Bundestag

»Dass Frau Schormann immer noch im Amt ist, ist eine Zumutung«

Seit Monaten tobt eine heftige Diskussion um Antisemitismus auf der Kasseler Kunstschau documenta. Am Mittwoch befasste sich nun auch der Kulturausschuss des Bundestages mit den judenfeindlichen Vorfällen.

Zu dem als »Fachgespräch« angekündigten, zweistündigem Austausch mit den Abgeordneten waren Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, Ade Darmawan vom indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa sowie die Kulturstaatsministerin des Bundes, Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen), ins Parlament gekommen.

KOPFSCHÜTTELN Sabine Schormann, die Generaldirektorin der documenta, musste ihre Teilnahme kurzfristig absagen – wegen »einer Erkrankung mit hohem Fieber«, wie die Ausschussvorsitzende Katrin Budde (SPD) zu Beginn der Sitzung mitteilte. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), ließ sich aus Termingründen entschuldigen. Geselle hatte stattdessen die Mitglieder des Ausschusses eingeladen, für ein Gespräch mit ihm nach Kassel zu kommen, was bei zahlreichen Abgeordneten zu Kopfschütteln führte.

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Claudia Roth (Bündnis90/Die Grünen) übte bereits in ihrem Eingangsstatement vor dem Ausschuss scharfe Kritik an den Verantwortlichen in Kassel. »Ein Versagen in der Planung und Durchführung der documenta« und »ein Wortbruch« sei das gewesen. Sie habe die Kunstschau verteidigt, aber es gebe Grenzen der Kunstfreiheit. »Die wurden hier überschritten, und das muss Konsequenzen haben«.

EINFLUSS Auf Nachfrage der CDU-Abgeordneten Gitta Connemann sagte Roth, bereits im Januar habe sie den documenta-Verantwortlichen einen Austausch über die Frage des Antisemitismus auf der Kunstschau vorgeschlagen. Man sei im März extra nach Kassel gefahren und habe sich mit den Kuratoren und Künstlern getroffen. »Es war nicht durchsetzbar«, so Roth.

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Der Bund sei in den entsprechenden Gremien seit 2018 nicht mehr vertreten und habe auch sonst keine Handhabe gehabt, institutionell auf die Macher der documenta einzuwirken. »Das wird sich ändern müssen«, betonte Roth. Auch in Zusammenarbeit mit der Regierung in Israel wolle sie darauf hinwirken, dass israelische Künstler nicht ausgegrenzt würden. Sie sei sich bewusst, dass dies beispielsweise in Großbritannien heutzutage ein großes Problem sei.

ANGST Daniel Botmann bestätigte, dass die BDS-Bewegung auch für jüdische Künstler in Deutschland ein großes Problem sei. »Wenn sie Angst haben, als jüdische Künstler erkannt zu werden, weil sie sonst nicht mehr eingeladen werden bei Festivals und anderen Veranstaltungen, dann hat BDS eine starke Rolle im künstlerischen Milieu.« Das strukturelle Problem sei real, fügte er hinzu.

Der Zentralrat der Juden fordert personelle Konsequenzen, namentlich den Rückzug Schormanns aus der Leitung der documenta-Trägergesellschaft.

Zuvor hatte der Zentralratsgeschäftsführer in seinem Eingangsstatement kein Blatt vor den Mund genommen. Der Skandal um die documenta fifteen habe zu einem »massivem Vertrauensverlust für uns Juden in Deutschland gegenüber der kulturellen Elite« geführt. »Wir sitzen heute hier und begutachten einen Scherbenhaufen«, stellt Botmann klar.

ENTSETZEN Am Anfang hätten vor allem Fragen gestanden. Später sei dann der Ärger und am Ende das Entsetzen gekommen, »das Entsetzen über übelste antisemitische Darstellungen vor den Augen der Welt und der Schock über das unverzeihliche Verhalten der Leitung der documenta danach, namentlich von Frau Schormann und des Kassler Oberbürgermeisters, Christian Geselle.«

Die documenta habe zu einem massivem Vertrauensverlust für Juden in Deutschland gegenüber der kulturellen Elite geführt, betonte Botmann.

Man sei im Vorfeld auf die documenta-Verantwortlichen zugegangen, um auf problematische Dinge hinzuweisen und »eine ehrliche Befassung mit den eigenen Einstellungen und denen der Kuratorengruppe und Künstler« zu führen, sagte Botmann. Von Anfang an jedoch sei »beschwichtigt« worden – von Seiten Roths, vor allem aber von Seiten der documenta-Leitung.

So habe diese sich der Einsetzung einer Arbeitsgruppe verweigert, wie sie von Roth und dem Zentralrat vereinbart worden gewesen sei. »Die gewählte Repräsentanz des deutschen Judentums hat sehr deutlich diese Ängste signalisiert – sie wurden leider nicht gehört«, erklärte Botmann vor dem Kulturausschuss.

