Sprachgeschichte(n)

Gehackte Zores, seidene Zores

Vitali Klitschko hatte Zores mit seinem Gegner Derek Chisora. Foto: dpa

In ihrer Schrift Hat das Jiddische sein letztes Wort noch nicht gesprochen? (2009) urteilt Ursula Hohmann: »Jiddisch ist eine hart geprüfte Sprache, gebrannt im Feuer, geschmiedet durch Zores.« Das vom hebräischen Wort sara(h) für »Not, Bedrängnis, Kummer« stammende jiddische Lexem Zores hatte in der deutschen Umgangssprache lange seinen festen Platz. In Mittelwestdeutschland – dazu zählen Nordrhein-Westfalen, Hessen und Teile von Rheinland-Pfalz – stand es im alltäglichen Sprachgebrauch für »Unannehmlichkeiten, Ärger«. Heute gehört Zores hierzulande »wohl nur zum passiven Wortschatz«, wobei »die jüdische Konnotation nicht verloren gegangen« ist, so der Jiddist H. P. Althaus.

literatur Anders in Österreich. Dort hört man bis heute die Phrase »der hät an’n Zores g’häbt«. Die »Salzburger Nachrichten« beschrieben Ethan und Joel Coens Filmkomödie A Serious Man (2010): »Larry hat Zores, der Rabbi kann ihm nicht weiterhelfen«; im Wiener »Standard« war jüngst über Ungarn zu lesen: »Besonders der Bankensektor hat dem kleinen Land in Mitteleuropa derzeit einiges an Zores beschert.« Frappant umriss der Autor Peter Turrini kürzlich in der Zeitung »Die Presse« seine Angst vorm Tod: »Ich will keine Zores auf Vorschuss nehmen, sonst wird das Leben komplett unerträglich.«

Jede Menge Zores kennt die Literatur. In dem Roman Jude ans Kreuz (1928) beklagte Kurt Münzer die Nöte bei der Kindererziehung: »Statt Naches habense nebbich nichts als Zores mit se, die armen Eltern«. Karl Wolfskehl bat 1929 Elli Gundolf, ihm »keinen Zores« zu machen. »Zores haben wir genug«, lautet Volker Kühns Kabarett-Hörbuch mit Ausschnitten aus dem Programm des Jüdischen Kulturbundes der 30er-Jahre. Auch in der Gegenwartsliteratur und -kritik gibt es immer wieder Zores. Martin Mosebach resümiert in seinem Roman Eine lange Nacht (2003): »Wer das Leben kennt, weiß vor allem, wie man Zores vermeidet.« Und neulich schrieb Ulrich Weinzierl in der »Welt«: »Glückliche Zeiten, als man nur über die entfesselte Speisekarten-Lyrik in Gourmetrestaurants lachen musste! Diese ›seidenen Zores‹ sind bald endgültig vorbei.«

luxussorgen Als »seidene Zores« verulken Juden Luxussorgen. »Seine Zores und Rothschilds Geld möchte ich haben«, heißt ein gängiger Satz, sprich: seine Sorgen sind nicht so arg. Jedenfalls nicht so arg wie gehackte Zores. Michel Bergmanns Die Teilacher (2010) spielt im jüdischen Frankfurt/Main der Nachkriegszeit. Der plattfüßige Kellner Kohn tritt zu den Gästen: »Huhn aus, gefillte Fisch aus, Ochsenbrust aus, Tscholent aus. – David wusste: das bedeutete gehackte Leber, wie immer. – Kohn rief in die Küche: Einmal gehackte Zures!«

Wie viele der Leser die Doppeldeutigkeit wohl verstanden haben? Ein Sprichwort sagt: »Gehakte leber is besser vi gehakte tsuris.« »Gehackte Zores« steht für schwere Sorgen; verzagte Menschen sind »ojf gebrennte zures« oder »ojf gehackte zures«. Der Begriff ist auch in die nichtjüdische amerikanische Literatur eingegangen. In John Updikes Roman Rabbit at Rest (1991) heißt es an einer Stelle: »Sounds to me, my friend, like you got some tsuris. Not full grown yet, not gehakte tsuris, but tsuris.«

Auch Topsy Küppers’ musikalisch-literarischer Streifzug durch die jüdische Lebenswelt, mit dem sie in Wien gegen Antisemitismus kämpfte, hieß »Gehackte Zores«.
Leo Rostens Kommentar in seiner Enzyklopädie Jiddisch (2001): »Warum die Sorgen noch größer sind, wenn sie wie Hähnchenleber gehackt werden, ist mir ein Rätsel, aber ein starker Spruch ist das allemal.«

Theater

Die Krise des Schlemihl

»Sabotage« von Yael Ronen ist ein witziger Abend über einen Juden, der sich ständig für den Gaza-Krieg rechtfertigen muss

von Stephen Tree  17.12.2025

Forum

Leserbriefe

Kommentare und Meinungen zu aktuellen Themen der Jüdischen Allgemeinen

 17.12.2025

Zahl der Woche

30 Minuten

Fun Facts und Wissenswertes

 17.12.2025

Musik

Großes Konzert: Xavier Naidoo startete Tournee

Die Synagogen-Gemeinde Köln kritisiert: »Gerade in einer Zeit zunehmender antisemitischer Vorfälle ist es problematisch, Herrn Naidoo eine Bühne zu bieten«

 17.12.2025

"Imanuels Interpreten" (16)

Ethel Lindsey: Queer und funky

Die Französin mit israelischen Wurzeln bringt mit ihrem Debütalbum »Pretty Close« die 70er-Jahre zurück

von Imanuel Marcus  17.12.2025

Los Angeles

Rob und Michele Reiner: Sohn wegen zweifachen Mordes angeklagt

Am Vorabend des Mordes soll es Streit gegeben haben. Im Umfeld der Familie ist von Drogenproblemen die Rede, mit denen der Verdächtige Nick Reiner zu kämpfen habe

 17.12.2025

Österreich

Neue Direktorin für das Jüdische Museum Hohenems

Historikerin Irene Aue-Ben-David übernimmt die Leitung und bringt internationale Erfahrung aus Jerusalem mit

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Basel

Mann wollte Juden während des ESC angreifen

Kurz vor dem »Eurovision Song Contest« in der Schweiz wurde ein 25-Jähriger wegen konkreter Gewaltdrohungen festgenommen und ausgewiesen

von Nicole Dreyfus  16.12.2025

Berlin

Umstrittene 88: Der schwierige Umgang mit rechten Codes

Im Berliner Fußball sorgt die Debatte um die Rückennummer 88 und dem Hitler-Bezug für Kontroversen. Warum das Verbot erneut scheiterte und wie der Fußball insgesamt mit rechtsextremen Codes umgeht

von David Langenbein, Gerald Fritsche, Jana Glose  16.12.2025