Anne-Frank-Kastanie

»Solange dies existiert, werde ich leben mögen«

Stumpf der Kastanie im Hinterhof Foto: Heidi Friedrich

Anne-Frank-Kastanie

»Solange dies existiert, werde ich leben mögen«

Bei den Offenen Gartentagen am Wochenende ist der Baumstumpf erstmals wieder zu sehen

von Heidi Friedrich  13.06.2017 12:09 Uhr

Etwa 170 Jahre lang stand die Weiße Rosskastanie, über die Anne Frank in ihrem Tagebuch schrieb, im Garten der Keizersgracht 188 in Amsterdam, bis sie im August 2010 nach einem starken Unwetter umfiel.

Der Baumstumpf einer der wohl ältesten Kastanien der Stadt und sicherlich einer der berühmtesten der Welt steht noch immer dort. Bei den Offenen Gartentagen am Wochenende ist er nun zum ersten Mal drei Tage lang zu besichtigen.

Gartentage Die Architekten Joyce Urbanus und Dax Roll nehmen mit ihrem Büro-Garten zum ersten Mal an den jährlich stattfindenden Gartentagen teil, bei denen über 30 Anwohner und Besitzer der Amsterdamer Grachtenhäuser ihre sonst verborgenen Gärten für die Öffentlichkeit zugänglich machen. »In unserem Garten steht ein historisches Baum-Monument, von dem wir wissen, dass es vielen Menschen etwas bedeutet, deshalb wollen wir es gerne mit anderen teilen«, sagt Joyce Urbanus.

Der 25 Meter lange Garten, der in drei Abschnitte unterteilt ist, wurde speziell um den Baumstumpf herum entworfen. Die Architektin rechnet mit einem großen Besucherinteresse, denn auch das benachbarte Anne-Frank-Haus in der Parallelstraße verzeichnet in letzter Zeit immer höhere Besucherzahlen. Vergangenes Jahr besichtigten mehr als 1,2 Millionen Menschen die Gedenkstätte.

Prinsengracht Anne Frank, die aus Frankfurt stammte, hielt sich zwischen Juli 1942 und August 1944 mit ihren Eltern, ihrer Schwester und vier Freunden ihrer Familie in der Prinsengracht 263 vor den Nazis versteckt – bis sie verraten wurden. Von ihrem Unterschlupf auf dem Dachboden aus konnte sie die Kastanie im angrenzenden Nachbargarten sehen. Als einzige Verbindung zur Natur in dieser Zeit beschrieb sie den Baum in ihrem Tagebuch als Hoffnungsträger und Trostspender.

Am 23. Februar 1944 schrieb sie: »Von meinem Lieblingsplatz aus auf dem Boden, sehe ich hinauf in den blauen Himmel und in den kahlen Kastanienbaum, an dessen Zweigen kleine Tropfen wie Silber glitzern. (…) So lange wie dies existiert, so dachte ich, werde ich leben mögen, um dies zu sehen.«

Jahrelang hatten sich sowohl die Stadt Amsterdam als auch private Initiativen wie die »Save Anne Frank Tree«-Stiftung darum bemüht, den damals 27 Tonnen schweren Baum, der seit 2005 von einer aggressiven Pilzart befallen und morsch war, zu retten, denn er sollte wegen seiner Einsturzgefahr gefällt werden. Vor allem die Anne-Frank-Stiftung befürchtete, der Baum könne das Gebäude beschädigen, und setzte sich für eine Fällung ein.

Schließlich wurde eine 75.000 Euro teure Stahlkonstruktion am Baum angebracht, die seine Stabilität mindestens 15 Jahre lang sichern sollte. Denn der Anne-Frank-Baum gehört zum offiziellen Kanon der niederländischen Landesgeschichte. Mit seiner Verbindung zum Schicksal eines jüdischen Mädchens während des Zweiten Weltkriegs steht er als Symbol für den Holocaust und ist Teil des Pflichtunterrichts in niederländischen Schulen.

