Neuerscheinung

Der alte Mann und die Erotik

Wieder zurück: Albert Schmidt, hier dargestellt von Jack Nicholson Foto: cinetext

Nach über zehnjähriger Pause geht es endlich weiter mit Louis Begleys pensioniertem Anwalt Albert Schmidt. Noch vor der amerikanischen Originalausgabe Schmidt Steps Back, die erst im März 2012 herauskommt, ist Begleys neuer Roman soeben in der treffsicheren Übersetzung von Christa Krüger als Schmidts Einsicht auf Deutsch bei Suhrkamp erschienen. Darin erleben wir den 2002 in About Schmidt von Jack Nicholson grandios im Kino verkörperten Herrn mit den tadellosen Manieren und den manchmal zweifelhaften Ansichten altersmilde. Aber keineswegs altersmüde.

In seinem neunten Roman nimmt der 1933 als Ludwig Beglejter in Polen geborene Schoa-Überlebende Begley den Erzählfaden wieder auf, den er 1997 mit Schmidt ausgelegt und 2001 mit Schmidts Bewährung weitergesponnen hatte. Zwischenzeitlich hatte der in 15 Sprachen übersetzte Bestsellerautor Prosawerke wie Schiffbruch (2003) und Ehrensachen (2007) publiziert sowie den kritischen Essay Der Fall Dreyfus: Teufelsinsel, Guantánamo, Alptraum der Geschichte.

alter ego Begley war 45 Jahre Anwalt in einer großen New Yorker Kanzlei. Kaum verschlüsselt bildet sein eigenes Wirken in Paris als international agierender Vertragsrechtler den Hintergrund für Schmidts Kampf mit der Liebe und der Libido.

Am ersten Tag des Jahres 2009 freut sich der 78-jährige Ruheständler Schmidt (zufällig ist er genauso alt wie sein literarischer Schöpfer Begley), der als Anwalt zu Ansehen und Vermögen gekommen war, auf einen Neubeginn: in der US-Politik mit Barack Obama, in der Liebe mit seiner verwitweten Bekannten Alice Verplanck, einer jüdischen Diplomatentochter, die Schmidt einst in Paris kennenlernte. Ein Rückblick führt uns an die Seine, wo die beiden sich 1995 erstmals begegneten. Alices Mann, ein Mitarbeiter von Schmidts Kanzlei, war gerade erst gestorben.

Die Witwe erzählte Schmidt ihre Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt die Ermordung ihrer kompletten mütterlichen Verwandtschaft in Auschwitz und Bergen-Belsen stand. Jetzt, 14 Jahre später, besucht Alice Schmidt zum Jahreswechsel in seinem Haus im vornehmen Bridgehampton auf Long Island. Die 63-Jährige soll die emotionale und erotische Lücke füllen, die Carrie bei ihm hinterlassen hat, jene 22-jährige puertoricanische Kellnerin aus Schmidts Bewährung, die Schmidt sitzen ließ und nun ein Kind erwartet, vielleicht von ihm, möglicherweise aber auch von ihrem neuen Lover.

frauen Schmidt, noch immer beruflich aktiv als Chef einer Stiftung, hat – darin einigen Figuren der jüngeren Philip-Roth-Romane ähnlich – bei voller geistiger Leistungsfähigkeit mit nachlassender körperlicher Vitalität zu kämpfen. Carrie hatte ihn an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit im Bett gebracht; mit Alice kann er diesen Aspekt etwas gelassener angehen. Alles wäre vergleichsweise gut, wenn Schmidts anstrengende Tochter Charlotte, auch sie schwanger, den alten Mann nicht so auf Trab halten würde.

Charlotte laboriert an ihrer unglücklichen Ehe mit Jan Riker, einem arroganten jüdischen Anwalt und Schmidts juristischem Ziehsohn. In den ersten beiden Bänden der Trilogie hatte Riker den prototypischen weißen angelsächsischen Protestanten Schmidt gelegentlich zu antisemitischen Ausfällen provoziert. Inzwischen ist der alte Mann auch in diesem Punkt zurückhaltender geworden.

Und so genießt der frisch verliebte Witwer einen Martini nach dem anderen und wartet auf die Klärung von drei drängenden Fragen, die alle mit Frauen zu tun haben: Wird er noch einmal Ehemann (von Alice)? Wird er noch einmal Vater (des Kinds von Carrie)? Und wird er endlich Großvater (durch Charlotte)?

Louis Begley hat erst mit 57 Jahren begonnen zu schreiben. Sein umfangreiches Werk ist – nicht zuletzt durch den Einfluss seiner Frau Anka Muhlstein, einer 1935 in Paris geborenen Historikerin und Biografin – geprägt von der Orientierung an Europas Kultur, seinen Städten, Denkern und Künstlern. Und seiner Küche. Denn kulinarische Genießer sind sie beide – der Autor ebenso wie sein Held Schmidt, der in diesem Buch wohl seinen letzten Auftritt hatte.

Louis Begley: »Schmidts Einsicht«. Übersetzt von Christa Krüger, Suhrkamp, Berlin 2011, 415 S., 22,90 €

Sachbuch

Aus dem Leben einer Rebellin

Gerhard J. Rekel hat der jüdischen Sozialaktivistin Lina Morgenstern eine lesenswerte Biografie gewidmet

von Gerhard Haase-Hindenberg  12.09.2025

TV

Auch Niederlande drohen mit ESC-Boykott, wenn Israel teilnimmt

Gastgeber Österreich hat sich bereits eindeutig für eine Teilnahme Israels ausgesprochen

 12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Nach Canceln in Gent

Solidarität in Berlin: Konzert mit Lahav Shani

Der israelische Dirigent und die Münchner Philharmoniker treten am Montag beim Musikfest Berlin auf

 12.09.2025

Belgien

Prosor: Ausladung von Shani »purer Antisemitismus«

Der israelische Dirigent Lahav Shani darf nicht auf dem Flanders Festival Ghent auftreten, weil er sich nicht genug vom Vorgehen Israels in Gaza distanziert habe. Das sorgt international für Kritik

 12.09.2025

Streaming

»Verstehen statt behaupten«

Ein Gespräch mit Dan Shaked über seine Abneigung gegen Petitionen, das Spionagedrama »The German« und den Dreh mit Schauspielkollege Oliver Masucci

von Katrin Richter  12.09.2025

Sehen!

»Humans 2.0«

Die Suche nach dem Moment des perfekten Gleichgewichts – das australische Ensemble »Circa« gastiert in Berlin

von Bettina Piper  12.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  12.09.2025

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025