München 1972

Verspätetes Gedenken

Überführung der israelischen Opfer, die beim Anschlag auf ihre Olympia-Mannschaft 1972 in München ermordet wurden Foto: dpa

Mit der feierlichen Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro am Freitag endet zugleich auch ein 44 Jahre andauernder Kampf um eine Schweigeminute. So lange mussten die Hinterbliebenen der elf Israelis, die 1972 in München Opfer palästinensischer Terroristen geworden waren, auf ein offizielles Gedenken des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) drängen. Nun endlich wird auch im Rahmen der Sportveranstaltung, die sich gern als Ausdruck friedlichen weltweiten Miteinanders sieht und so gerne von einer Olympischen Familie spricht, an sie erinnert.

»Es war der Beginn des modernen Terrors«, sagt Tom McMillen, 1972 mit dem US-Basketballteam in München dabei und später als Abgeordneter im amerikanischen Kongress. Auch nach 44 Jahren kann McMillen diese Tat nicht vergessen: »Jede Nachricht von einem Terroranschlag bringt mir sofort München 1972 zurück ins Gedächtnis.«

Proteste Das IOC zog es dagegen jahrzehntelang vor zu vergessen. Ankie Spitzer, Witwe des israelischen Fechttrainers André, und Ilana Romano, Witwe des Gewichthebers Yossi, wurden regelmäßig wie lästige Bittstellerinnen behandelt. 1976 wurde ihnen von IOC-Mitgliedern sogar erklärt, eine Schweigeminute sei unmöglich, da die damals 21 arabischen Delegationen protestieren würden.

Falls das höchste Gremium der Olympischen Bewegung jedoch gedacht hatte, dass die Frauen nach so einer Antwort klein beigeben, hatte es sich gründlich getäuscht: Beharrlich sorgten die Angehörigen der Terroropfer dafür, dass ihre ermordeten Angehörigen nicht in Vergessenheit gerieten. Schon gar nicht bei Olympia, dessen Funktionäre sie regelmäßig alle vier Jahre mit der Forderung nach einem offiziellen Gedenken konfrontierten. Und diese konterten mit der praktisch immergleichen Behauptung: nämlich dass die Spiele unpolitisch seien und – von dieser Begründung war das IOC anscheinend wirklich überzeugt – man Proteste aus arabischen Ländern vermeiden wolle. Schon an der Trauerfeier 1972 im Münchner Olympiastadion während der Spiele nahm kein einziger arabischer Sportler teil.

Auch Sebastian Coe, mittlerweile Präsident des Weltleichtathletikverbandes und Chef des Organisationskomitees der Spiele von London 2012, enttäuschte die Hoffnungen und beschied den Frauen, dass auch 40 Jahre nach München eine Gedenkfeier nicht im Protokoll vorgesehen sei. Spitzer antwortete damals, es sei auch nicht vorgesehen gewesen, dass ihr Mann in einem Sarg aus München zurückkehrt. Die elf Israelis sind bis zum heutigen Tag die einzigen Sportler, die während Olympischer Sommerspiele eines gewaltsamen Todes starben.

Engagement Gegenüber dem deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach wurde die heute 70-jährige Ankie Spitzer später noch deutlicher und sagte, dass die Forderung der Hinterbliebenen dereinst nicht mit ihnen sterben, sondern dann eben von deren Kindern weiter erhoben werden würde. Bach zeigte sich beeindruckt vom Engagement der Israelis. Und das langjährige israelische IOC-Mitglied Alex Gilady lobte sein Engagement vor einigen Wochen ausdrücklich und sprach von einer »neuen Ära der Beziehungen zwischen Opferfamilien und dem IOC«.

Eine offizielle Gedenkminute im Olympiastadion, wie sie von den Hinterbliebenen nun schon so lange gewünscht wird, wird es nach derzeitigem Stand aber auch in Rio nur »vielleicht« geben. Möglicherweise werde während der Abschlusszeremonie an die elf Israelis erinnert, heißt es aus IOC-Kreisen. Allerdings wurde schon am Mittwoch, den 3. August, ein Gedenkstein im Olympischen Dorf aufgestellt: Er wird auch in allen künftigen Austragungsorten der Olympischen Sommerspiele installiert werden. Auf dem Stein stehen aber nicht nur die Namen der elf ermordeten Mitglieder der israelischen Mannschaft, sondern auch der des deutschen Polizisten Anton Fliegerbauer, der während der missglückten Befreiungsaktion vermutlich von einem Scharfschützen aus Versehen erschossen wurde. Dazu wird auf dem Stein der amerikanischen Olympia-Touristin Alice Hawthorne und des türkischen Kameramannes Melih Uzunyol gedacht. Beide starben bei einem bis heute ungeklärten Rohrbombenanschlag im Olympic Park während der Spiele von Atlanta 1996. Erst nach zwei weiteren Anschlägen auf eine Abtreibungsklinik und einen Nachtclub konnte der Täter, ein christlicher Fundamentalist namens Eric Robert Rudolph, festgenommen werden.

Gedenkstein »Es ist nicht exakt das, worauf wir all die Jahre gehofft haben«, sagt Ankie Spitzer. »Aber nach 44 Jahren, in denen wir gegen das IOC kämpften, haben wir uns entschieden, dieses Angebot anzunehmen – und sind zufrieden, mit dem, was wir erreicht haben. Der Gedenkstein wird schließlich etwas Dauerhaftes sein.« Und angesichts des Widerstands von arabischen Funktionären sei dies eben »das Beste, was wir erreichen konnten«.

Zumal es auch eine offizielle Gedenkfeier geben wird. Sie wird am 14. August in der Stadthalle von Rio de Janeiro stattfinden. Diese voraussichtlich von einem Rabbiner geleitete Veranstaltung wird aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich, sondern nur für geladene Gäste sein – unter anderem Hinterbliebene, Olympia-Akkreditierte und IOC-Funktionäre. Das hält Ankie Spitzer für richtig, denn verschärfte Security hätte vor 44 Jahren elf Leben retten können. »Unsere Botschaft«, betonte Spitzer in einem Interview mit der New Yorker Zeitschrift »Jewish Week«, »ist keine des Hasses, wir wollen nur Anerkennung und dass so etwas nie wieder passiert.«

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