Glosse

Der Rest der Welt

Foto: Getty Images

Glosse

Der Rest der Welt

Tscholent mit Cola? Warum ich die Nachbarn in Holland beneide

von Margalit Edelstein  16.04.2024 17:41 Uhr

Neulich war ich zu einem Kiddusch eingeladen, in ein ehemaliges Kloster, jetzt zur Synagoge umfunktioniert, ein morsches altes Gemäuer. Ein bisschen Harry-Potter-Style, etwas vergammelt, mit einem monumentalen, bemoosten Eingangsportal, aber irgendwie ganz heimelig. Als ich am Samstagmorgen geschniegelt und gebügelt in meinen High Heels angestöckelt kam, war der Eingang von einem riesigen morschen Holzkarren versperrt, der einen seltsamen Geruch ausströmte und in einer großen Öl-Lache stand.

Vorsichtig schob ich mich daran vorbei. Die Tür war mit einem Zahlenschloss aus Metall gesichert, ich versuchte, den richtigen Code einzutippen, glitt aber jedes Mal ab, weil die Tasten von einer schmierigen Ölschicht bedeckt waren. Schließlich rettete mich der Hausmeister im fett-fleckigen blauen Overall und schloss das Tor von innen auf.

»Was ist das für ein schmieriger Karren, und warum ist das Eingangsschloss voller Öl?«, fragte ich. »Sehen Sie doch, der Tscholent für den Kiddusch wurde gerade angeliefert, der Tscholent-Karren steht ja noch da, falls Sie den Weg zur Damensynagoge suchen: immer der Ölspur nach, am Kidduschsaal vorbei, Treppe links hoch«, grummelte Mr. Fettfleck.

Ich folgte also der Ölspur – vor allem dem durchdringenden Tscholent-Geruch – und fragte mich, warum wir uns eigentlich jede Woche diesen unsäglichen Schlangenfraß reinziehen, der einem noch tagelang schwer im Magen liegt. Die Antwerpener haben sich im Lauf der Jahre eben einen richtigen Beton-Magen antrainiert, und sowieso: Tscholent und den dazugehörigen schleimigen eingelegten Hering zum Kiddusch essen hier nur die Männer, die Damen knabbern höchstens an den altbackenen Crackern.

Ich kenne keine einzige Person, die einen anständigen Tscholent serviert, außer meiner Mutter und meinen beiden Tanten.

Ich kenne keine einzige Person, die einen anständigen Tscholent serviert, außer meiner Mutter und meinen beiden Tanten, die allesamt das original-ungarische Rezept sorgsam hüten. Das perfekt austarierte Verhältnis von Bohnen, Graupen und Tscholentfleisch ist streng geheim. Klar ist nur: bloß keine Kartoffeln, um Himmels Willen, denn das ist die polnische Variante.

Ich habe außerdem schon von den furchtbarsten Tscholent-Ingredienzen gehört: Eine Freundin von mir gibt (würg!) Ketchup dazu, eine andere schwört auf eine halbe Flasche Cola als Geheimzutat, die dritte ist (grusel!) total stolz auf ihren Tscholent »Hawaii« mit Ananas und Rosinen. Auch von Kaffee, Pflaumen und sogar Chocolate-Chips habe ich schon gehört.

Das »Mishpacha«-Magazin hat neulich eine Umfrage durchgeführt, bei der sich herausstellte, dass 16 Prozent ihren Tscholent lieber süß als salzig mögen, 63 Prozent sich weigern, am Sonntag aufgewärmte Tscholent-Reste serviert zu bekommen und sieben Prozent am Samstagmorgen einfach kein Frühstück herunterbekommen, weil das ganze Haus nach dem Tscholent riecht, der die ganze Nacht im Ofen war.

Zu beneiden sind da unsere Nachbarn in Holland. Bei denen wird meist überhaupt kein Tscholent serviert. Ich habe mir sagen lassen, dass es in Holland zum Kiddusch stets Kaffee und Kuchen gibt, und zum Schabbat-Mittagessen Käsebrot oder Pizza. Über den genauen Grund für diese faszinierende kulturelle Variante schweigen meine Quellen sich aus. Falls Sie dazu nähere Infos haben – Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen.

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025