USA

»Don’t dream it, be it!«

Die Mutter aller Kultfilme wird 50: die Rocky Horror Picture Show. Und während Produzenten, Schauspieler, Kinosäle und der Zeitgeist auf die eine oder andere Weise den Löffel abgeben, findet dieses Meisterwerk der schrillen Unterhaltung über die Generationen hinweg seine Fans. Ein halbes Jahrhundert später hat es die längste Kinolaufzeit der Filmgeschichte.

Denn die fröhlich anzügliche, »transsexuell-transsilvanische« Kreuzung aus Frankenstein und Der Zauberer von Oz aus einer Zeit, als die sexuelle Emanzipation von der Hetero-Norm noch ein Traum war, wird bis heute in Mitternachts-Screenings gefeiert, neu verfilmt, in Videospiele verwandelt und weltweit regelmäßig für die Theaterbühne inszeniert.

Da kommt die Geschichte über ein spießiges All-American-Pärchen, das in einer regnerischen Nacht mit dem Wagen liegen bleibt und ausgerechnet bei Dr. Frank N. Furter ans spätgotische Schlossportal klopft, um in eine albern-grausame Orgie zu stolpern, ursprünglich her. Seit 1973 war Jim Shermans Stück im Londoner Westend zu sehen. Dort hatten die jüdischen Produzenten Lou Adler und Michael White es wohl entdeckt und sich zügig mit dem Hollywoodstudio RKO an die Arbeit gemacht.

»Die Fans bieten eine bessere Show als alles, was auf der Leinwand zu sehen ist.«

Filmkritiker Roger Ebert

»Don’t dream it, be it!« – Lebe deinen Traum! Die sexuelle Fluidität in dieser Punkrock-Oper vom wahnsinnigen Wissenschaftler, der den perfekten Liebhaber schafft, seiner glitzernden Gefolgschaft und den unerwarteten Besuchern war prophetisch, an der Kinokasse allerdings zuerst ein Reinfall. Dem Publikum war es offensichtlich zu viel Sex und Lärm. Der Film wurde abgesetzt.

Doch schließlich, so die Legende, hatte ein Studiomanager die Weitsicht, ihm als Mitternachts-Screening eine zweite Chance zu geben. In New York kam es dann zu ersten Rocky Horror Picture Show-Happenings: Die Zuschauer kamen immer wieder, fingen an, sich wie die Filmfiguren zu verkleiden, und antworteten lauthals auf das Filmgeschehen. Später kamen das Werfen von Reis und Wasserpistolen-Gefechte hinzu. Die Filmvorstellungen wurden in den 80er-Jahren zum landes- und bald weltweiten Kult, der alle Erwartungen sprengte.

Die Fans bieten die beste Show

Es sei weniger ein Film als vielmehr »ein langjähriges gesellschaftliches Phänomen«, brachte es der gefeierte Film­kritiker Roger Ebert damals auf den Punkt. »Die Fans bieten eine bessere Show als alles, was auf der Leinwand zu sehen ist.« Die Erfindung der Interaktivität im Kinosaal ist definitiv der Hauptgrund für die Langlebigkeit.

Die spiegelt sich übrigens auch in der jüdischen Gemeinschaft wider, wo es unter anderem eigene Purim-Versionen gibt. Denn, wie der »Forward« treffend bemerkte, finden sich immer wieder auch sehr jüdische Momente in der Rocky Horror Picture Show. So wird eine Rede vom Pailletten-Hohepriester Dr. Frank N. Furter, in der er sich für seine vortrefflich gut gebaute Golem-artige Kreatur Rocky Horror selbst lobt, auf und vor der Leinwand von chaotischem Lärm begleitet – erzeugt von Ratschen. Er müsste nur noch »Haman« brüllen, und es wäre wie Purim.

Kein Wunder also, dass so manche jüdische Gemeinde, vor allem in den USA, den Film gleich vereinnahmt hat, zum Beispiel zum »Rockin’ Hora Purimshpiel«. Und er hat es auch später ins Jahr geschafft: Von den Parodie-Rockern Shlomones stammt der »Rocky Hora Chanukah Song«. Bei den Charakteren wiederum könnte man sich durchaus die (zunächst) brave Janet Weiss als jüdische Prinzessin vorstellen.

Frank N. Furter müsste nur noch »Haman« brüllen, und es wäre wie Purim.

Ganz andere Anklänge hat dagegen Dr. Frank N. Furters Labor-Outfit, ein Kittel mit rosa Dreieck, das an die Stigmatisierung von Homosexuellen in den Konzentrationslagern der Nazis erinnert. Eine ähnlich historisch-politische Anmutung ist die, dass Furters Erzfeind Dr. von Scott, der nicht nur das Ufo finden will, mit dem die »Aliens«, die er so sehr hasst, gekommen sind, ein Alt-Nazi sei, was wiederum als Referenz an Dr. Seltsam aus Stanley Kubricks Klassiker Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben verstanden werden kann.

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Natürlich wurde die Rocky Horror Picture Show auch bei Mitternachts-Screenings in Israel gefeiert. In Tel Aviv standen die verkleideten Fans damals vor dem legendären Paris Cinema an der Hayarkon-Straße Schlange, gegenüber vom Dan-Hotel. Das Kino gibt es schon lange nicht mehr.

Singen, Zwischenrufen und »Time Warp«-Tanzen

Aber 2022 kam dann erstmals die Theaterfassung ins Heilige Land, die im Charles Bronfman Auditorium neben dem Habima-Theater gleich mehrere Aufführungen erlebte. Zuschauer, die alt genug waren, bemängelten zwar, dass sie sich plötzlich in einem Meer aus Mobiltelefon-Lichtern wiederfanden, während Janet und Brad auf der Bühne nach dem Haustelefon fragten. Aber das Singen, Zwischenrufen und »Time Warp«-Tanzen war immerhin gleich geblieben – ganz im Einklang mit der in Israel so beliebten 80er-Jahre-Nostalgie.

Am Schönsten ist aber vielleicht doch eine kleine Szene von Riff-Raff und dem tumben Brad: »Iss diesen Bagel!«, sagt Furters Vasall. »Ich bin nicht jüdisch«, antwortet Brad. Und später wird Riff-Raff dann erklären: »Jeder Mensch hat kleine Unvollkommenheiten.« Wem das nicht reicht: Irgendwie klingt die Rocky Horror Picture Show-Hymne »Don’t dream it, be it!« doch auch ein bisschen nach Theodor Herzl.

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