TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

Das Leben im Untergrund in Berlin bringt Cioma Schönhaus (Louis Hofmann) zunehmend in Gefahr. Foto: ZDF / Christian Stangassinger.

Berlin 1942. Cioma Schönhaus ist Jude, jung, gutaussehend und charmant. Wie selbstverständlich bewegt er sich mitten in der Höhle des Löwen durch die Reichshauptstadt, in der die Nazis den Krieg steuern und den Holocaust planen. Doch Cioma lässt sich die Laune nicht verderben. Anstatt sich zu verstecken, speist er in Restaurants und besucht Bars; er fährt mit gefälschter Kennkarte in der Straßenbahn und geht ins Kino. Er gibt sich als Soldat auf Heimaturlaub aus und kriegt so die Frauen rum.

Louis Hofmann spielt diesen Cioma Schönhaus in »Der Passfälscher« als leichtsinnigen Filou, der sich mit Chuzpe und Einfallsreichtum durchs Leben schlägt. So ganz klar ist dabei nicht, ob er sich mit dieser Sorglosigkeit bewusst gegen die Nazis stellt oder nur gedankenlos seinem Hedonismus frönt. Ist er sich der Gefahr nicht bewusst? Oder liebt er das Risiko? Ist er ein Opportunist? Oder wünscht er sich insgeheim zu scheitern? Das Lächeln in Hofmanns Gesicht schlägt mitunter in Ratlosigkeit um; besser lassen sich die Ambivalenz und die Widersprüche seiner Figur nicht ausdrücken.

Eigentlich hatte Cioma Grafiker werden wollen; er kann zeichnen. Dieses Talent nutzt er nun, um im Auftrag des Widerstandskämpfers Franz Kaufmann (Marc Limpach) Pässe zu fälschen, mit denen zahlreiche Verfolgte des NS-Regimes aus Deutschland fliehen können. Einmal wird das Fälschen als Kunst bezeichnet, als Kunst, die Leben rettet. Cioma beherrscht dieses Handwerk immer besser; als Gegenleistung erhält er Lebensmittelkarten, die ihm - zusammen mit dem Verkauf seines Hausstandes - ein Auskommen garantieren.

Fälschen als Kunst, die Leben rettet

Mit seinem Freund Det (Jonathan Berlin) genießt er das Nachtleben und lernt die schöne Gerda (Luna Wedler) kennen. Doch plötzlich wird Kaufmann denunziert und Cioma von der Gestapo mit Steckbrief gesucht.

Cioma Schönhaus hat es wirklich gegeben. Er gehörte zu den etwa 7.000 Juden, die in Berlin während des Krieges untertauchten; nur 1.700 von ihnen haben überlebt. Vielen hat Schönhaus mit seinen gefälschten Pässen geholfen; er hat sich auch selbst gerettet und konnte kurz vor seiner Entdeckung in die Schweiz fliehen, wo er 2015 im Alter von 92 Jahren starb. Elf Jahre vorher erschien sein autobiografischer Bericht, den Maggie Peren als Autorin und Regisseurin nun adaptiert hat.

Das führt fast zwangsläufig dazu, dass der Film ganz aus der Sicht von Schönhaus erzählt ist. Der Krieg bleibt außen vor: Keine Bomben und keine Zerstörungen, kein Hunger und keine Toten. Selten einmal ertönen Alarmsirenen oder spielen Szenen auf der Straße. »Der Passfälscher« ist ein Film der Auslassungen und Andeutungen. Diese Abwesenheit des Krieges und der NS-Gräuel nimmt Peren bewusst in Kauf. Sie konzentriert sich ganz auf das Porträt eines Überlebenskünstlers, der sich zwischen Hallodri und Held trotz Schikanen und Verfolgung einen unerschütterlichen Optimismus bewahrt. Ein Jude nicht als Opfer, sondern als Schelm: diese Ambivalenz macht die Figur des Cioma Schönhaus so interessant.

Antisemitismus und Rassismus der deutschen Bevölkerung werden deutlich

Darüber hinaus ist der Film auch die Geschichte einer großen Freundschaft, denn ohne die Fürsorge von Det könnte Cioma in manchen Situationen nicht bestehen. Seine verhaltene Spannung bezieht der Film aus der Frage, ob Cioma gefasst wird oder nicht. Peren schildert seinen Alltag in Innenräumen, die stets auch Schutz- und Rückzugsräume sind: in der Rüstungsfabrik, in der Cioma kurzfristig arbeitet und so seiner Deportation entgeht, den Restaurants, in denen er neben Nazi-Größen sitzt, in der Straßenbahn, die er unvorsichtigerweise benutzt, oder der Wohnung, die immer leerer wird.

Gerade in diesen Szenen wird der Antisemitismus und Rassismus der deutschen Bevölkerung deutlich. Obwohl die Nazis die Möbel der Familie Schönhaus schon beschlagnahmt haben, versucht eine habgierige Nachbarin, sie schamlos dennoch an sich zu reißen. Eine monströse Figur, die von Nina Gummich ins Extrem getrieben wird. Die These von der Kollektivschuld der Deutschen: Hier ist sie einmal mehr schmerzhaft anschaulich.

»Der Passfälscher«, Freitag, 7. November, 20.15 - 22.05 Uhr, 3sat

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  20.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  20.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

»Jay Kelly«

In seichten Gewässern

Die neue Netflix-Tragikomödie von Noah Baumbach startet fulminant, verliert sich dann aber in Sentimentalitäten und Klischees

von Patrick Heidmann  20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025