Griechenland

Mit Blick auf die Akropolis

Rachel Kapons verlegerische und literarische Arbeit steht in einer direkten Beziehung zu ihrer religiösen Herkunft. Foto: Torsten Haselbauer

Griechenland

Mit Blick auf die Akropolis

Jüdische Schicksale wurden lange vergessen. Die Verlegerin Rachel Kapon will das ändern

von Torsten Haselbauer  19.12.2017 20:55 Uhr

Rachel Kapon ist die einzige jüdische Verlegerin in Griechenland. Zum Gespräch lädt sie in ihre kleine Buchhandlung im Souterrain eines Athener Mehrfamilienhauses ein. Sie nimmt sich viel Zeit dafür. Hier, im Stadtteil Kolonaki, lebt und arbeitet traditionell das Bürgertum der griechischen Hauptstadt. Der Blick auf die Akropolis ist inklusive. »Ein nach wie vor interessanter, schöner Ort für einen Buchladen und einen Verlag«, sagt Rachel Kapon.

Die Verlegerin wurde 1948 in der mittelgriechischen Stadt Larissa geboren, »in einem offenen und liberalen jüdischen Haushalt«, wie sie ausdrücklich betont. Kapons Mutter hatte sich während des Zweiten Weltkriegs den »Andartes«, den griechischen Partisanen, angeschlossen. Mit ihnen kämpfte sie gegen die deutschen Besatzer. Ihr Vater versteckte sich derweil in Athen. Fast alle Mitglieder der großen und weitläufigen Familie Kapon wurden von den deutschen Soldaten in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Bis zu Beginn der deutschen Besatzung 1941 lebten in Griechenland rund 80.000 Juden, die meisten von ihnen in der Hafenstadt Thessaloniki. Drei Jahre später waren es nur noch 1500. Heute leben in Griechenland rund 5000 Juden – 0,05 Prozent der Bevölkerung.

postkarten Die Bedeutung des jüdischen Erbes, das Schicksal der Jüdinnen und Juden, ist im Bewusstsein Griechenlands nur wenig verankert. Das ändert sich langsam, und Rachel Kapon leistet einen großen und wichtigen Beitrag dazu.

»Selbst ich musste mich unserer vielschichtigen jüdischen Geschichte erst wieder erinnern und sie mühsam recherchieren. Es war in Griechenland alles so tief verborgen oder vergessen«, klagt Rachel Kapon durchaus selbstkritisch. Dann steht sie auf, holt ein aufwendig gestaltetes, großformatiges Buch aus dem Regal und legt es auf den Tisch. Bilder der jüdischen Gemeinde in Saloniki 1897 bis 1917 lautet die Übersetzung des griechischen Titels.

Es bildete den Auftakt zu jener verlegerischen und literarischen Arbeit Rachel Kapons, die in einer direkten Beziehung zu ihrer religiösen Herkunft steht. 1993 hat sie das Buch in ihrem eigenen Verlag verlegt. Vassilis Vassilikos, einer der berühmtesten griechischen Autoren der Nachkriegszeit, schrieb das Vorwort zu der auf knapp 200 Hochglanzseiten präsentierten jüdischen Spurensuche in Thessaloniki. Ein schöner Nebeneffekt: Die Beschäftigung mit dem jüdischen Leben in Hellas zog Vassilikos damit und dank seines hohen literarischen Ansehens aus der tiefen gesellschaftlichen Versenkung.

sensation »Natürlich machte es mich stolz, mit diesem Buch ein wenig Wirbel ausgelöst zu haben. Es beendete die quasi totale Verdrängung der jüdischen Geschichte in unserem Land«, erinnert sich die 79 Jahre alte Intellektuelle an ihre erste kleine verlegerische Sensation.

Dabei präsentiert das Buch mithilfe von Postkarten und Fotos in Schwarz-Weiß »kaum mehr« als die jüdische Alltagsgeschichte in der nordgriechischen Hafenstadt – das jedoch überaus detailreich und über zwei ganze Jahrzehnte lang. Vieles ist dort zu entdecken, so zum Beispiel über die jüdische Musik, die traditionellen Trachten, den regen Handel oder über die Architektur der Gebäude im »Jerusalem des Balkans«, wie Thessaloniki in jener Zeit genannt wurde.

