Nachruf

Grande Dame des Pop: Marianne Faithfull ist tot

Marianne Faithfull (1946 - 2025) Foto: picture alliance / empics

Ihre Stimme wurde in den letzten Jahren gern als kratzig beschrieben, auch mal als krächzend oder kaputt. Doch zu Beginn von Marianne Faithfulls Karriere Mitte der 1960er Jahre, im traurigen Lied »As Tears Go By«, klang sie noch ganz anders: mädchenhaft zart, schüchtern, verletzlich. Nach und nach wurde ihr Gesang dann vom Leben gegerbt und aufgeraut - und das war nun wirklich kein Zufall.

Blondes Symbol des »Swinging London« und Teenie-Mutter, zeitweise obdachloses Drogenwrack der 70er, Überlebende des Rock’n’Roll-Lebensstils, nach einem wundersamen Comeback hoch angesehene Songschreiberin, Charakterdarstellerin im Kino und schließlich Grande Dame des Pop: Der Lebensweg der Künstlerin mit jüdischem Familienhintergrund war ohne Übertreibung außergewöhnlich.

Nun ist sie im Alter von 78 Jahren in London gestorben, wie die britische Nachrichtenagentur PA unter Berufung auf einen Sprecher meldete. »Mit großer Trauer geben wir den Tod der Sängerin, Songschreiberin und Schauspielerin Marianne Faithfull bekannt«, hieß es in einer Stellungnahme, aus der auch andere Medien wie die BBC zitierten.

Beziehung mit Mick Jagger

Dass viele sie lange Zeit vorrangig als (Ex-)Freundin von Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger einordneten, hat die 1946 in London geborene Künstlerin oft geärgert. »Es wäre großartig, wenn mich die Leute als arbeitende Musikerin mit einem unglaublichen Werk sehen könnten«, sagte sie einmal. »Das ist viel wichtiger als mein sagenhaftes Leben. Das meiste ist eine Lüge, eine Klatschspalten-Version von mir.«

Und doch war es eben Jagger, der zusammen mit Keith Richards den ersten großen Hit seiner damaligen Flamme schrieb. Mehrfach kehrte Faithfull zu »As Tears Go By« (1964) zurück, diesem Schlüssellied ihres Lebens, interpretierte es neu mit ihrer veränderten Stimme: 1987, als reife Frau, und 2018, mit über 70 auf ihrem hervorragenden Alterswerk »Negative Capability«.

Lesen Sie auch

Damals sagte sie im Deutschlandfunk über den berührenden Jagger/Richards-Track, er stamme von »zwei Jungen, die noch nicht einmal Männer waren und aus der Perspektive einer älteren Frau schrieben. Es war ein außergewöhnlicher Song, und ich hatte großes Glück, dass sie ihn mir gaben.«

»Es hat mich kaputt gemacht«

Immer wieder geriet sie in die Schlagzeilen. Eine berüchtigte Razzia im Haus von Richards im Februar 1967, bei der sie dem Vernehmen nach nackt in einem Fell vor den Polizeibeamten stand, hing ihr lange nach. »Nacktes Mädchen auf Stones-Party« lautet die Schlagzeile des »Evening Standard«. Laut Faithfull geriet ihr Leben nach der Razzia aus den Fugen.

»Es hat mich kaputt gemacht«, schrieb sie in ihrer Autobiografie. »Wenn man als Mann drogenabhängig ist und sich so benimmt, gilt das immer als aufwertend und glamourös. Eine Frau in so einer Situation wird als Schlampe und schlechte Mutter betrachtet.«

Später feierte Faithfull, deren Mutter Jüdin war, und die zeitweise mit Hepatitis, Krebs und auch mit Covid-19 kämpfte, wieder musikalische Erfolge. Songwriter und Künstler wie Nick Cave begleiteten sie im Laufe ihrer Karriere ebenso wie Beck, PJ Harvey, Damon Albarn oder Jarvis Cocker.

»The Ballad Of Lucy Jordan«

Auf ihrer aus Trotz und Wut geborenen Songsammlung »Broken English« stach »The Ballad Of Lucy Jordan« hervor - eine Single, die Faithfull 1979 schlagartig wieder ins Bewusstsein einer breiten Pop-Öffentlichkeit zurückgebracht hatte, ein zweites Schlüssellied ihrer Laufbahn. Das dritte (mit direkter Verbindung zu den Drogen) ist der Stones-Song »Sister Morphine«, den Faithfull zusammen mit Jagger und Richards schrieb.

Als sie in den 80er Jahren endlich clean war, folgten weitere große Werke wie »Strange Weather« und »Before The Poison«. Zwischendurch begeisterte sie als Kurt-Weill-Interpretin und als Charakterdarstellerin im Kino, etwa in der Tragikomödie »Irina Palm«. Auf ihrem Album »She Walks In Beauty« sprach Marianne Faithfull nur, aber man hörte ihre Kurzatmigkeit. Nun starb sie umgeben von ihrer geliebten Familie, wie PA aus der Stellungnahme zitierte.

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025