»Es war einmal in Deutschland …«

Kein Märchen

Es war einmal ...» – so beginnen normalerweise Märchen, aber was Sam Garbarski (Der Tango der Rashevskis) in seinem neuen Spielfilm Es war einmal in Deutschland ... erzählt, ist kein Märchen, und darum trägt der Film vermutlich auch den Untertitel Bye bye Germany, was die Geschichte perfekt auf den Punkt bringt.

«Tschüss Deutschland», nichts wie weg aus dem Land, das den Juden so gründlich nach dem Leben getrachtet hat, dass die, die sich, an Leib und Seele schwer beschädigt, retten konnten, mit diesem Restleben nicht mehr viel anzufangen wussten. Also nichts wie weg, bevor die Deutschen es sich anders überlegen. Aber wie? Ohne Geld und nur mit fadenscheinigen Klamotten am Leib?

mottek Ein dreibeiniger Hund ist im Film dafür die – vielleicht etwas zu dick aufgetragene – Metapher, aber er rührt die Zuschauer. Der Straßenköter («Mottek») will ständig weglaufen, was ihm wieder glückt, bis Herrchen – bitter, aber praktisch – kurz überlegt, ihm noch ein Bein abzuhacken, damit er endlich bleibt, wo er ist. Keine Sorge, nur ein böser Scherz des David Bermann, umwerfend gespielt von Moritz Bleibtreu.

David ist ein Schlitzohr, gewieft, gerissen, charmant und einer, dem man alles abkauft. Bettwäsche ebenso wie seine aberwitzig-abenteuerliche Geschichte des eigenen Überlebens. Aber welche Geschichte des Überlebens war nach der Schoa nicht abenteuerlich und aberwitzig? Es war einmal in Deutschland ... spielt 1946 in Frankfurt am Main. David und seine jüdischen Freunde leben im DP-Camp Zeilsheim, einem der damals größten Lager für die, die nicht mehr wussten wohin und auf die niemand mehr wartete, weil keiner mehr da war. Sie hatten zwar überlebt, aber keine Pläne, wie man dieses Leben, so unerwartet zurückgewonnen, gestalten könnte.

Sam Garbarski erzählt auf der Grundlage der autobiografisch geprägten Romane von Michel Bergmann (Die Teilacher) mit scharfem Humor, wie Juden versuchen, sich ausgerechnet in Deutschland irgendwie wieder einzurichten: Indem sie wie David und seine Freunde von Tür zu Tür ziehen und denen Bettwäsche verkaufen, die sie gestern noch an die Gestapo verraten hätten. Das ist mit der sprichwörtlichen jüdischen Selbstironie erzählt, die zwar die miese Lage nicht besser macht, «die aber hilft, sie besser zu ertragen», wie Sam Garbarski aus eigener jüdischer Erfahrung weiß.

Als Garbarski zum ersten Mal Bergmanns Romane las, sei er eingetaucht in eine ihm fremde und doch irgendwie auch vertraute Welt: «Ich hatte das Gefühl, im Suppentopf meiner Mutter zwischen den Knödeln und Nudeln herumzuschwimmen.» Er sei gebannt gewesen von der ungebremsten Kunst des Überlebens derer, die die Hoffnung, zu überleben, nie aufgeben hatten. Die «Überlebensmedizin» sei der Humor gewesen, das Absurde, das Groteske. Deshalb dürfen auch nichtjüdische Zuschauer gerne und befreit mitlachen, gerade, wenn es bitterböse wird.

show Als etwa die Hausierer mit dem feinen Tuch bei einer üppigen deutschen Hausfrau läuten und ihre Ware anpreisen, wird die Dame stutzig. «Sie sind doch Juden, nicht wahr?» Da frotzeln die Ertappten gespielt verlegen zurück: «Ihnen kann man aber auch nichts vormachen, Frau Heydrich.» David hat sechs, jeder auf seine Art, geniale Alleinunterhalter für das Tuchgeschäft engagiert. «Wir sind die jüdische Rache – Hitler ist tot, aber wir leben noch», sagt einer von ihnen vor dem ersten, heillos überteuerten Verkauf.

Was zählt, ist die Show – und das schlechte Gewissen der Deutschen, die sich mit dem Erwerb von überteuerter Wäsche von der Schuld freizukaufen versuchen und die Juden schnell wieder vom Hof haben wollen. Das Geschäft brummt, wenn da nicht die ziemlich dubiose Vergangenheit von David Bermann wäre. Er soll für die Nazis gearbeitet haben, bis zu Hitler soll er vorgedrungen sein, um ihn auf dem Obersalzberg in die Geheimnisse des jüdischen Witzes einzuweihen. Ein Hofnarr, der so seine eigene Haut retten kann, aber niemanden aus seiner Familie.

Bleibtreu spielt all dies mit viel Ernst und gespielter Empörung gegenüber denen, die solchen Unsinn nicht glauben wollen, wie die US-Offizierin Sara Simon (Antje Traue), die der US-Geheimdienst auf David angesetzt hat. Attraktiv ist sie und unerbittlich. Sara, selbst Kind jüdischer Eltern, die rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnten, droht dem Charme des Hausierers zu verfallen. Das ist alles auf wunderbar feinsinnige, immer die Balance zwischen Klamauk und Tragödie haltende Weise erzählt: «Wie sind die denn ins KZ gekommen?», fragt Sara spitz. David: «Mit einer Limousine und Chauffeur, wie sonst!»

jiddisch Generell wird der Film, trotz der gebotenen Ernsthaftigkeit, nie larmoyant und tappt auch nicht in die «Jiddisch-Falle» vieler anderer deutscher Filme: Das Jiddisch der Überlebenden wirkt an keiner Stelle bemüht oder falsch. Jiddisch sprechen die, die es können, und nicht die, die es für den Film hätten lernen müssen.

Gut, dass auch Bleibtreu der Versuchung nicht erlegen ist und Sam Garbarski ihn davor bewahrt hat. Es war einmal in Deutschland ... ist deshalb auch kein Märchen, sondern es sind wahre Geschichten, die der Film erzählt, «und was nicht ganz wahr ist, stimmt trotzdem». Eine hinreißende und wenig deutsche Vergangenheitsbewältigung.

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