Auschwitz

»Wir dürfen niemals vergessen«

Stilles Gedenken: Bundeskanzlerin Angela Merkel in der KZ-Gedenkstätte Auschwitz Foto: imago

Angela Merkel rückt die Schleife an dem Kranz aus schwarz-rot-goldenen Rosen zurecht. Sie tritt etwas zurück und faltet die Hände. Dann schließt sie die Augen. Mit versteinert wirkendem Gesicht steht die deutsche Bundeskanzlerin neben dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki vor der Todeswand im ehemaligen deutschen Konzentrationslager Auschwitz.

Hier wurden Tausende von den Nazis erschossen, Gnade gab es nicht. Deutsche haben an diesem Schreckensort unauslöschliche Schuld auf sich geladen. Selten erlebt man Merkel so bewegt.

DEMUT Es ist der erste Besuch Merkels in Auschwitz, auch vor ihrer Kanzlerschaft war sie nicht hier. Ganz in Schwarz gekleidet, ohne Handschuhe und Schal, geht sie bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mit Morawiecki durch das frühere Stammlager I.

Gemeinsam schreitet sie mit dem Direktor der Gedenkstätte und Präsidenten der Stiftung Auschwitz-Birkenau, Piotr Cywinski, durch das Tor mit dem weltbekannten zynischen Schriftzug »Arbeit macht frei«. Morawiecki erklärt der Kanzlerin mit spärlichen Gesten die Szenerie. Merkel hört meist schweigend zu. Es sind Stunden der Demut für die Deutsche.

Selten erlebte man Bundeskanzlerin Angela Merkel so bewegt.

Die Kanzlerin dürfte froh sein, dass Morawiecki sie auf dem schweren Gang begleitet. Dass er dabei ist, mag etwas Sicherheit geben, dass eine deutsche Kanzlerin auch wirklich willkommen ist am Ort der von Deutschen verübten Gräuel. Vergessen werden die Untaten von damals nie werden - immer wird es ein besonders sensibles Verhältnis zwischen beiden Staaten bleiben.

SCHAM In der Rede zum zehnten Gründungsjahr der Stiftung Auschwitz-Birkenau findet Merkel bewegende Worte - und auch sehr klare. Es falle ihr alles andere als leicht, als deutsche Bundeskanzlerin in Auschwitz zu sprechen, beginnt sie. »Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden. Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten.« Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort angetan worden sei, »muss man eigentlich verstummen«.

Doch so schwer es an diesem Ort, der wie kein anderer für das größte Menschheitsverbrechen stehe, auch falle: »Schweigen darf nicht unsere einzige Antwort sein«, sagt Merkel dann. Auschwitz verpflichte, die Erinnerung an die dort begangenen Verbrechen wach zu halten. Sich als Deutsche der Verantwortung für dies Taten bewusst zu sein, »ist fester Teil unserer nationalen Identität«. Die unantastbare Würde des Menschen, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - »so kostbar diese Werte auch sind, so verletzlich sind die auch«.

»Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben. Und auch keine Relativierung«, mahnt Merkel eindringlich.

Deswegen müssten diese Werte immer wieder verteidigt werden, fordert Merkel - und kommt auf die Gegenwart zu sprechen. In diesen Tagen sei dies keine Rhetorik, sagt die Kanzlerin. »Wir erleben einen Besorgnis erregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten.« Es gebe einen »Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus«. Sehr klar müsse deswegen gesagt werden: »Wir dulden keinen Antisemitismus.«

VERNEIGUNG Dann kommen die zentralen Sätze. »Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben. Und auch keine Relativierung«, mahnt Merkel eindringlich. Und sie schließt mit den Worten: »Ich verneige mich vor den Opfern der Schoa, ich verneige mich vor ihren Familien. Vielen Dank, dass ich heute hier dabei sein darf.«

Merkel schreibt auch in das Besucherbuch der Gedenkstätte ihre zentrale Botschaft: »Auschwitz steht für den millionenfachen Mord, den Deutsche an Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma sowie unzähligen Menschen aus ganz Europa begangen haben, unter ihnen besonders viele Opfer aus Polen. Unsere Verantwortung ist und bleibt es, diesen Ort der Nachwelt zu erhalten: zum trauernden Gedenken an die Millionen Einzelschicksale und als immerwährende Mahnung, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.« Klarer geht es kaum.

