Nachruf

Das Leben – eine Anekdote

Aus dem großen Fenster in Gad Granachs Wohnung in der Schimoni-Straße hatte man eine gute Aussicht auf Jerusalem. Doch wenn man dem alten Herrn zuhörte, dann ging der Blick weiter. Man sah seinen Vater, den legendären Schauspieler Alexander Granach, im Berliner Romanischen Café der 20er-Jahre, wie er die Gäste zielsicher mit Pfannkuchen bewarf. Man sah ihn mit dem Sohn und Bertolt Brecht vor dem Café stehen und erfuhr, dass Alexander Granach für den Kommunisten Brecht gestorben war, nachdem er in Ernst Lubitschs Komödie Ninotchka neben Greta Garbo einen sowjetischen Kommissar verkörpert hatte. Wenn Granach diese Geschichte erzählte, dann war das gerade erst passiert. Seine Wut über den humorlosen Brecht und »Ruth Berlau, diese dumme Zicke!« war taufrisch.??

Rummelplatz Gad Granach, vor 95 Jahren, am 29. März 1915, in Rheinsberg geboren, in Berlin aufgewachsen und 1936 nach Palästina geflohen, konnte das: die Vergangenheit mit ein paar knappen Sätzen in die Gegenwart zurückholen. Seinen unüberhörbaren Berliner Tonfall hatte er von früh auf von den proletarischen Nachbarskindern gelernt, die ihn »adoptiert« hatten und mit dem kleinen Gad, der damals noch Gerhard hieß, zum Entsetzen der Mutter sogar einmal bis zum Rummelplatz am Zoo durchbrannten. Das Kontrastprogramm zu dieser proletarischen Straßenuniversität waren Gads Besuche beim berühmten Vater: »Da kam alles hin, hoch und niedrich, Arsch und Friedrich. Schauspieler, Maler, jiddische Künstler, Hungerkünstler«, erinnerte er sich. »Den Ernst Busch hab ich gemocht. Aber Fritz Kortner, das war vielleicht ein Snob!« ??

Granachs Eltern lebten getrennt. Sein Verhältnis zum Vater »war so, wie man Makkaroni kocht: al dente. Vorsichtig. Er wollte mich gar nicht erziehen, denn er wollte ja kein typischer Vater sein.« Dafür hat er dem Sohn das Schauspieler-Gen vererbt. Wurde Gerhard in der Schule etwa zum Datum einer historischen Schlacht befragt, das er nicht gelernt hatte, schilderte er stattdessen minutiös den Verlauf der Gefechte. »Der Lehrer hat dann völlig vergessen, was er gefragt hat, die Schüler saßen wie im Kintopp da.« ??

sagt der jude Wäre es nach Alexander Granach gegangen, hätte Gad sein schauspielerisches Erbe angetreten. Er wollte den talentierten Sohn nach Hollywood holen, wohin er 1938 emigriert war. Doch Granach senior starb 1945. So blieb Gad in Israel und baute den jüdischen Staat mit auf. »Ich hab‹ fast alles gemacht, was man machen kann in diesem Land. Alles außer Geld.«?Granachs Lebenselixier war das Witze erzählen. »Ich liebe zwei Arten von Witzen: über Tiere und über Religion. Also, bei Juden ist Selbstmord doch streng verboten. Haben wir nicht nötig. Wir sind immer von anderen ermordet worden, brauchen uns nicht selbst umbringen. Da kommt also so ein Selbstmörder in den Himmel und tritt vor den höchsten Thron, und ER guckt sehr streng und sagt: ›Du weißt doch, mein Sohn, sich das Leben zu nehmen, ist streng verboten.‹ Sagt der Jude: ›Ich hab a Grund gehabt. Mein Sohn ist zum Christentum übergetreten! Hat sich taufen lassen!‹ Guckt der liebe Gott ihn an. ›So what? Meiner auch.‹ ›Und was hast du gemacht?‹ ›Ein neues Testament.‹«??

Sein eigenes Testament war für Gad Granach auch mit 95 Jahren kein Thema. Er hatte vor, noch eine ganze Zeit zu leben. Neue Projekte schwebten ihm bereits vor. »Mein nächstes Buch möchte ich zusammen mit Angelika Schrobsdorff schreiben. Der Titel steht schon fest: ›Beim Sex stört der Partner‹.« Das Buch wird nicht mehr geschrieben werden. Gad Granach ist jetzt mit 95 Jahren in Jerusalem gestorben.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025