Kulturkolumne

Hoffnung ist das Ding mit Federn

Kulturkolumne

Hoffnung ist das Ding mit Federn

Niemand weiß, was nach dem Ende des Krieges passieren wird. Aber wer hätte zu hoffen gewagt, dass in diesen Zeiten noch ein Tag mit einem Lächeln beginnen kann?

von Sophie Albers Ben Chamo  16.10.2025 14:53 Uhr

Es war Donnerstag, der 9. Oktober 2025, kurz vor halb sieben Uhr morgens und noch herbstlich dunkel draußen. Ich wollte meinen Mann nicht wecken, der länger schlafen konnte, und hatte mich möglichst lautlos fertig gemacht, um zur Arbeit zu gehen.

Doch als ich im Flur gewohnheitsmäßig einen Blick auf die israelischen Nachrichten auf meinem Mobiltelefon warf, musste ich das erste Mal seit zwei Jahren lächeln. Ein leichtes Lächeln natürlich nur, denn die Hoffnung der Menschen, die sich um die Geiseln in Gaza sorgen, die ein Ende des Krieges und des Leids herbeisehnen, wurde in den vergangenen Monaten immer wieder bis zum Bersten strapaziert.

In meinem Kopf begann es, leise zu summen: »Die Geiseln kommen nach Hause. Sie kommen endlich nach Hause, vielleicht schon am Wochenende.« Das Summen wurde lauter. Und ich weckte meinen Mann, damit auch er lächeln konnte.

Es gab jedoch Menschen, die sich aus gutem Grund nicht trauten, zu lächeln, die sagten: »Ich glaube es erst, wenn es passiert.« Diese Antwort bekam ich vier Mal an diesem Tag, und ich wusste, dass sie recht haben. Andererseits hat meine beste Freundin in Tel Aviv am Telefon an diesem Morgen nur noch geweint, und sie ist einer der zynischsten Menschen, die ich kenne.

Ich wollte hoffen, mehr noch als sonst, was vielleicht auch mit dem Urlaub zusammenhing, aus dem wir am Vorabend zurückgekehrt waren. Der Abstand hatte offensichtlich meine Reserven gefüllt. Und so konnte ich lächeln. So wie meine Freundin endlich weinen konnte. Und so begann vielleicht die Heilung, die wir alle zum Weiterleben brauchen.

Niemand weiß, was nach dem Ende des Krieges passieren wird, wie es den Geiseln wirklich geht, ob Frieden wirklich möglich ist.

Niemand weiß, was nach dem Ende des Krieges passieren wird, wie es den Geiseln wirklich geht, ob Frieden wirklich möglich ist. Plötzlich hatte ich die Worte einer christlichen Amerikanerin im Kopf: »Die Hoffnung ist das Ding mit Federn / das in der Seele sich verbirgt / und Weisen ohne Worte singt / und niemals müde wird / Am süßesten klingt es in den Böen / und schrecklich muss der Sturm sein / der das Vögelchen erschrecken könnte / das so viel Wärme schenkt«, komponierte Emily Dickinson Ende des 19. Jahrhunderts ihr berühmtestes Gedicht, und ich höre und verstehe sie über die Zeiten hinweg.

So wie den großartigen, leider verstorbenen Rabbi Jonathan Sacks: »Die Hoffnung ist einer der größten Beiträge des Judentums zur westlichen Zivilisation, weshalb ich das Judentum als ›Stimme der Hoffnung im Dialog der Menschheit‹ bezeichne.« In derselben Abhandlung zitiert er den US-Soziologen Peter Berger mit den Worten: »Der Mensch existiert, indem er sein Sein ständig in die Zukunft ausdehnt, sowohl in seinem Bewusstsein als auch in seinem Handeln. Eine wesentliche Dimension dieser ›Zukunftsorientierung‹ des Menschen ist die Hoffnung. Durch die Hoffnung überwinden die Menschen die Schwierigkeiten des Hier und Jetzt. Und durch die Hoffnung finden sie einen Sinn angesichts extremen Leidens.«

Wer hätte in den letzten Tagen und Monaten dieser vergangenen zwei Jahre noch zu hoffen gewagt, dass ein Tag wie der 9. Oktober 2025 mit einem Lächeln beginnen könnte? Nun war es so weit. Ein Schritt nach vorn schien endlich möglich, in Richtung Leben, immer dem Ding mit Federn nach.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025