Rachel Kapon hatte 1966 in Athen begonnen, Architektur zu studieren. Der an der Universität erworbene feine Blick für das Gestalterische und das gute Design half ihr später bei der verlegerischen Karriere. Die aufwendige, stilsichere Produktion ihrer Bücher zeugt noch heute davon.

Nach der Universität folgte zunächst eine Anstellung als Schaufensterdekorateurin in einem Athener Kaufhaus. Dann zog es Kapon in einen renommierten Athener Verlag, »aus Liebe zum Buch«, wie sie sagt. Zudem entdeckte sie ihre eigene verlegerische Leidenschaft und gründete schließlich im Jahr 1982 den Verlag »Kapon Editions«.

öffentlichkeit Nach dem ersten Jahrzehnt mit einer vornehmlich auf Archäologie ausgerichteten Buchproduktion öffnete sich der Verlag zunehmend jüdischen Themen. Besser gesagt: Er schuf ihnen eine erste wahrnehmbare Öffentlichkeit in Griechenland. »Jüdische Literatur ist seitdem ein wichtiger Teil meiner verlegerischen Praxis«, unterstreicht Rachel Kapon. Sie betont jedoch ausdrücklich ihren pluralistischen Ansatz bei der Auswahl der Themen und Autoren.

Mehr als 600 Bücher wurden in »Kapon Editions« seit der Verlagsgründung vor 35 Jahren veröffentlicht. Rachel Kapon arbeitete dabei von Anfang an intensiv mit deutschen Verlagen zusammen und war auch 2017 wieder Gast auf der Frankfurter Buchmesse. Vor zwei Jahren brachte sie die Biografie Erinnerungen von Beate und Serge Klarsfeld in Griechenland heraus.

Damals kam das Ehepaar Klarsfeld persönlich in die Athener Buchhandlung von Rachel Kapon. Dort wurde das Buch erstmals der griechischen Öffentlichkeit präsentiert. Anschließend fand in der französischen Botschaft in Athen eine Lesung der Klarsfelds statt. »Jede Menge Aufmerksamkeit, denkt man und ist voller Hoffnung – verkauft habe ich von den Erinnerungen bis heute jedoch nur 400 Bücher«, beklagt die stolze Verlegerin die magere kommerzielle Realität.

Rachel Kapon spürt in der griechischen Leserschaft trotzdem ein gesteigertes Interesse an jüdischen Autoren und jüdischen Themen. Es werde mehr produziert und »hoffentlich auch verkauft«. Das sei »ein ermutigendes Zeichen«, sagt Kapon und freut sich darüber.

oberkantor Manche Autoren werden wiederentdeckt. Andere, wie die Athenerin Katerina Oikonomakoy, debütierte jüngst in Kapons Verlag mit einer Biografie über einen berühmten Sohn Thessalonikis, den langjährigen Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Estrongo Nachama, mit dem Titel Der Sänger von Auschwitz. Im nächsten Jahr soll das Zeugnis von Rosina Asser-Pardo erscheinen, die mit ihrer jüdischen Familie die deutsche Besatzung im Zentrum vom Thessaloniki überlebte.

Gleichzeitig jedoch verzeichnet Griechenland eine deutliche Zunahme von Antisemitismus. Die Neonazi-Partei »Goldene Morgenröte« (»Chrysi Avgi«), deren Anhänger den Holocaust leugnen, sitzt im griechischen Parlament. Massenmedien bedienen sich nicht selten antisemitischer Rhetorik. Jüdische Gedenkstätten werden offen angegriffen. Wie aber passt das alles zusammen?

Rachel Kapon denkt kurz nach. »Ich spüre nach wie vor gewisse Vorbehalte gegenüber meiner Vergangenheit und meiner Herkunft. Das war aber schon immer so in Griechenland«, erklärt sie ernst. Dass sich das endlich ändert, daran arbeitet Rachel Kapon unermüdlich.

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