JFBB

Die bessere Berlinale

Den Schmerz der anderen wahrnehmen, das Leid beider Seiten zeigen: Im israelischen Film Of Dogs and Men ist gelungen, was seit dem 7. Oktober 2023 oft scheitert. Das Dokudrama, beim 31. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) gezeigt und ausgezeichnet, wurde größtenteils im November 2023 im Kibbuz Nir Oz an der Grenze zu Gaza gedreht, den Hamas-Terroristen bei ihrem Angriff am 7. Oktober auf Israel überfallen und dabei zahlreiche Bewohner ermordet oder als Geiseln nach Gaza verschleppt hatten.

Mehrere Darsteller stammen aus Nir Oz und spielen sich selbst – außer der Schauspielerin Ori Avinoam, die Dar verkörpert, eine fiktive Figur, die sehr nah an die Realität angelehnt ist. Die 16-Jährige überlebte, so die Handlung, den Hamas-Angriff unter einem Bett versteckt, während ihre Mutter von den Terroristen nach Gaza verschleppt wird.

Zehn Tage danach ist der Kibbuz militärisches Sperrgebiet. Heimlich schleicht sich das Mädchen zurück, um nach ihrer verschwundenen Hündin zu suchen, und begegnet auf der Straße nach Nir Oz einem TV-Team aus dem Ausland, das sie ein Stück im Auto mitnimmt. Dort hört die 16-Jährige ein Telefonat über Lautsprecher mit einem Palästinenser aus Gaza. Der Mann berichtet von einem Bombenangriff der israelischen Armee, bei dem mehr als 20 Mitglieder seine Familie getötet wurden – unter ihnen mehrere Kinder. Und er nennt ihre Namen.

Der Schwerpunkt der Bilder liegt auf dem Horror des 7. Oktober, den verkohlten Wänden und verwüsteten Häusern des Kibbuz Nir Oz, doch auch Gaza ist präsent. Es ist erschreckend zu sehen, wie viele Häuser dort im November 2023 noch standen, im Gegensatz zu heute, nach der Zerstörung von mehr als eineinhalb Jahren Krieg.

Videoclips aus Gaza mit Bildern toter palästinensischer Kinder

Gaza erscheint in Videoclips, die Dar auf ihrem Handy streamt, mit Bildern toter palästinensischer Kinder, abwechselnd mit Videos vom Überfall auf Nir Oz und der entführten Shiri Bibas und ihrer kleinen Söhne Ariel und Kfir – damals war noch nicht klar, dass Hamas-Terroristen sie wohl schon zum Zeitpunkt des Drehs mit bloßen Händen erwürgt hatten. Und Gaza wird nachgezeichnet in einer Video-Animation, in der Dars Hündin die Grenze überwindet und Schutz findet bei einem palästinensischen Jungen, der seinerseits Zuflucht sucht vor Israels Luftangriffen.

Of Dogs and Men ist mit 80 Minuten ein kurzes Werk – und als Hybrid zwischen Doku und Spielfilm keineswegs perfekt. Dennoch ist dem Film ein großes Publikum zu wünschen, weil er vor allem junge Zuschauer ansprechen könnte, die wie Dar auf TikTok und Telegram unterwegs sind.

»Der Krieg muss enden, und die Geiseln müssen freigelassen werden«, betonte Jeanine Meerapfel.

»Guten Abend. Bevor wir den Gewinner bekannt geben, würde die Jury gerne ein kurzes Statement abgeben. Der Krieg muss enden, und die Geiseln müssen freigelassen werden.« So begann die Regisseurin Jeanine Meerapfel, Mitglied der JFBB-Spielfilmjury, ihre Rede bei der Verleihung des Gershon-Klein-Spielfilmpreises an den Regisseur von Of Dogs and Men, den Israeli Dani Rosenberg, am vergangenen Freitag in Berlin.

Kontroverses Statement bei der Preisverleihung

Rosenbergs Danksagung fiel weniger ausgewogen aus. Er stellte die berechtigte Frage, »was wir mit unserem Schmerz machen. Nutzen wir ihn, um andere zu sehen, oder um aufzuhören, zu sehen?«. Doch um Kritik an der israelischen Kriegsführung auszudrücken, schlug der Regisseur anschließend eine hochumstrittene Formulierung vor: »Wir können sagen: ›ethnische Säuberung‹.«

Die Moderatorin der Preisverleihung, Hannah Dannel, wies darauf hin, dass die Anwendung des Begriffs »ethnische Säuberung« mit Blick auf das israelische Vorgehen sehr kontrovers diskutiert wird. Das Publikum applaudierte dem Regisseur trotzdem.