Ableger Doch ein Sturm ließ den Baum 2010 trotz aller Schutzmaßnahmen umstürzen. Ableger der Kastanie waren zwischenzeitlich als Mahnmal gegen Diskriminierung und Antisemitismus nicht nur in Holland, sondern auch weltweit eingepflanzt worden. »Der große symbolträchtige Baum trägt nun seine Botschaft von Hoffnung, Toleranz und Respekt vor dem Leben in all seiner Unterschiedlichkeit weiter in seinen Sämlingen«, schreibt Helga Fassbinder, die lange Zeit von ihrer Wohnung aus auf die Kastanie blicken konnte und sich für die Rettung des Baumes einsetzte, in ihrem Buch Eine Kastanie in Amsterdam. Sie ist voller Hoffnung auf eine Kastanie der zweiten Generation direkt vor Ort: Zwischen den Wurzelarmen wachse derzeit nämlich ein gesunder Sprössling heran.

Auch die Architektin Joyce Urbanus sieht ihre historische Verantwortung: »Wir werden den Baumstumpf nie entfernen. Selbst wenn die Natur auch ihn eines Tages zusammenfallen lässt, werden wir an seiner Stelle eine andere Art Denkmal setzen, sodass nie in Vergessenheit gerät, wo der Anne-Frank-Baum gestanden hat.«

Wer zwischen dem 16. und 18. Juni den Garten der beiden Architekten besuchen möchte, muss sich vorher eine Eintrittskarte für die Offenen Gartentage im Museum van Loon besorgen.

www.opentuinendagen.nl

Geburtstag

Mit dem Cello in Auschwitz: Anita Lasker-Wallfisch wird 100

Sie überlebte die Schoa als »Cellistin von Auschwitz« und ist eine der bekanntesten Zeitzeuginnen: Anita Lasker-Wallfisch. Mit einem besonderen Geburtstag triumphiert sie nun über den Vernichtungswahn der Nazis

von Leticia Witte  07.07.2025

Litauen

Steinmeier gedenkt NS-Opfern in Paneriai

Deutschland und Litauen sind heute enge Partner in EU und Nato. Die gemeinsame Geschichte kennt aber auch dunkle Seiten. Daran erinnert Bundespräsident Steinmeier bei seinem Besuch im Baltikum

 07.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  07.07.2025 Aktualisiert

Belgien

»Gaza gleich Auschwitz«-Karikatur gewinnt Wettbewerb

Der erste Preis des Press-Cartoon-Belgium-Wettbewerbs ging in diesem Jahr an eine Zeichnung einer Landkarte, in der die Umrisse des Eingangstores von Birkenau auf die des Gazastreifens gelegt sind

von Michael Thaidigsmann  07.07.2025 Aktualisiert

Australien

Nach Anschlag auf Synagoge: Victoria richtet Taskforce gegen Judenhass ein

Nach mehreren antisemitischen Angriffen will Premierministerin des Bundesstaates, Jacinta Allan, gegen den Judenhass vorgehen

 07.07.2025

Meinung

New York: Zohran Mamdani und der Clash der Generationen

Der Bürgermeisterkandidat der Demokraten wurde nicht zuletzt wegen seiner antizionistischen Haltung gewählt. Während er unter jungen jüdischen New Yorkern Unterstützer hat, stehen die älteren überwiegend fest an Israels Seite

von Hannes Stein  06.07.2025

Ungarn

Wo der Wunderrabbi wirkt

Zur 100. Jahrzeit von Reb Shayele pilgern Tausende Chassidim nach Kerestir – im festen Glauben, dass seine Kraft bis heute fortlebt. Zu Besuch an einem Ort voller Hoffnung und Geschichte

von György Polgár  06.07.2025

Antisemitismus

Angriff auf Synagoge und Restaurant in Melbourne

Während etwa 20 Menschen Schabbat feierten, setzte ein Mann die Tür des Gebäudes in Brand. Kurz darauf wurde ein koscheres Restaurant gestürmt. Nun hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen

 06.07.2025 Aktualisiert

Kommentar

Zürich sollte Francesca Albanese keine Bühne bieten

Die antisemitische UN-Sonderberichterstatterin tritt am Freitag in der Zürcher Zentralwäscherei auf - subventioniert durch die Steuerzahler der Stadt

von Ronny Siev  03.07.2025