Polen

»Schlag ins Gesicht der polnischen Nazi-Opfer«

Ronald Lauder ist wütend: Polen stelle sich »in die schlimmsten Traditionen seiner Geschichte«, so der WJC-Präsident Foto: imago images/ITAR-TASS

Erneut kommt aus Israel und von jüdischen Verbänden scharfe Kritik an Polen. Der Sejm, das polnische Parlament, hat diese Woche ein Gesetz verabschiedet, mit dem staatliche Verwaltungsakte zur Enteignung von Eigentum, die länger als 30 Jahre zurückliegen, auch dann nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn ihnen grobe Rechtsverstöße zugrunde lagen.

RECHTSSICHERHEIT Damit werden de facto die meisten Ansprüche jüdischer und anderer Eigentümer, die im Zweiten Weltkrieg erst Opfer der deutschen Besatzung wurden und deren Besitz in der Zeit des Kommunismus enteignet wurde, für nicht mehr einklagbar erklärt.

Die konservative polnische Regierung argumentiert, man wolle mit dem Gesetz für private Besitzer von Grundstücken und Häusern Rechtssicherheit schaffen. In der Abstimmung am Donnerstag über den Gesetzentwurf gab es keine Gegenstimmen, der Großteil der Oppositionsabgeordneten enthielt sich der Stimme.

Seit vielen Jahren versuchen jüdische Organisationen, Polen zur Rückgabe von konfisziertem Eigentum zu bewegen – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Mehrere polnische Regierungen verschiedener Couleur haben sich auch standhaft geweigert, Entschädigung für enteigneten Privatbesitz zu zahlen.

Jetzt hagelte es erneut scharfe Kritik. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, warf der Regierung in Warschau »vorsätzliche Obstruktion« vor. Mit dem Gesetz mache man es jüdischen Antragstellern oder deren Nachkommen unmöglich, geraubtes Eigentum zurückzuerhalten oder zumindest dafür entschädigt zu werden.

PRÄZENDENZFALL Das Gesetz sei ein Schlag ins Gesicht und ein »schrecklicher Präzedenzfall«. Er sei seit drei Jahrzehnten ein unerschütterlicher Anwalt Polens in Washington und anderswo, so Lauder, der seit der Wende 1989 Dollarbeträge in dreistelliger Millionenhöhe in Polen investiert hat.

Aber nun sei es genug, erklärte der WJC-Präsident am Freitag in einer Presseaussendung. »Dieser schamlose und völlig grundlose Akt des polnischen Parlaments lässt mich an meinem Engagement und auch an der Zukunft der amerikanisch-polnischen Beziehungen zweifeln. Es schmerzt mich, das so sagen zu müssen. Aber ich glaube, dass die Zeit gekommen ist, dass die internationale jüdische Gemeinschaft ihre Beziehung zur Regierung neu bewerten sollte.«

Warschau verhalte sich »unvorstellbar gefühllos« und stelle sich so in »die schlimmsten Traditionen der polnischen Geschichte«, kritisierte Lauder. Es sei nun an der Zeit, Polen ebenso zu behandeln, wie das Land polnische Juden und deren Nachkommen behandle», sagte der WJC-Präsident.

BEZIEHUNGEN Die israelische Regierung fand ebenfalls deutliche Worte. Außenminister Yair Lapid erklärte, sollte sich Polen den Schoa-Überlebenden gegenüber nicht anständig verhalten, würden die Beziehungen des Landes zu Israel leiden. Und auch die US-Administration hält das Gesetz für falsch.

Bix Aliu, Geschäftsträger der amerikanischen Botschaft in Warschau, schrieb schon vor der Abstimmung einen Brief an Sejm-Präsidentin Elżbieta Witek, der der polnischen Presse zugespielt wurde. Darin argumentierte er, polnischen Holocaust-Überlebenden werde durch das Gesetz «irreparabler Schaden» zugefügt. Für die meisten Anspruchsteller, so der US-Diplomat weiter, mache das Gesetz das Einklagen von Eigentumsansprüchen künftig unmöglich.

