USA

Siege und Niederlagen

Wer in Vermont, einem Bundesstaat mit nur 645.000 Einwohnern, bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus 175.484 Stimmen holt, kann von einem großen Erfolg sprechen. Die Demokratin Becca Balint erhielt mehr als doppelt so viele Stimmen wie ihr Konkurrent Liam Madden und bekommt mit 61,7 Prozent den einzigen Sitz für Vermont in der zweiten Kammer des Kongresses. Das ist eine große Leistung.

Ein normaler Sieg ist es nicht, denn bisher war Vermont der einzige US-Bundesstaat, der noch nie eine Frau in den Kongress geschickt hatte. Für einen »Blue State«, also einen, in dem mehrheitlich Kandidaten der Demokratischen Partei gewählt werden, ist dies recht peinlich. Becca Balint schreibt also Geschichte. In doppelter Hinsicht, denn die Demokratin ist auch die erste offen homosexuelle Person, die für ihren Staat in den Kongress einzieht.

Deutschland Geboren wurde Balint 1968 in Deutschland, in einem amerikanischen Militärkrankenhaus in Heidelberg. Ihr Großvater, ein ungarischer Jude, wurde von den Nazis ermordet. Ihr Vater verließ Ungarn 1957 und emigrierte in die Vereinigten Staaten.

Becca Balint selbst war bisher Mitglied der Gemeindeversammlung in Brattleboro, einer 12.000-Einwohner-Stadt, und Senatorin im Parlament von Vermont.

Der Bundesstaat hat nur etwa 20.000 jüdische Einwohner. Juden spielen daher als Wählerinnen und Wähler keine große Rolle. Anders ist dies in Bundesstaaten wie New York, Kalifornien oder Florida. Letzteren Bundesstaat mussten die Demokraten diesmal abschreiben. Hier verloren auch die jüdischen Demokraten Eric Lynn und Alan Cohn die Wahlen zum Repräsentantenhaus.

UMFRAGEN Generell gibt es in der jüdischen Wählerschaft in den Vereinigten Staaten eine starke Tendenz zugunsten der Demokraten. Zwei verschiedenen Umfragen zufolge, die kurz nach den Wahlen veröffentlicht wurden, stimmten 65 bis 74 Prozent aller jüdischen Wähler für Kandidaten der Demokraten.

Noch interessanter ist die Frage, welche Themen ihnen am wichtigsten waren. Aus den Ergebnissen der einen Umfrage geht hervor, dass es sich vor allem um das Abtreibungsrecht und den Zustand der amerikanischen Demokratie handelt.

Natürlich schauen viele jüdische Amerikaner auch sehr genau darauf, welche Positionen die Kandidaten zu Israel haben. Auch deshalb war der Wahlsieg des Demokraten John Fetterman im Bundesstaat Pennsylvania bedeutsam. Das amerikanisch-israelische Verhältnis ist dem künftigen Senator wichtig. Er sagte wiederholt, es müsse sowohl geschützt als auch unterstützt und genährt werden. Fetterman plädiert dafür, dass die Vereinigten Staaten die großzügige Militärhilfe für Israel auch künftig fortsetzen.

WERBESPOTS In Pennsylvania versuchte das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) erstmals, mit vielen Wahlwerbespots eine Demokratin auszubremsen, die weit links steht: Summer Lee. AIPAC diagnostizierte bei ihr eine »gefährliche Sichtweise« hinsichtlich der amerikanisch-israelischen Beziehungen. Doch trotz erheblicher Mittel, die investiert wurden, gewann Summer Lee gegen den Republikaner Mike Doyle mit 55,7 Prozent.

Eine Erfolgsstory, zumindest aus Sicht vieler Jüdinnen und Juden, macht diesen Misserfolg zum Teil wieder wett. Josh Shapiro, bisher Oberstaatsanwalt von Pennsylvania, wird der 29. jüdische Gouverneur in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der Demokrat hatte im Wahlkampf offen über sein Judentum gesprochen. Sein Sieg war wichtig, auch weil seinem republikanischen Gegner Doug Mastriano Nähe zu Antisemiten innerhalb der eigenen Partei nachgesagt wird.

