Forschung

»Das Projekt lag in der Luft«

Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems Foto: Jon Holloway

1989 besucht der Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und ist danach tief beeindruckt und beschämt. Nach einem Gespräch mit seinem Büroleiter Jan von Trott und dem Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, Michel Friedman, am Strand von Tel Aviv regt der SPD-Politiker an, im »Land der Täter« ein Holocaust-Museum zu errichten. Standort solle Frankfurt sein.

Nach ihrer Rückkehr nehmen Hauff, Trott und Friedman Kontakt mit dem jungen Frankfurter Ausstellungsmacher Hanno Loewy auf. »Sie kannten mich persönlich und sie wussten, dass ich im Jüdischen Museum gerade an einer Ausstellung zum Ghetto Lodz arbeitete«, sagte der Sohn des jüdischen Exilforschers und Publizisten Ernst Loewy im Gespräch mit dieser Zeitung. »Die Idee zu einem Holocaust-Museum oder -Zentrum lag damals in der Bundesrepublik in der Luft.« Anlass seien das Erstarken des Neonazismus und geschichtspolitische Debatten um die Deutung der Nazi-Verbrechen gewesen.

Schließlich erteilen die Stadt Frankfurt Loewy und dem Mitarbeiter des Kulturdezernats, Andrzej Bodek, selbst Sohn von Holocaust-Überlebenden, den Auftrag, eine Bestandsaufnahme über die Arbeit von Museen und Einrichtungen zum Judenmord in den USA, Israel und Polen zu erstellen und ein internationales Symposium vorzubereiten. Der Kongress mit dem Arbeitstitel »Frankfurter Lern- und Dokumentationszentrum des Holocaust« geht 1991 der Frage nach, wie eine solche Einrichtung in Deutschland aussehen könnte.

Danach wird eine Arbeitsgruppe unter Loewys Leitung eingesetzt, der auch die Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Abendroth, der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, die Historikerin Cilly Kugelmann, der Geschichtsdidaktiker Volkhard Knigge und Bodek angehören. Sie sind sich rasch einig, dass in Frankfurt kein Holocaust-Museum, sondern ein unabhängiges und interdisziplinär ausgerichtetes Forschungs- und Bildungszentrum entstehen soll.

Namensgeber wird der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (1903-1968), Remigrant, Justizreformer und Initiator des Ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses.

Das Fritz-Bauer-Institut wird 1995 vom Land Hessen, der Stadt Frankfurt am Main und dem Förderverein Fritz-Bauer-Institut als Stiftung bürgerlichen Rechts ins Leben gerufen. Es untersucht und dokumentiert die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen - insbesondere des Holocaust - und deren Wirkung bis in die Gegenwart. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Vermittlung der einschlägigen deutschen und internationalen Forschung durch Publikationen, Vortragsveranstaltungen und Ausstellungen. Der Förderverein und ein Wissenschaftlicher Beirat unterstützen und begleiten das Institut.

Erster Leiter wird Hanno Loewy, der seit 2004 Direktor des Jüdischen Museums im österreichischen Hohenems ist. Ihm folgen die Direktoren Micha Brumlik (2000-2005), Dietfrid Krause-Vilmar (Kommissarische Leitung, 2005-2007), Raphael Gross (2007-2015) und Werner Konitzer (Kommissarische Leitung, 2015-2017). Seit 1. Mai 2017 ist die Historikerin Sybille Steinbacher Institutsleiterin und zugleich Inhaberin des neu geschaffenen Lehrstuhls zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust am Historischen Seminar der Goethe-Universität. Derzeit wirken im Institut und am Lehrstuhl rund 25 feste und freie Mitarbeiter.

Auch heute noch sei das Institut ein »spannender Hotspot« über das Thema, lobt Loewy. Allerdings sei es nicht mehr so präsent in der Öffentlichkeit wie in den 90er Jahren. »Ich würde mir wünschen, dass das Institut weiterhin mit Ausstellungen öffentlich interveniert und Vermittlungsarbeit leistet - und den gesellschaftlichen Umgang mit Holocaust und Antisemitismus kritisch reflektiert.« Es müsse Antworten auf die heute noch aktueller denn je gewordene Frage finden, »wie eine Einwanderungsgesellschaft mit der Erinnerung an die Nazi-Verbrechen umgehen kann, ohne diese Themen gegenüber den Einwanderern als Mittel der Ausgrenzung zu missbrauchen«.

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