Israel mit den Palästinensern nicht besser umgeht als einst die Nazis mit den Juden; dass durch diese Politik die globalen Spannungen verschärft, wenn nicht überhaupt erst hervorgerufen werden; dass man das aber öffentlich nicht sagen darf, weil man sonst mit der »Auschwitzkeule« eins übergebraten bekommt – das ist in Deutschland längst gesellschaftlicher Konsens vom Stammtisch bis in den Salon, von der Linkspartei bis Norbert Blüm. (Fairerweise muss man sagen: nicht nur in Deutschland. Auch in den meisten anderen europäischen Ländern ist so etwas inzwischen Mainstream.)

allein gelassen Der Antisemitismus sei kein Problem der Juden, sondern gehe die ganze Gesellschaft an, lautet eine gängige Phrase, die bei 9.-November- oder Auschwitz-Gedenkfeiern gern zum Einsatz kommt. Das ist, wie jetzt wieder mal bewiesen, im besten Falle Wunschdenken. Die Wahrheit ist, dass Antisemitismus der beschriebenen Art hierzulande keinen juckt. Außer die Betroffenen selbst, natürlich. Doch wenn Juden gegen solche Sprüche protestieren, stoßen sie höchstens auf Unverständnis, vielleicht noch eine Art Mitleid für ihre angebliche Überempfind- lichkeit. Meist aber auf entschiedenen Widerspruch. Antisemit will schließlich keiner sein, und von Juden lässt man sich das schon gar nicht nachsagen. Dann wird die Stimmung leicht gereizt, und es fällt schnell der Satz, dass dieses Verhalten den beklagten Antisemitismus doch erst provoziere.

Exemplarisch konnte man das erst vergangenen Freitag wieder mal in der taz lesen. Dort schrieb Daniel Bax unter dem Titel »Hurra, wir knicken ein«: »Falsch ist es ..., gleich den Kopf einzuziehen, wenn der Vorwurf des Antisemitismus ins Spiel kommt. (...) Denn mit ihrem ängstlichen Bemühen, bloß kleinen Anstoß zu erregen, leisten die Verantwortlichen dem Vorurteil Vorschub, Juden besäßen in Deutschland eine besondere Macht.« Immerhin im Konjunktiv, danke. Vom Antisemitismus, um den man nicht so viel Aufhebens machen sollte, kommt Bax in einem eleganten Schlenker dann zu den wirklich Diskriminierten: »Gegen antijüdische Klischees anzugehen wird jedenfalls kaum gelingen, wenn man bei Vorurteilen gegen Muslime ein Auge zudrückt.« Habt Euch nicht so, Ihr Juden.

So liest und hört man das immer wieder, in der taz, im RBB, beim Friseur und im Kollegenkreis. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Keine Wochen der Brüderlichkeit können etwas ausrichten und keine Curricula für den Schulunterricht. Was Antisemitismus ist, bestimmt das deutsche Volksempfinden. Juden haben den Mund zu halten. Wenn es um sie selbst geht, sind sie nicht Teil des gern zitierten gesellschaftlichen Diskurses. Man nimmt sie nicht ernst. Offenbar verstehen wir uns nicht, die Juden und die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Und wenn es so weitergeht, haben wir uns bald nicht mehr viel zu sagen.

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025