Berlin

»Wenn ich eine Wolke wäre«

Mascha Kaléko (1907 - 1975) Foto: picture-alliance/ dpa

Berlin

»Wenn ich eine Wolke wäre«

Elf Jahre nach Kriegsende entdeckte Deutschland seine verlorene Dichterin wieder. Volker Weidermann gelingt ein berührendes Porträt der Lyrikerin

von Sibylle Peine  28.10.2025 10:42 Uhr

»Berlin kommt mir vor wie eine alte Jugendfreundin, die kaum einen Zahn im Munde hat«, schreibt Mascha Kaléko, als sie nach fast zwanzigjährigem Exil zurück in ihrer alten Heimatstadt ist, die ihr wie eine leicht verwahrloste Bekannte erscheint: »Aber manchmal geht doch ein Lächeln über diesen zahnlosen Mund, dass man die alte Freundin zu erkennen glaubt.«

Obwohl sie Berlin leicht verwildert vorfindet, ändert das nichts an ihrer Hochstimmung, endlich wieder in der geliebten, vertrauten Stadt zu sein, aus der die Nazis sie einst vertrieben hatten. Der Berlin-Aufenthalt wird zum Höhepunkt von Mascha Kalékos Deutschlandreise, die die jüdische Exilantin mit bangem Herzen antrat und die dann zu einem großen Triumph wird.

Eigentlich ist das Leben von Mascha Kaléko (1907-1975) bereits gut dokumentiert. Mehrere Biografien würdigen die bis heute beliebteste und erfolgreichste deutsche Dichterin. Der Journalist Volker Weidermann konzentriert sich in seinem Buch »Wenn ich eine Wolke wäre« allerdings auf ein einziges Jahr in Mascha Kalékos bewegter Existenz.

Krasser Bruch

Es ist das Jahr ihrer Deutschlandreise 1956, das die Dichterin wie in einem Rausch erlebte. Ihr alter Verlag Rowohlt plante eine Wiederauflage ihres einst so erfolgreichen Gedichtbandes »Das lyrische Stenogrammheft«, das im Jahr der NS-Machtergreifung 1933 erschienen war. Nach langem Zögern entschließt sich die seit 1938 in New York lebende Mascha der hartnäckigen Werbung nachzugeben. Ihre Deutschlandtour beginnt in Hamburg und führt sie über Stuttgart, München, Frankfurt nach Berlin.

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Während der ganzen Reise schreibt Mascha ihrem in New York verbliebenen Mann Chemjo Vinaver begeisterte Briefe, die die Grundlage von Weidermanns Buch bilden. Die Briefe sind nicht nur ein Spiegelbild ihres Seelenlebens, sondern auch der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zwischen Verdrängung und Wirtschaftswundergenuss.

Um Mascha Kalékos Begeisterung zu verstehen, muss man wissen, wie ihr Leben im New Yorker Exil aussah. Nach dem großen, frühen Erfolg als Dichterin in Berlin war die Zeit in den USA ein krasser Bruch. Zwar dichtete sie auch dort weiter, vor allem aber war sie Hausfrau und Mutter. Und jetzt plötzlich war sie also wieder die bewunderte Lyrikerin.

Unheilvoller Geist

Von deutschen Intellektuellen und Journalisten wird sie hofiert, von Empfang zu Empfang, von Abendessen zu Abendessen herumgereicht: »Es ist das Glück der plötzlichen Sichtbarkeit. Ihrer Person, ihrer Kunst. Maschas persönlicher Triumph nach den Jahren der Auslöschung«, beschreibt Weidermann ihren Enthusiasmus.  

Doch später wird sie die bittere Erfahrung machen müssen, dass der unheilvolle Geist der Vergangenheit in Deutschland immer noch herumspukt. 1960 lehnt sie den ihr zugedachten Fontane-Preis ab, als sie erfährt, dass in der Jury Hans Egon Holthusen sitzt, der einst SS-Standartenführer war. Im selben Jahre zieht sie mit ihrem Mann nach Jerusalem, eine tragische Fehlentscheidung, wie sich bald erweisen wird, da sie dort nie heimisch und glücklich werden sollte.

Mit großer, fast zärtlicher Sympathie beschreibt Weidermann Mascha Kaléko als Dichterin und Mensch. Nicht nur, dass er ihrem melancholisch-schönen Werk von frappierender Zeitlosigkeit seine Referenz erweist, auch ihrer anziehenden Persönlichkeit, die so viele Zeitgenossen faszinierte, kommt er in seiner einfühlsamen Beschreibung sehr nah. Es bleibt am Ende ein großes Bedauern, dass der Rausch des Jahres 1956 und die Hoffnung auf einen Neuanfang so schnell verflog. Ein dauerhafter Erfolg war Mascha Kaléko zu Lebzeiten nicht vergönnt. Wahrscheinlich wäre sie erstaunt und erfreut zu erfahren, dass bis heute über eine Million Exemplare ihrer Gedichte verkauft wurden.

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