Griechenland

Frau mit Auftrag

Pendelt zwischen Athen, Berlin, London und Los Angeles: Anna (eigentlich Hannah) Rezan Foto: Wassilis Aswestopoulos

Griechenland

Frau mit Auftrag

Die Schauspielerin Anna Rezan interviewt Überlebende, um über die Schoa aufzuklären

von Wassilis Aswestopoulos  07.11.2016 21:22 Uhr

Hannah Rezan Kritseli, bekannt als Anna Rezan, hat all das, wovon ihre überwiegend arbeitslosen Altersgenossen im Krisenland träumen. Seit ihrem 13. Lebensjahr steht die Griechin vor der Kamera, sie modelt und singt. Bereits während ihrer Schulzeit begann sie, auch journalistisch zu arbeiten.

Ihr Schauspieltalent brachte der heute 23-Jährigen eine Hauptrolle in Asteris Koutoulas’ Kinodrama über das Leben des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis, Dance Fight Love Die, aber auch eine Rolle in der amerikanischen Serie Good Wife. Außerdem spielte sie neben Roberto Benigni in dem Experimentalfilm La Commedia di Amos Poe.

Die selbstbewusste Jüdin lebt und arbeitet zwischen Athen, Berlin, London und Los Angeles. Trotzdem findet sie Zeit für eigene Filmprojekte. So dreht sie für einen amerikanischen Fernsehsender eine Dokumentarserie und führt Regie in einem eigenen Film über das Schicksal der griechischen Juden während der Schoa. Darin geht sie auch der Frage nach, warum es in manchen Gegenden des Landes unter den griechischen Juden kaum Opfer gab, während die Gemeinde von Thessaloniki im Holocaust fast vollständig ausgelöscht wurde.

Film Auf den Spuren der griechischen Juden reiste Rezan durch Griechenland, aber auch nach Auschwitz, wo sie zusammen mit ihrem Team längere Zeit verbrachte. Sie sprach mit Überlebenden und hörte außer den erschütternden Berichten auch Sätze, die ein Mensch nur schwerlich verarbeiten kann. So sagt einer ihrer Zeitzeugen im Film: »Wenn es Gott gibt und ich ihn sehe, dann möchte ich ihn anspucken.«

Rezan fragt sich: »Was kann ich einem Mann sagen, der von sadistischen Nazischergen gezwungen wurde, die vergasten Kinder und seine Frau in einen Ofen zu werfen?« Rezan glaubt nicht, dass die KZ-Wärter ihre Opfer als entmenschlichte Wesen ansahen. »Meine Zeitzeugen erklären, dass sie von den Deutschen erpresst wurden, indem diese ihnen mit Mord an Verwandten und Freunden drohten. Sie wurden über Gefühle erpresst. Also nahmen die Täter die Opfer bewusst als Individuen war.«

schule In Rezans Schulzeit kam die Schoa im Geschichtsunterricht so gut wie nicht vor. Auch die nahezu vollständige Auslöschung der riesigen jüdischen Gemeinde von Thessaloniki war kein Thema.

Mit Rezans wohlbehüteter Kindheit war es vorbei, als sie mit 17 zum ersten Mal Filmaufnahmen aus den Vernichtungslagern sah. »Ich stand unter Schock und wollte in die Berge flüchten«, erinnert sie sich. Antisemitismus seitens ihrer Mitschüler erlebten aber weder Rezan noch ihr Bruder. »Es gab immer mal Fragen, aber wir wurden nie schief angeschaut«, erinnert sie sich.

Ihre Großeltern lebten in Volos, einer Hafenstadt zwischen Athen und Thessaloniki. Hannah Rezan erinnert sich, dass ihr Großvater, ein Hispanojude, seinem Bruder Briefe auf Ladino schrieb, aber mit griechischen Buchstaben.

Staunen Bei ihren Aufenthalten in den USA stößt die junge Frau immer wieder auf ungläubiges Staunen, wenn sie sich als jüdische Griechin vorstellt. Das verwundert sie. »Schließlich war die erste Übersetzung der Tora eine ins Griechische. Und auf der Insel Euböa gab es vor 2500 Jahren die erste Ansiedlung von Juden in Europa.« Dass etliche Amerikaner nicht wissen, dass es griechische Juden gibt und während der Schoa viele von ihnen ermordet wurden, regt Rezan auf.

Den Antisemitismus, der den Griechen oft vorgeworfen wird, führt sie vor allem auf Unwissenheit zurück. Schändungen von Synagogen und jüdischen Friedhöfen nimmt sie weniger als organisiertes Handeln war. »Das sind Taten von Einzelnen«, sagt sie.

Wie aber steht es mit der Verantwortung der griechischen Mitbürger in der Nazizeit? »Sie wussten lange nicht, was geschah«, meint Rezan. »Wenn mir selbst jüdische Zeitzeugen und meine Großeltern erklärten, dass sie erst dann Verdacht schöpften, als lange Zeit nach der vermeintlichen ›Umsiedlung‹ immer noch keine Briefe kamen – wie sollen dann die nichtjüdischen Griechen etwas vom Holocaust geahnt haben?«

unterstützer Es besteht in ihren Augen ein Unterschied zwischen den Menschen, die sich vor 1933 nationalsozialistischen Parteien anschlossen, und denen, die heute Rechtsextreme unterstützen, mit dem Wissen der Folgen nationalsozialistischer Politik. Mit ihrem filmischen Werk möchte sie aufklären. Dafür fand sie etliche Unterstützer. Zwar fördert der griechische Staat ihr Projekt nicht, es helfen ihr aber viele nichtjüdische Griechen, Auslandsgriechen und Amerikaner. Und das jüdische Museum in Athen stellt ihr Material zur Verfügung.

Das Allroundtalent Rezan sieht sich nicht als heldenhafte Einzelkämpferin, sondern als von ihren Mitstreitern und Freunden unterstützte Initiatorin einer Aufgabe, die sie selbst persönlich betrifft. »Ich glaube an die Liebe«, sagt sie. »›Liebe ist die größte Kraft der Welt‹ – das ist der Slogan, mit dem ich durchs Leben gehe.« Mit dieser Einstellung hofft sie, die psychische Belastung, die ihr die Beschäftigung mit der Schoa bereitet, zu überwinden.

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