Jared Kushner

Trumps jüdisches Gewissen

Trump (hier auf dem Parteitag der Republikaner im Juli 2016) ernannte Kushner bereits zum Berater und will ihm möglicherweise auch die künftige Nahostvermittlung anvertrauen. Foto: Reuters

Wie häufig Jared Kushner in den kommenden Wochen den modernen Backsteinbau an der 132 E 85th Street in New Yorks feiner Upper East Side – einen Block entfernt von der Park Avenue – betreten wird, ist in diesen Tagen höchst ungewiss.

Denn von Washington aus wäre der Weg in seine Stammsynagoge, die Congregation Kehilath Jeshurun, doch ein wenig weit. Einfluss auf den wohl maßgeblichsten Berater in Trumps Entourage dürfte die traditionsreiche New Yorker Gemeinde, die seit 1872 existiert, gleichwohl weiterhin auf Kushner haben.

Solo-thinktank Oder ist es der smarte Kushner, der in Wahrheit Einfluss auf seine Gemeinde hat? So sollte Rabbi Haskel Lookstein, einer von Amerikas herausragenden Rabbinern und Führungsfiguren des Judentums – über Jahrzehnte der Chefrabbiner in Kushners Gemeinde, die in New York als »modern orthodox« gilt –, auf Einladung von Ivanka Trump auf der Krönungsmesse ihres Vaters, dem Parteitag der Republikaner im vergangenen Juli, das Eingangsgebet sprechen. Doch eine Protestpetition mit 650 Unterschriften brachte Lookstein, der seit 1. Juli 2016 Rabbi emeritus ist, dazu, »im Interesse der Einheit unserer Gemeinde« darauf zu verzichten.

Looksteins Part in Cleveland wäre es gewesen, all die – durchaus berechtigten – Vorwürfe, Trump grenze sich nicht energisch genug von rechtsradikalen, antisemitischen oder schlicht neonazistischen Bewunderern ab, mit der sanften Wucht des weisen jüdischen Gelehrten zu zerstreuen.

Doch diese strategische Finte – ein typisches Produkt des Solo-Thinktanks Kushner – stieß zumindest in seiner Gemeinde auf entschiedenen Widerspruch. Und der ließ Lookstein wohl auch noch einmal ins Grübeln kommen. Lookstein dazu zu bewegen, seinen Schwiegervater per Eröffnungsgebet zu verteidigen, war einer von vielen gelungenen Schachzügen Kushners – und die Absage eine seiner bisher wenigen Niederlagen.

kalorama Dass Rabbi Levi Shemtov, der neue Rabbiner in Kushners Leben, eine politische Figur ist, ist unbestritten. Shemtov, Gründer der kleinen Chabad-Gemeinde »The Shul« im feinen Washingtoner Viertel Kalorama, ist Vizepräsident der »American Friends of Lubavitch« und bestens vernetzt in allen Institutionen und Parteien. Für die kleine »The Shul« haben die Kushners sich dem Vernehmen nach entschieden, weil sie nur sieben Fußminuten von ihrer neuen Prachtresidenz in Kalorama entfernt liegt.

Für 5,5 Millionen Dollar haben sie das 622 Quadratmeter große Herrenhaus aus dem Jahr 1923, das allein über fünf offene Kamine verfügt, erworben – ironischerweise in unmittelbarer Nähe der neuen Privatresidenz von Familie Obama, die diese nach dem Amtsende von Barack Obama bezieht. Kushner ist also nicht nur ganz nah an Schwiegerpapa dran, sondern mittendrin in Washingtons Establishment, das jener Schwiegervater so wortreich ablehnt. Nun sitzt er also im Zentrum der Macht.

Aber wer sitzt da eigentlich? Wer ist Jared Kushner? Da ist zunächst einmal der perfekte Schwiegersohn, der kein Wässerchen zu trüben imstande ist und dem wohl jeder einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Dann ist da der gläubige Jude, der »observant Jew«, also einer, der seinen Glauben ernst nimmt und (zumindest die wichtigsten) Mizwot befolgt. Am Schabbat ist Ruhe, daran musste sich auch der egozentrische Schwiegerpapa gewöhnen.

loyalität Kushners Vater Charlie gründete 1985 seine »Kushner Companies« und machte daraus ein milliardenschweres Immobilienunternehmen. Der kleine Jared wuchs in New Jersey also in einem gemachten Nest auf. Und ehemalige Mitschüler rufen ihm heute hinterher, er habe das auch jeden spüren lassen. Jared studierte an der New York University und in Harvard, schloss mit einem Bachelor sowie einem Master in Business Administration und einem Jura-Diplom in New York ab.

Dass er überhaupt in Harvard angenommen wurde, das mag, so munkelt man in New York, ebenso an der Zweieinhalb-Millionen-Dollar-Spende seines Herrn Papa an die ehrwürdige Alma Mater gelegen haben, wie auch die Drei-Millionen-Spende an die New York University die dortigen Abschlüsse begünstigt haben könnte.

Dass aber das Image des »spoiled brat«, des verwöhnten Bürschchens, als Beschreibung zu kurz greift, zeigte sich spätestens 2005, als der damals 24-Jährige plötzlich das Familienunternehmen schmeißen musste. Vater Charlie hatte es mit seinem Imperium der Begünstigung zu weit getrieben und war wegen Zeugenbeeinflussung, Steuerhinterziehung und illegaler Wahlspenden im Bau gelandet.

soap Das Ganze wurde für den jungen Mann, der schon als Student mit Immobilien Gewinne in zweistelliger Millionenhöhe erzielt hatte, nicht leichter. Nahm Charles Kushner doch an, sein Schwager und seine Schwester hätten ihn verraten. Kushner Senior setzte daraufhin eine käufliche Dame auf seinen Schwager an – mit Erfolg. Die pikanten Verführungsszenen wurden auf Video aufgenommen und der Schwester zugesandt. Blöd nur, dass die ganze Soap-Intrige aufflog.

