Bildung

Mehr als nur zwei Stunden Reli

Lehrer müssen sich in Zeiten des Internets etwas einfallen lassen, um Schüler im Unterricht bei der Stange zu halten. Foto: Getty Images

Im Rheinland ist vom 10. bis 12. Jahrhundert das aschkenasische Judentum entstanden. Eine illustre Reihe wäre aufzuzählen von Rabbenu Gerschom Meor haGolah bis zu Maharam aus Rothenburg und vielen anderen. Wohlhabende Juden finanzierten Rabbiner, die teilweise einen Studentenkreis unterrichteten.

Mit der Verlagerung des demografischen Schwerpunkts nach Polen im 16. Jahrhundert bis 1648 entstanden dort auch Jeschiwot. Polnische Rabbiner wurden im 17. und 18. Jahrhundert im Westen eingestellt. Jüdische Kinder erhielten Unterricht von unverheirateten Lehrern, die auch Chasan und Schochet sein mussten. In vermögenden Familien wurden christliche Hauslehrer für allgemeine Fächer wie Korrespondenz, Rechnen oder Französisch eingestellt.

Die erste moderne jüdische Schule in Berlin

Der jüdische Aufklärer Naftali Herz Weisel hingegen kritisierte das traditionelle Schulwesen in seiner Schrift Diwrei Schalom weEmet, und auf Anregung von Moses Mendelssohn wurde 1778 die erste moderne jüdische Schule in Berlin ins Leben gerufen. Jüdische Volksschulen entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, auch jüdische Lehrerseminare in Kassel, Würzburg und Düsseldorf, sowie zwischen 1854 und 1873 die drei modernen Rabbinerseminare in Breslau und Berlin. Das deutschsprachige Judentum erfand den »Doktorrabbiner«, der Allgemeinbildung mit jüdisch-religiöser Bildung vereinbarte.

Allerdings führte die Verweltlichung zu einer Abnahme jüdischer Kenntnisse. Die Zuwanderung in große Städte ließ kleine Gemeinden eingehen, und in den 1920er-Jahren gab es an vielen Orten keinen jüdischen Religionsunterricht mehr.

Die Verfolgung ab 1933 führte bei vielen deutschen Juden zu einem vermehrten Interesse am Judentum. Kurz vorher waren die »Freien Jüdischen Lehrhäuser« nach dem Konzept von Franz Rosenzweig entstanden. Doch die Nazis zerstörten das jüdische Erziehungswesen.

In der Nachkriegszeit war es nicht sehr angesehen, als jüdischer Lehrer in Deutschland zu unterrichten.

Nach 1945 bildete sich eine kleine landsmannschaftlich heterogene Gemeinschaft. Etwa 25.000 Juden blieben in der Bundesrepublik. Die Gruppe war überaltert. Die Jewish Agency und der junge Staat Israel versuchten, Juden aus Westdeutschland zur Auswanderung zu bewegen.

In der Nachkriegszeit war es nicht sehr angesehen, als jüdischer Lehrer in Deutschland zu unterrichten. Deutschsprachige Israelis mit modern-orthodoxem Hintergrund wurden eingestellt. Nur in Fürth hatte sich ein ehemaliges Mitglied des Beit Din Warschau niedergelassen. Auf pädagogische Ausbildung wurde wenig Wert gelegt. Man war froh, wenn man überhaupt jemanden fand. Mitte der 60er-Jahre erkannte man den Mangel an jüdischem Wissen und gründete in München und Frankfurt jüdische Grundschulen.

Die Generation der Deutschsprachigen in Israel trat ab, und so sprach sich der badische Landesrabbiner Nathan Peter Levinson für ein »Jüdisch-Theologisches Seminar« aus, dem er gern vorstehen wollte.

In Heidelberg gründete der Zentralrat der Juden in Deutschland nach langen Debatten 1979 die Hochschule für Jüdische Studien, die vor allem für die Religionslehrerausbildung gedacht war. Sie war und ist für die Universität Heidelberg eine Art Judaistik-Institut. Einige Dutzend Lehrer und auch Rabbiner sind an ihr inzwischen ausgebildet worden.