KOLLEKTIV Antisemitismus sei keine Meinung, über die man ausführliche Diskussionsveranstaltungen abhalten müsse, sondern »eine abscheuliche Haltung, die historisch und auch aktuell zu mörderischen Verbrechen führte und führen kann«, fügte er an. Niemand sei in Kassel aber zu einer Diskussion darüber bereit gewesen, kritisierte der Zentralratsgeschäftsführer, auch nicht die Kuratoren und Künstler – die hätten sich vielmehr bequem »hinter ihrem amorphen Status als Kollektiv« versteckt.

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ZUGRIFFSRECHT Der Zentralratsgeschäftsführer forderte personelle Konsequenzen, namentlich den Rückzug Schormanns aus der Leitung der documenta-Trägergesellschaft. Schormann habe ihm persönlich im Vorfeld versprochen, es werde auf der documenta keinen Antisemitismus geben. Das habe sie dann nicht eingehalten. »Dass Frau Schormann immer noch im Amt ist, ist eine Zumutung. Man fragt sich ernsthaft, wie hoch der Grad an Toleranz für Antisemitismus eigentlich sein kann«, sagte Botmann.

Darüber hinaus müsse das Konzept der documenta überarbeitet werden. »Der Bund und das Land Hessen müssen wieder ein nichtübergehbares Mitspracherecht und Zugriffsrecht auf die handelnden Akteure bekommen«, forderte er.

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Botmann übte auch scharfe Kritik an anderen Verantwortlichen im bundesdeutschen Kulturbetrieb. »Erst im Juni 2022 hat im Haus der Kulturen der Welt die Konferenz ›Hijacking Memory‹ stattgefunden. Sie war ein massiver Versuch, den deutschen Erinnerungsdiskurs über die Schoa zu verschieben, und ähnlich wie auf der documenta waren auch Vertreter von postkolonialen Positionen dort besonders aktiv daran beteiligt, die Ängste und Befürchtungen der in Deutschland lebenden Juden lächerlich zu machen oder in den Dunstkreis rechtspopulistischer Gesinnung zu stellen. Die weltweite Erinnerung an koloniale Verbrechen wurde hier unweit des Denkmals für die ermordeten Juden Europas instrumentalisiert - um, wie es scheint, vor allem den Holocaust zu relativieren.«

Mit Verweis auf diese Tagung und auf die zum Teil scharfe Ablehnung der Bundestagsentschließung zur BDS-Bewegung aus dem Jahr 2019 durch die Chefs staatlicher Kultureinrichtungen sagte Botmann: »Direktoren und Intendanten, die der BDS-Ideologie Vorschub leisten, sind Fehlbesetzungen. Es gäbe Anlass, unter anderem beim Haus der Kulturen der Welt genauer hinzusehen«, meinte er – und erwähnte namentlich dessen Direktor, Bernd Scherer, sowie die Vorsitzende der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völkers.

RUANGRUPA Ade Darmawan, Vertreter von Ruangrupa, welches die 15. Ausgabe der documenta kuratiert hat, sagte, man erlebe wegen der Diskussion große Belästigungen - »physisch und digital«. Weiter sagte Darmawan: »Die Anschuldigungen gegen uns sind falsch. Hätte man Gesprächen ausreichend Raum und Zeit gegeben, hätte der Geist der Gleichberechtigung aufrechterhalten werden können.« Es gebe keinen stillen Boykott gegen Juden oder Künstler aus Israel, fügte er hinzu. Man wolle sich vielmehr von nationalen, ethnischen und religiösen Verbindungen lösen, so Darmawan.

Hessens Kulturministerin Angela Dorn erneuerte ihre Forderung nach weiterer Aufklärung der Vorgänge in Kassel. »Es gehört dazu, Zumutungen auszuhalten. Aber Zumutungen der Kunst haben Grenzen«, so Dorn. Das Zeigen der antisemitischen Motive habe diese Grenzen »brutal überschritten«.

FÜHRUNG Der Aufsichtsrat der documenta werde sich in Kürze mit der Angelegenheit befassen. »Wir müssen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen«, sagte Dorn – gerade im Hinblick auf die jüdische Gemeinschaft. Auch den Bund will sie stärker in die Verantwortung für die documenta einbeziehen.

Daniel Botmann sagte, für die laufende documenta sei »nicht mehr viel zu retten«. Man müsse aber von Seiten der Politik Einfluss nehmen – vor allem, was die Führung von Kulturinstitutionen angeht. BDS-Befürworter dürften hierfür nicht mehr in Frage kommen, so Botmann.

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