Jared focht das allerdings nicht an. Er stand ebenso eisern zu seinem Vater, wie er später zu Donald Trump stehen sollte: Er führte die Geschäfte, kümmerte sich um seinen Vater, der in Alabama einsaß, und übernahm mit 27 Jahren schließlich offiziell das Kushner-Imperium. In Treue fest hielt er Familie und Vermögen zusammen.

Die damals entwickelte Eigenschaft, auch unter widrigsten Umständen seinen Nächsten gegenüber loyal zu sein, führte auch dazu, dass Kushner ein Elefantengedächtnis entwickelte. Denn dass der Staatsanwalt, der seit 2004 hinter Charlie Kushner her war und ihn schließlich ins Gefängnis brachte, Charlie Christie hieß und zwölf Jahre später im Team Trump als aussichtsreicher Ministerkandidat plötzlich abgesägt wurde, das kann nur für Zufall halten, wer Jared Kushners diamantene Loyalität unterschätzt: die zu sich selbst.

schoa Der 36-jährige Kushner gibt gern den liebenden Familienmenschen – ein smarter junger Mann, der Ivanka Trumps Herz nicht nur für sich, sondern auch für das orthodoxe Judentum gewann und sie 2009 nach ihrer Konversion heiratete. Und der sich 2008 kurzzeitig (scheinbar) von ihr trennte, weil eine Nichtjüdin für die Familie nicht infrage kam.

Als Donald Trump im Juli vergangenen Jahres mit einem widerwärtigen antisemitischen Tweet gegen Hillary Clinton und der dazu passenden Karikatur, die aus einem US-Naziforum stammte, für Aufsehen und Empörung sorgte, warf sich Kushner sofort in die Bresche. Er schrieb im »New York Observer«, einem intellektuellen Blatt, das sein Vater einmal erworben hat und dem der Presseverächter Jared Kushner als Herausgeber vorsteht, eine Apologetik: »Es ist wirklich so einfach: Donald Trump ist kein Antisemit und auch kein Rassist.«

Als Argumentationshilfe bemühte Kushner das Schicksal seiner Großeltern, Schoa-Überlebende aus Polen, die 1949 in die USA gekommen waren. »Das Thema Rassismus ist keine leere Theorie für mich. Ich bin der Enkel von Holocaust-Überlebenden.«

Dann ergeht er sich in der Schilderung, wie seine Großmutter Rae aus dem Ghetto der weißrussischen Stadt Nawahrudak in die Wälder floh, dort der Bielski-Brigade der Partisanen beitrat und Kushners Großvater Joe traf, der aus einem Arbeitslager entkommen war. »Ich schildere diese Details, über die ich noch nie zuvor gesprochen habe, weil es mir wichtig ist, dass die Menschen meinen Hintergrund verstehen, wenn ich schildere, dass ich den Unterschied zwischen tatsächlicher, gefährlicher Intoleranz und all diesen Etiketten kenne, die Leuten aufgedrückt werden, um politisch zu punkten.«

empörung Trump mag er dadurch in der Debatte über dessen gebräunte Freunde – wie den »Breitbart«-Propagandisten (und Präsidentenberater) Stephen Bannon – etwas Luft verschafft haben. Kushner selbst allerdings bezog kräftig Prügel dafür, die Familie für seine Politik instrumentalisiert zu haben.

So schrieb Jacob Schulder, ein Cousin Kushners, laut der Washingtoner Tageszeitung »Politico«: »Dass meine Großeltern da hineingezogen werden, ist eine Schande. Danke, Jared, dass du etwas, was den Nachfahren von Joe und Rae Kushner heilig ist und viel bedeutet, dazu missbraucht hast, deine flapsige Art, mit der du diesen Wahlkampf gemanagt hast, aufzuwerten.«

Das Erste, was »ein verantwortungsvoller Wahlkampfmanager gemacht hätte, wäre gewesen, seinem Schwiegervater das Twitter-Konto wegzunehmen«, meint Schulder. »Selbst Joseph Kushner hätte die Bauernschläue besessen, das zu begreifen, während er im Wald saß und sich von gekochten Kartoffeln ernährte.«

Auch andere Familienmitglieder brachten ihre Verachtung gegenüber Kushners Taktik zum Ausdruck – diese Empörung der Verwandtem charakterisiert Kushner recht gut.

Machiavelli Er mag noch so smart daherkommen, sich mit seinem linksliberalen New Yorker Umfeld als Alibi schmücken, den wohlerzogenen, kultivierten Lebemann geben, der alles für seinen Vater und seine Familie tut: Wenn es ans Eingemachte geht – seine eigene Strahlkraft und seine weiße Weste als Trumps »jüdisches Gewissen« –, ist Jared Kushner offenbar jedes Mittel recht.

In Washington jedenfalls ist Jared Kushner bereits angekommen – möglicherweise sogar künftiger Nahost-Vermittler, wie Trump wenige Tage vor seiner Amtseinführung in einem Interview ankündigte, auf jeden Fall aber als »Senior Advisor to the President«. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft zu dessen Amtsvorgänger.

Dass Kushner Einfluss hat, ist kein Geheimnis: Schließlich managte er Trumps Kampagne fast allein. Eine bübische Mischung aus Machiavelli und Shylock, ist Trumps Schwiegersohn keinesfalls so harmlos, wie er wirken mag. Es bleibt abzuwarten, welchen Preis er Trump für die scheinbar bedingungslose Treue wird zahlen lassen.

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