Frankreich

Ein Ort für »J’accuse«

Blick in die neue Ausstellung im Maison Zola Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Im einstigen Landhaus des Schriftstellers Émile Zola hat vor einigen Wochen das Musée Dreyfus eröffnet – zur Erinnerung an den Justizskandal um den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus. Zola, Autor populärer gesellschaftskritischer Romane, hatte in der Dreyfus-Affäre eine Schlüsselrolle eingenommen. Er überschrieb am 13. Januar 1898 einen offenen Brief an den französischen Präsidenten mit der Schlagzeile »J’accuse« – Ich klage an!

Der jüdische Hauptmann Alfred Dreyfus hatte vor einer großen militärischen Karriere gestanden. Zwar gab es bereits mehr als 300 jüdische Offiziere im Dienst der französischen Armee, doch der im Elsass gebürtige Dreyfus war der erste Jude, der es bis in den Generalstab geschafft hatte.

hochverrat Doch kaum ein Jahr nach seiner Berufung wurde er im Oktober 1894 des Hochverrats beschuldigt. Er soll für das Deutsche Reich spioniert haben, hieß es. In einem nur drei Tage währenden Prozess vor dem Kriegsgericht erfolgte trotz mangelnder Beweise die Verurteilung zu lebenslanger Haft und Verbannung.

Der Justizskandal wurde von Beginn an von der Pariser Presse verfolgt. Die liberalen Zeitungen beschuldigten die Regierung, die Aufklärung zu verschleppen, weil Dreyfus Jude sei. Für die nationalistische und katholische Presse gab es an der Schuld des Hauptmanns nichts zu zweifeln. Juden, schrieb etwa »La Croix«, sind ein Krebsgeschwür, das Frankreich in die Sklaverei führe, und Dreyfus, so die Zeitung »La Libre Parole«, sei als Elsässer zudem ein Deutscher, der schon deshalb die Franzosen hassen müsse. Die Fronten in dieser Affäre waren damit abgesteckt: Auf der einen Seite stand das liberale Bürgertum, auf der anderen das Militär, die Klerikalen und Nationalisten.

Die Fronten in dieser Affäre waren abgesteckt: Auf der einen Seite stand das liberale Bürgertum, auf der anderen das Militär, die Klerikalen und Nationalisten.

»Justizirrtum« gegen »Hochverrat« – 1896 erfolgte schließlich eine erneute Untersuchung des Falls, und der Umgang mit deren Ergebnis sollte die Republik grundlegend verändern. Es stelle sich heraus, dass die dürftigen Beweise gefälscht waren und der wahre Schuldige ein adliger Major war. Doch der Generalstab rückte nicht von seiner Entscheidung ab, Dreyfus blieb in Haft.

»Generalprobe« Für Hannah Arendt war die Dreyfus-Affäre die »Generalprobe« für alle großen historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Mit ihr bildete sich die gesellschaftliche Frontstellung für die zukünftigen Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen heraus – zumal auch die jüdische Gemeinde seinerzeit gespalten war in jene, die für die Gleichheit vor dem Gesetz eintraten, und jene, die meist der gleichen Gesellschaftsschicht wie Dreyfus selbst angehörten und es überwiegend ablehnten, dass sich, wie Hannah Arendt zusammenfasst, »ihre Haltung auf die Solidarität der gemeinsamen Abstammung zurückführen ließe«.

Das kürzlich im Beisein von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris eröffnete Musée Dreyfus möchte nicht nur ein Ort der Erinnerung sein, sondern will auch der Mahnung an die zukünftige Generation dienen. Auf Veranlassung von Pierre Bergé, dem 2017 verstorbenen Lebensgefährten des Modeschöpfers Yves Saint Laurent, fand es nach einer zehnjährigen Planungs- und Umbauphase seinen Platz im einstigen Landhaus von Émile Zola im Pariser Vorort Médan.

Das Maison Zola ist seit 1984 Gedenkort für den Schriftsteller, die Erweiterung der Ausstellung um mehr als 500 Dokumente über die Dreyfus-Affäre wurde neben der Zuwendung der Stiftung Yves Saint Laurent von der Fondation pour la Mémoire de la Shoah und der interministeriellen Delegation für den Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und den Hass gegen LGBT unterstützt.

Louis Gautier, Vorsitzender des Vereins Maison Zola − Musée Dreyfus, sagte der Zeitung »Le Parisien«, die Ausstellung wende sich vor allem auch an Schulklassen und deren Fragen nach »Antisemitismus, Rassismus und Exklusion, der Funktion der Justiz, der Rolle der Medien und der sozialen Netzwerke sowie dem Platz der Intellektuellen in der Demokratie«.

Stockholm

Wirtschaftsnobelpreis geht auch an jüdischen Ökonom

Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt werden für ihre Forschung zu nachhaltigem Wachstum geehrt

 13.10.2025

Kommentar

Kein Wunder in Bern

Bei gewaltbereiten Demonstrationen in der Schweizer Bundeshauptstadt hat sich ein Teil der Palästina-Solidarität einmal mehr selbst entlarvt: Es ging nie darum, das Leid im Gazastreifen zu beenden oder einen angeblichen Genozid zu stoppen

 12.10.2025

Malibu

Kiss-Sänger Gene Simmons bei Unfall verletzt

Der 76-Jährige soll hinter dem Steuer das Bewusstsein verloren haben

 10.10.2025

Meinung

Außen hui, innen pfui: Trumps Umgang mit den Juden

Während sich der US-Präsident um die Juden in Israel verdient macht, leidet die jüdische Gemeinschaft im eigenen Land unter seiner autoritären Innenpolitik. Das sollte bei aller Euphorie über den Gaza-Deal nicht vergessen werden

von Joshua Schultheis  09.10.2025

Literatur

Nobelpreis für Literatur geht an László Krasznahorkai

Die Literaturwelt blickt erneut gebannt nach Stockholm. Dort entscheidet man sich diesmal für einen großen Schriftsteller aus Ungarn - und bleibt einem Muster der vergangenen Jahre treu

von Steffen Trumpf  09.10.2025

Italien

»Mein Sohn will nicht mehr Levy heißen«

Wie ist es in diesen Tagen, Jude in einer europäischen Metropole zu sein? Ein Besuch bei Künstler Gabriele Levy im jüdischen Viertel von Rom

von Nina Schmedding  06.10.2025

Großbritannien

Empörung über Israels Einladung an Rechtsextremisten

Jüdische Verbände und Kommentatoren in Großbritannien sind entsetzt, dass Diasporaminister Chikli und Knesset-Sprecher Ohana ausgerechnet nach dem Anschlag von Manchester einen rechten Agitatoren hofieren

von Michael Thaidigsmann  06.10.2025

Türkei

»Zionist«: Robbie-Williams-Konzert in Istanbul am 7. Oktober abgesagt

Die Stadt verweist auf Sicherheitsbedenken – zuvor gab es online massive Proteste wegen jüdischer Familienbezüge des Musikers

 05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025