Fotografie

Das Lächeln des Soldaten

Es war Sonntag, der 23. Mai 1948. Shimshon Ofer und andere junge Männer standen vor einem der blutigsten Kämpfe des israelischen Unabhängigkeitskrieges, der als »Schlacht um Latrun« in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Ofer war gerade 19 Jahre alt und Mitglied der Hagana. Seine Einheit und er marschierten Richtung Horizont. Sie hinterließen Spuren im Sand.

Viele von ihnen hatten den Holocaust überlebt – und nun, dachten sie, würden sie in den folgenden Tagen auf dem Schlachtfeld ihr Leben lassen. Vielleicht war er in Gedanken vertieft, denn Ofer bemerkte nicht, dass er gerade an Robert Capa, dem damals schon legendärsten aller Kriegsfotografen, vorbeigelaufen war. Das sollte Ofer erst 40 Jahre später ganz zufällig auf einem Bild entdecken.

1988, am 40. Jahrestag der Gründung Israels, machte sich Ofer auf den Weg zu einer Robert-Capa-Ausstellung. Er schritt die Stufen zum Tel-Aviv-Museum hinauf, oben öffnete sich der Ausstellungssaal – und gleich an der gegenüberliegenden Wand hing dieses Bild.

Es war das Lächeln eines jungen Soldaten, das ihn anzog. »Ich kenne dieses Lächeln«, sagte er sich. Er trat näher heran, und mit jedem Schritt wurde ihm klarer, was und wen er da vor sich hatte. »Das ist meine Einheit.« Ofer erinnerte sich an den Weg, an den Sand, an das Gesicht, an dieses Lächeln. Er sah aus der Nähe noch genauer hin und entdeckte schließlich sich selbst. Der Vorletzte in der rechten Reihe. Hochgewachsen, mit dem Rücken zur Kamera, den Karabiner über der rechten Schulter.

Latrun Beim Anblick des Fotos fand sich Ofer an jenem Tag im Mai 1948 wieder, von dem viele dachten, sie würden ihn nicht überleben. Der Angriff auf die strategisch so wichtige Festung verzögerte sich. Er begann nicht im Schutz der Dunkelheit, sondern kurz vor Tagesanbruch. Die Hagana hatte nur mit der Gegenwehr von ein paar Milizionären gerechnet. Tatsächlich wurden Ofer und seine Einheit mit ihren alten Karabinern von der hochgerüsteten Arabischen Legion erwartet. In den nächsten Stunden sollte das Wort »Morgengrauen« eine ganz andere, furchtbare Bedeutung erhalten.

Die einzige Deckung für die Soldaten waren wenige kleine Bäume oder Grasbüschel. Viele junge Männer starben im Kugelhagel durch Maschinengewehre oder den Einschlag von Granaten. Wer es außer Reichweite des Gegners schaffte, schien in Sicherheit – dann kam der Chamsin.

Die Temperaturen bei heißem Wüstenwind stiegen auf über 40 Grad. Shimshons Einheit hatte zwar Gewehre, aber keine Feldflaschen. Ohne Wasser glaubte man zu spüren, wie jeder Nerv im Körper langsam vertrocknete. Shimshon überlebte den Kugelhagel und den Chamsin. Er schaffte es »völlig groggy«, wie er es beschreibt, in den Kibbuz Hulda, schleppte sich dort zu einem Wassertank, öffnete ein kopfüber hängendes Rohr und trank »wie von Sinnen«.

Sie hatten Latrun nicht erobert. Dies würde ihnen auch bei mehreren Versuchen in den folgenden Wochen bis zum Waffenstillstand nicht gelingen. Jerusalem zu versorgen, das durch eine Blockade der arabischen Truppen abgeschnitten war, gelang stattdessen mit einer List.

Zeitgleich mit den erfolglosen Angriffen bauten junge Israelis außer Sichtweite arabischer Truppen in einem abgelegenen Tal eine neue Behelfsstraße in die Berghänge hinauf nach Jerusalem – die legendäre »Burma Road«.

Journalist Nach dem Unabhängigkeitskrieg war Shimshon Ofer Journalist. Er schrieb Reportagen für die Tageszeitung »Al Hamishmar«, war Militärkorrespondent und Zeuge des Waffenstillstandsabkommens nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973, als die entscheidenden Dokumente für den Frieden auf der Straße zwischen Kairo und Suez, genauer gesagt, auf Höhe des Kilometers 101, unterzeichnet wurden. Shimshon Ofer stand draußen vor den Zelten, denn »reingelassen haben sie uns nicht«.

1976 veröffentlichte er mit Blinded by the Top ein bis heute beachtetes Buch über den Zustand der israelischen Gesellschaft nach dem Jom-Kippur-Krieg. Darin beschreibt Ofer, wie die öffentliche Meinung mithilfe von Journalisten »von oben« geblendet und manipuliert zu werden drohte. Er betonte, dass Journalismus in Israel nicht dazu da sei, die Moral der Bevölkerung zu heben. Journalisten sollten den Mächtigen Fragen stellen, vor allem unbequeme Fragen.

Ausstellung Als Journalist kannte Shimshon Ofer den berühmten Kriegsfotografen Robert Capa. Und als das Tel-Aviv-Museum eine Ausstellung mit Capas Bildern ankündigte, sagte sich Ofer: »Das könnte interessant sein.« Denn Robert Capa war längst eine Legende, und auch er kam – wie Ofer – aus einer jüdischen Familie.

Würzburg Shimshon Ofer hatte Deutschland 1938 verlassen. Als Siegfried Hirschberg lebte er mit seiner Familie in der Kleinstadt Bad Mergentheim nahe Würzburg. Die Hirschbergs und ihre beiden Söhne fuhren mit dem Zug nach Marseille, dort gingen sie an Bord eines Passagierdampfers mit dem Ziel Palästina.

Robert Capa fotografierte den Kampf um Latrun gemäß seinem Motto »Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nahe genug dran«. Er war immer nah dran: im spanischen Bürgerkrieg 1937 oder am 6. Juni 1944 bei der Invasion in der Normandie. Am 25. Mai 1954 starb Capa im Indochina-Krieg. Fast auf den Tag genau sechs Jahre vor seinem Tod waren Shimshon Ofer und er sich in Israel begegnet – ohne voneinander zu wissen.

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