Neugründung jüdischer Schulen nach 1993

Mit der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion wurden nach 1993 neue jüdische Schulen in Düsseldorf, Hamburg, Berlin und Stuttgart, in Berlin sogar eine Oberschule gegründet. Heinz Galinski hatte sich jahrzehntelang dagegen gewehrt. Er sah im »Zurück zur jüdischen Schule« den Weg zurück ins Ghetto.

Auch die Rabbinerausbildung fand wieder einen Platz in Deutschland, zuerst mit der Gründung des liberalen Abraham Geiger Kollegs 1999 in Potsdam, ab 2009 mit dem wiedergegründeten orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin. Hinzu kam später ein konservatives »Masorti«-Seminar mit dem Zacharias Frankel College.

Doch das Problem des jüdischen Religionsunterrichts bleibt davon unberührt. Zwei Lektionen in der Woche reichen für Schülerinnen und Schüler nicht aus – weder, um gut Hebräisch zu beherrschen, noch, um den Tanach zu kennen, und schon gar nicht die spätere Kommentarliteratur mit Talmud und Poskim, die jüdische Religionsphilosophie, die jüdische Geschichte und die traditionelle Lebenspraxis.

Leider ist vielen Eltern Klavierunterricht wichtiger als jüdischer Religionsunterricht.

Leider ist vielen Eltern Klavierunterricht wichtiger als jüdischer Religionsunterricht. In Baden und Hessen besucht nur die Hälfte aller jüdischen Kinder Religionsunterricht. Es ist zu befürchten, dass dies für ganz Deutschland gilt. Die große Mehrheit der Eltern wurde in einer atheistischen Gesellschaft sozialisiert und hat selbst kaum religiöse Kenntnisse.

Man bräuchte ein innerjüdisches »Likrat«-Programm für jüdische Kinder

Was tun? Mehr als die Hälfte der Juden in Deutschland lebt an Orten, wo es keine jüdischen Grundschulen gibt. Man müsste ein innerjüdisches »Likrat«-Programm für jüdische Kinder an kleinen Orten einführen. Und der Unterricht muss attraktiv sein, denn das Internet und die Computerspiele sind eine harte Konkurrenz.

An etwa zehn Orten in Deutschland sollte an mehreren Wochenenden für Schüler der fünften bis siebten Klassen eine Zusatzausbildung angeboten werden, etwa für Iwrit oder für Jüdische Geschichte, Fächer, die im »normalen« Religionsunterricht nicht vorkommen. Dazu sollten erfahrene Religionslehrpersonen von ihren Landesverbänden oder Gemeinden verpflichtet werden.

Es ist unrealistisch, wenn ultraorthodoxe Rabbiner für ihren Lebensstil werben, denn dieser ist zu weit weg von dem der Mehrheitsgesellschaft. Die Lubawitscher Bewegung ist zwar seit 44 Jahren in Deutschland tätig, aber mit wenig realem Erfolg, was die Umsetzung der von ihr gewünschten Lebensweise bei vielen ihrer Anhänger angeht. Ein Rückzug in die »jüdische Blase« ist kein erfolgversprechender Weg.

Gemeinsame Machanot (Sommercamps), etwa mit der Israelitischen Gemeinde Straßburg, könnten eine neue moderne europäisch-jüdische Gemeinschaft schaffen. Die Kinder der jüdischen Familien in Straßburg können eher vorleben, wie »Tora mit Derech Eretz«, Religion mit Allgemeinkultur, zu verbinden ist. Diese Gemeinde mit 11.000 Mitgliedern wäre ein wertvoller Partner für den Zentralrat der Juden für Jugendaktivitäten. Man muss auf jeden Fall mehr tun, sonst bricht die junge Generation in den Gemeinden weg.

Der Autor ist Schweizer Historiker. Er hat an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg gelehrt und war von September 2011 bis Juni 2023 Leiter der Alten Synagoge Essen.

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