Jüdische Wähler tendieren dazu, für Kandidaten der Demokraten zu stimmen.

Erfolge jüdischer Politiker wurden auch aus dem Bundesstaat New York gemeldet, wo sowohl jüdische als auch nichtjüdische Wähler dazu tendieren, demokratische Bewerber zu wählen. Chuck Schumer, der seit 1999 im Senat sitzt, besiegte seinen republikanischen Herausforderer Joe Pinion mit 55,9 Prozent. Es ist kein umwerfendes Ergebnis, aber es macht ihn zum dienstältesten Senator, den New York, ein Staat mit rund zwei Millionen jüdischen Einwohnern, jemals hatte. Schumer kann als Mehrheitsführer weitermachen.

Schumers Parteikollegin Kathy Hochul wird Gouverneurin von New York bleiben. Sie steht für moderate Ansätze und eine Verschärfung der Waffengesetze. Aus jüdischer Sicht ist ihr Erfolg eine interessante Nachricht, auch weil ihr republikanischer Herausforderer Lee Zeldin jüdisch ist, Trump unterstützt und von einem der prominentesten Juden Amerikas finanziell unterstützt wurde: von Ronald S. Lauder, dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, und seiner Ronald S. Lauder Foundation.

Weiter südlich, in Virginia, verlor die jüdische Demokratin Elaine Luria die Wahlen zum Repräsentantenhaus gegen ihre republikanische Konkurrentin. Luria, eine frühere Marinekommandeurin, hat ihre jüdische Herkunft nie versteckt. Weithin bekannt wurde sie vor allem, als sie im Repräsentantenhaus in einem Ausschuss aktiv war, der sich mit dem Coup-Versuch des früheren Präsidenten Donald Trump im Kapitol vom 6. Januar 2021 beschäftigte. Elaine Luria ist dafür bekannt, dass sie die »israelkritischen« Abgeordneten in ihrer eigenen Partei heftig kritisiert. Ihre Niederlage ist also aus jüdischer Sicht keine gute Nachricht.

TRUMP Die Midterms und die Gouverneurswahlen liegen kaum eine Woche zurück, da hat sich am Dienstagabend erneut Donald Trump ins Rampenlicht gedrängt. Eine »große Ankündigung« wolle er machen, hatte er zuvor angekündigt. Nun ist es offiziell: Trump will der erste US-Präsident seit Grover Cleveland werden, der nach einer Pause wiedergewählt wird. Er werde Amerika wieder »groß und glorreich« machen, versprach er. Trotz der Israelpolitik seiner früheren Administration würde eine große Mehrheit der jüdischen Wähler aber mit Sicherheit davon absehen, für Trump zu stimmen.

Ob er tatsächlich republikanischer Präsidentschaftskandidat wird, ist allerdings fraglich. Denn er muss sich zuerst gegen Konkurrenten aus der eigenen Partei behaupten, darunter zumindest einen, der ihm gefährlich werden könnte. Ron De­Santis, der die Gouverneurswahlen in Florida haushoch gewann, wird zugetraut, den früheren Präsidenten als Kandidat für das Weiße Haus ausstechen zu können. Eine direkte und offizielle Ankündigung für eine Kandidatur steht jedoch noch aus.

Auch Trumps früherer Vize Mike Pence, ein Ultra-Konservativer und frommer Christ, hat Ambitionen. In einem Interview mit ABC erklärte er, seine Familie und er dächten darüber nach, ob er sich für das Präsidentenamt bewerben solle. Was er von seinem früheren Chef Trump hält, deutete er zumindest an: In Zukunft würden die Vereinigten Staaten »eine bessere Wahl treffen« als Trump. Es hat lange gedauert, aber diese Erkenntnis scheint sich nun bei den Republikanern zu verbreiten.

Viele der jüdischen Amerikanerinnen und Amerikaner, die republikanisch wählen, sehen bei dieser Partei tendenziell einen stärkeren Willen, Israel zu unterstützen, darunter auch militärisch. Andererseits ist dies offensichtlich nicht das einzige Kriterium für amerikanische Juden. Sonst würden sie nicht mehrheitlich die Demokraten wählen.

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