Literatur

Auf Freuds Spuren

Pionier der Gruppentherapie: Irvin D. Yalom Foto: imago images/Everett Collection

Ohne Thomas Mann wäre alles anders gekommen. Dessen Bücher seien es ebenso wie die Werke Dostojewskis und Tolstois gewesen, die ihm den Weg zu Medizin und Psychiatrie geebnet haben, sagte Irvin D. Yalom vor einigen Jahren im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Dass er selbst einmal als Schriftsteller sehr bekannt werden und mit seinen Büchern weltweit Millionenauflagen erreichen sollte, war indes keineswegs vorgezeichnet.

1931 in Washington, D.C. geboren, wuchs Irvin David Yalom in prekären Verhältnissen im Stadtteil Eckington auf, wo seine Eltern ein Lebensmittelgeschäft betrieben. Benjamin und Ruth Yalom waren 1920 aus Seltz, einem auf dem Gebiet des heutigen Belarus gelegenen Schtetl, in die USA eingewandert. Doch die alte Heimat ließ sie in der Neuen Welt nicht los: In Washington verkehrte die Familie vornehmlich innerhalb der »Seltzer Society«, einem Bund von aus ihrem Schtetl stammenden Juden.

bibliothek Ein raues und unsicheres Pflaster war Eckington damals, und so verbrachte der junge Irvin den Großteil seiner Kindheit lesend zu Hause – unterbrochen nur durch Besuche der örtlichen Bibliothek, in der er sich zwei Mal wöchentlich mit literarischem Nachschub eindeckte.

In dem osteuropäisch-jüdischen Umfeld, in dem er aufgewachsen war, seien eine Laufbahn als Mediziner oder als Geschäftsmann die vorgezeichneten Karrierewege gewesen, erinnerte sich Yalom später. In der festen Annahme, Tolstoi, Dostojewski und Mann zählten eher zum Lesekanon von Ärzten denn von Geschäftsleuten, fiel die Wahl auf das Studium der Medizin. Nach seinem College-Abschluss an der George Washington University konnte sich Yalom – trotz damals gültiger Quoten, die nur wenigen jüdischen Studenten den Zugang zu den Medical Schools gestatteten – an der Medizinischen Fakultät der Boston University einschreiben.

In dem osteuropäisch-jüdischen Umfeld, in dem er aufgewachsen war, waren eine Laufbahn als Mediziner oder als Geschäftsmann die vorgezeichneten Karrierewege.

1954 heiratete er seine Jugendliebe Marilyn Koenick, mit der er vier Kinder hat. Nach seinem Studienabschluss bildete sich Yalom in New York und Baltimore zum Psychiater fort, um nur wenige Jahre später als Professor für Psychiatrie an die kalifornische Stanford University berufen zu werden.

wirken Dort trat er in den folgenden Jahrzehnten sowohl als Pionier der Gruppentherapie und Mitbegründer der Existenziellen Psychotherapie als auch als Verfasser von bis heute als Standardwerke geltenden Lehrbüchern hervor. Im Zentrum seines therapeutischen Wirkens stand eine empathische Annäherung an die existenziellen Fragen nach dem Sinn des Lebens, zu Freiheit, Einsamkeit und Tod. »Was heilt«, so Yalom, »ist letztlich die Beziehung. Die Liebe. Die Verbindungen zu Menschen.«

Als Kind sei das Judentum für ihn »etwas Negatives« gewesen, schilderte der säkulare Psychiater später, er habe sich vielmehr »durch die jüdische Literatur und Philosophie angenähert«. Und so lag es also doch nahe, dass Yalom neben seiner therapeutischen Tätigkeit schon bald selbst als Romancier die Bühne der Literatur betreten und zum gefeierten Schriftsteller avancieren sollte.

Zu seinen bekanntesten und in zahlreiche Sprachen übertragenen Büchern zählt neben Die rote Couch (1998) und Die Schopenhauer-Kur (2005) insbesondere Und Nietzsche weinte (1992), das allein in Israel vier Jahre lang die Bestsellerlisten anführte. Mit Becoming Myself legte er 2017 seine faszinierenden Memoiren vor.

Unzählige Menschen hat Irvin D. Yalom im Laufe seines bisherigen Lebens berührt – als Therapeut, als Lehrer, als Schriftsteller. Am Sonntag nun wird Yalom, der Bestsellerautor und wohl berühmteste Psychotherapeut unserer Zeit, 90 Jahre alt.

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Stefan Wimmer  23.11.2025

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025