Zum Hintergrund: Der Begriff »ethnische Säuberung« wurde in Deutschland vor allem im Zusammenhang mit den Kriegen im früheren Jugoslawien bekannt. Auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung steht: »›Ethnie‹ ist ein griechisches Wort und bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die die gleiche Kultur oder Abstammung verbindet. Wenn eine solche Gruppe verfolgt und vertrieben wird, spricht man von ›ethnischer Säuberung‹.« Israels Regierung bestreitet diesen Vorwurf vehement. Premier Benjamin Netanjahu rechtfertigt den anhaltenden Krieg in Gaza mit den Zielen, die Terrororganisation Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien.

Auch der Dokumentarfilmpreis des Festivals ging an einen Film über die Folgen des 7. Oktober: Holding Liat des US-Regisseurs Brandon Kramer über eine israelische Geisel, die im November 2023 von der Hamas freigelassen wurde. Eine lobende Erwähnung erhielt The Belle from Gaza der Französin Yolande Zauberman. Die Doku gibt seltene Einblicke in das Leben arabischer Transfrauen in Tel Aviv.

Nachwuchspreis für das Spielfilmdebüt »Come Closer« aus Israel

Mit dem Preis für den interkulturellen Dialog wurde der Film Jacob de Haan: A Voice Out of Time von Zvi Landsman bedacht. Den Preis zur Förderung des filmischen Nachwuchses bekam die israelische Regisseurin Tom Nesher für ihr Spielfilmdebüt Come Closer. Die Geschichte mit großartigen Hauptdarstellerinnen (Lia Elalouf und Darya Rosen) über zwei junge Frauen, die den Tod ihres Brudes beziehungsweise Freundes verkraften müssen und sich dabei sehr nahe kommen, war mit mehreren Ophir Awards (den israelischen Oscars) ausgezeichnet worden.

»Wir alle leben im selben Land, und wir alle lieben das Kino«, sagte Baher Agbariya.

Wie Dialog gelingt, zeigte die JFBB-Reihe »Juden und Araber im israelischen Kino – (Un-)Möglichkeiten eines Dialogs?«. »Wir alle leben im selben Land, und wir alle lieben das Kino«, bekannte der Producer Baher Agbariya. Ihn interessiere Qualität, nicht Identität.

Bei der Premiere eines Films, den er mit der palästinensischen Regisseurin Maha Haj aus Haifa gedreht hatte, sei er als der »israelische Producer« vorgestellt worden. Um Boykotte in arabischen Ländern zu vermeiden, habe Haj einen weiteren Spielfilm, Mediterranean Fever (2022) ohne Geld aus Israel produziert. Er selbst sei daraufhin beim Filmfestival Cannes als der »palästinensische Producer« vorgestellt worden. »Aber ich bin immer noch derselbe.« Befreites Lachen im Publikum.

Als arabischer Palästinenser aus Israel, so Agbariya weiter, sei es schwierig, in der arabischen Welt Mittel für Filmförderung einzuwerben. Private Spender aus Israel hätten kein Interesse an palästinensischen Geschichten. »Und sorry, das klingt vielleicht nicht so gut, aber die Palästinenser investieren nie in Kultur oder Kino.«

Antiisraelischer Boykottaufruf gegen Dani Rosenbergs Film in Venedig

Auch für jüdische Filmemacher aus Israel sind die Zeiten nicht leicht. Die Regisseurin Danel Elpeleg berichtete von der Kampagne eines rechten Aktivisten gegen ihren Film The Governor. Neta Shoshani hofft bisher vergeblich auf einen Sendetermin im israelischen Fernsehen für ihre Doku 1948: Remember, Remember Not. Und gegen Dani Rosenbergs Of Dogs and Men gab es beim Filmfest in Venedig einen antiiraelischen Boykottaufruf. Einig waren sich am Samstag dennoch alle Panelisten, sich weiter um Mittel beim Israeli Film Fund zu bewerben, weil dieser nach wie vor für Meinungsfreiheit stehe, auch wenn dies international zu Boykotten führe.

Unterdessen stellte Baher Agbariya einen vielversprechenden Trailer zu seinem neuen Spielfilm The Sea über einen Jungen aus Ramallah vor, der endlich das Meer sehen will. Friedliche Filme über den Alltag, lokale Geschichten hätten es derzeit schwer – gefragt seien Blut, Bomben und Raketen. Wo die Premiere in Israel stattfindet, kann Agbariya derzeit noch nicht verraten. Sicher scheint nur: Er läuft 2026 beim JFBB.

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