Das polnische Außenministerium wies dies in einer Note zurück – und verwahrte sich gegen die Einmischung einer ausländischen Regierung. «Die Annahme der vorgeschlagenen Änderung sollte die Geltendmachung von einigen Ansprüchen ehemaliger Eigentümer oder deren Erben in Bezug auf vom polnischen Staat nach dem Zweiten Weltkrieg übernommene Immobilien beenden, deren Erwerb durch die Staatskasse durch Verwaltungsentscheide erfolgte, die unter grober Verletzung des damals geltenden Rechts erlassen wurden. Das bedeutet jedoch nicht, ihnen das Recht zu nehmen, vor einem gemeinsamen Gericht Schadensersatz zu verlangen», heißt es Presseberichten zufolge in der Note des Außenministeriums.

VORGESCHICHTE Vor drei Jahren war das Verhältnis zwischen Polen auf der einen und Israel sowie jüdischen Verbänden auf der anderen Seite bereits angespannt. Damals ging es um ein Gesetz, das Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren einführte für Personen, die Polen «faktenwidrig die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen» zuschreiben, «welche durch das Dritte Deutsche Reich begangen wurden.» Nach Protesten wurde das Gesetz später abgemildert.

Vor 1939 lebten in Polen mehr als drei Millionen Juden. Die meisten von ihnen wurden in den Ghettos, Todes- und Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet. Jüdische Eigentümer und ihre Nachkommen kämpfen seit dem Fall des Kommunismus im Jahr 1989 erfolglos um die Rückgabe ihres Eigentums durch Polen.

Berlin

Prozess um Attentat am Holocaust-Mahnmal fortgesetzt

Das überlebende Opfer, der 31-jährige spanische Tourist Iker M., wollte am Mittwoch persönlich vor dem Kammergericht aussagen

 03.12.2025

Sydney

Jüdische Organisationen prangern »Geißel« Antisemitismus an

Im Fokus steht dieses Mal Australien. Es ist Gastgeber einer Konferenz der internationalen jüdischen Initiative »J7«. Sie stellt Zahlen zu Judenhass auf dem Kontinent vor - und spricht von historischen Höchstständen

von Leticia Witte  02.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025

Dänemark

Männer sollen 760.000 Euro für die Hamas gesammelt haben

Am Dienstagmorgen nahm die Polizei einen 28-Jährigen fest. Sein mutmaßlicher Komplize sitzt bereits in U-Haft

 02.12.2025

Italien

Francesca Albanese und ihre »Mahnung« an die Presse

In Turin wurden die Redaktionsräume von »La Stampa« von Demonstranten verwüstet. Die Reaktion der UN-Sonderbeauftragten für die Palästinensergebiete verstörte viele

von Michael Thaidigsmann  02.12.2025

Jüdisches Leben im Libanon

Noch immer hat Beirut eine Synagoge, aber die Gläubigen nehmen ab

Einst war Libanon ihr Zufluchtsort, dann kam der Bürgerkrieg, und viele gingen. Doch nach wie vor gehören Juden zu den 18 anerkannten Religionsgruppen im Libanon - auch wenn nur noch wenige im Land leben

von Andrea Krogmann  02.12.2025

Bereit fürs ICZ-Präsidium: Noëmi van Gelder, Arthur Braunschweig und Edi Rosenstein (v.l.n.r.)

Interview

»Meinungsvielfalt gilt es auszuhalten« 

Am 8. Dezember wählt die Gemeindeversammlung der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ein neues Präsidium. Ein Gespräch mit den Kandidaten über Herausforderungen an die Gemeinde, Grabenkämpfe und Visionen

von Nicole Dreyfus  01.12.2025

Italien

Der Anti-Banksy

AleXsandro Palombo unterstützt mit seiner Kunst Israel, anstatt es zu verdammen

von Federica Matteoni  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025