Literatur

Die Tochter des Rabbiners

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Die Tochter des Rabbiners

Frank Stern erzählt eine Familiengeschichte zwischen Wien, Ostpreußen, Berlin und Haifa

von Maria Ossowski  13.10.2025 13:18 Uhr

Töchter hören zu, bewahren die Geschichten und geben sie weiter. So entsteht das dichte Gewebe einer jüdischen Familiensaga aus weiblicher Perspektive, einfühlsam erzählt – von einem Mann. Der Kulturwissenschaftler Frank A. Stern ist den Spuren seiner Herkunft gefolgt. Die Spuren der Kaufmannsfamilie Cronheim reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Sie beginnt in Wien mit dem Handel von Tüchern, Stoffen und Gläsern, bis zur Flucht 1670 ins ferne Preußen, wo der Kurfürst Juden Schutz gewährt.

Die »Tochter des Rabbiners«, der Autor verzichtet auf Namen und verleiht den Figuren damit eine schwebende Überzeitlichkeit, war Kauffrau, die den Grundstein für das Familienvermögen legte. Ihr Bruder hatte eine »Kreuzgläubige« geheiratet und war zum Christentum konvertiert. »Ich habe nur noch eine Tochter. Du bist nicht mehr mein Sohn«, verkündete der Rabbi und nahm erstaunt wahr, dass diese einzige Tochter gelehrter argumentieren konnte als er selbst und zur Institution der aufstrebenden Gemeinde wurde.

Die Beschreibung der Vergewaltigung einer »kleinen Kronheim« durch einen Prokuristen im Geschäft des Vaters ist kaum zu ertragen.

Die Familie wuchs, die Kronheims, jetzt mit dem Anfangsbuchstaben K, waren als ehrbare Kaufleute anerkannt. Eine Erfolgsgeschichte bis in die »Seinerzeit«. So nennt Sterns Familie jene Jahre, die jüdisches Leben ab 1933 vernichteten. Das alte Ostpreußen, nach dem Krieg verklärtes Land der Vertriebenenverbände, war auch Heimat für bis zu 13.000 Juden. Die Geschichte ihrer Verfolgung wurde verdrängt vom Elend der Flüchtlinge, die vor der Roten Armee gen Westen flohen.

Was den Juden, welche Gewalt ihren Frauen und Töchtern »seinerzeit« in Ostpreußen angetan wurde, gehört zu den erschütterndsten Erzählungen des Romans. Die Beschreibung der Vergewaltigung einer »kleinen Kronheim« durch einen Prokuristen im Geschäft des Vaters ist kaum zu ertragen. Die Tochter gebar ihre Tochter im Geheimen (auch der Autor kam bei Königsberg im Verborgenen zu Welt), russische Soldaten befreiten und beschützten die Familie bei der Reise durch Polen. In Berlin und Haifa schließen die Töchter wieder den Bund mit den Erinnerungen und den Ahnen. Sterns Buch ist ein Meisterwerk historisch-literarischer Spurensuche, ein feiner, unbedingt lesenswerter Roman.

Frank Stern: »Die Suche der Töchter. Kronheims Zeiten. Romanbiografie einer jüdischen Familie«. Vergangenheitsverlag, Berlin 2025, 272 S., 18 €

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