Merkel nimmt sich Zeit für den Besuch - rund vier Stunden lang lässt sie sich in Auschwitz Baracken zeigen.

Warum die Kanzlerin, die nie Zweifel an der besonderen Verantwortung Deutschlands für die Schoa gelassen hat, erst im 14. Amtsjahr Auschwitz besucht, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Mag sein, dass es sich vorher einfach nicht ergeben hat. Zu den Jahrestagen der Befreiung des Lagers reisen meist die Bundespräsidenten. Vor ihr waren die Kanzler Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) hier.

HAARE Merkel nimmt sich Zeit für den Besuch - es ist keine Hetzerei wie sonst oft bei ihren Auslandsbesuchen. Gut vier Stunden lang lässt sie sich in Auschwitz Baracken zeigen, in denen Juden und andere Häftlinge leiden mussten. Besonders ergreifend sind die Eindrücke in Baracke 5, wo persönliche Dinge der Opfer zu sehen sind. Kinderspielzeug, Schuhe, Reste der den Opfern von ihren Peinigern abgeschnittenen Haare. Auch offene Dosen sind in diesen Blocks ausgestellt. In ihnen lagerte das tödliche Giftgas Zyklon B, mit denen Zigtausende in den Gaskammern ermordet wurden.

Merkel geht auch zu den Ruinen der Gaskammern und des Krematoriums II von Auschwitz-Birkenau. Die Verbrennungsöfen dort hatten jeweils drei Brennkammern. Nach Aussagen des 1947 in Auschwitz gehängten früheren Lagerkommandanten Rudolf Höß war es möglich, hier an einem Tag etwa 2500 Leichen zu verbrennen.

Fast am Ende ihres Besuchs hält die Kanzlerin an der berüchtigten »Rampe« inne. Dort kamen die Züge mit Deportierten aus ganz Europa an, dort entschieden die Nazis bei der grausamen Selektion über sofortigen Tod oder vorläufiges Weiterleben. Es ist schneidend kalt, als sich die Kanzlerin einen der alten Waggons zeigen lässt, in denen die Opfer damals nach Auschwitz gebracht wurden. Wie hatte sie vorher gesagt: »Wir dürfen niemals vergessen.«

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  18.11.2025

Philosophie

Hannah Arendt und die Freiheit des Denkens

Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts waren ihr Lebensthema. Sie sah ihre Aufgabe als politische Denkerin darin, die Welt und die Menschen zu verstehen. Die politische Theoretikerin starb vor 50 Jahren

von Jürgen Prause  18.11.2025

Mexiko

Antisemitisches Graffiti gegen Claudia Sheinbaum sorgt für Empörung

Die Worte »puta judía« wurden auf Gebäude des Obersten Gerichtshofs geschmiert. Die jüdische Gemeinschaft des lateinamerikanischen Landes verurteilt den sich immer wieder äußernden Judenhass

 17.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025

"Stiller & Meara"

Abschied von den Eltern

Leinwandstar Ben Stiller hat eine erstaunlich persönliche Doku über seine berühmte Familie gedreht

von Patrick Heidmann  16.11.2025

Jerusalem

Nach Streit: Zionistischer Weltkongress einigt sich

Zwei Wochen lang zogen sich die Verhandlungen in dem globalen jüdischen Gremium hin. Nun gibt es ein Abkommen, das der Mitte-links-Block als Sieg für sich wertet

von Joshua Schultheis  16.11.2025

Kiew

Bargeldberge, Geschäfte und Liebschaften auf Russisch 

Eingeschweißtes Bargeld aus US-Notenbanken, Liebe unter Ministern, heimlicher Hauskauf im Ausland und alles in der falschen Sprache. Die Korruption in der Ukraine bietet Stoff für einen Thriller

von Andreas Stein  14.11.2025