10. September 1952

Der steinige Weg zum Luxemburger Abkommen

Am Morgen des 10. September 1952 wurde im kleinen Empfangssaal des Luxemburger Stadthauses das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen von Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem israelischen Außenminister Moshe Sharett unterzeichnet. Foto: picture-alliance / dpa

Der Widerstand war heftig. »Was sollen unsere ermordeten Großeltern pro Stück kosten?«, riefen Demonstranten in Israel. Arabische Staaten drohten mit Sanktionen. Und Gegner in Deutschland wiesen auf die hohen Kosten hin, die das im Krieg zerstörte Land nicht schultern könne. Doch die Befürworter einer »Wiedergutmachung« nationalsozialistischen Unrechts, allen voran Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), ließen sich davon nicht beirren und setzten vor 70 Jahren das Luxemburger Abkommen durch.

»Die Bedeutung des Abkommen ist kaum zu überschätzen«, bilanziert der Leiter des Nahost-Referats im Auswärtigen Amt in Berlin, Ulrich Ernst, heute im Rückblick. »Es war der Türöffner für die deutsch-israelischen Beziehungen.«

Milliarden Adenauer und Israels Außenminister Mosche Scharett unterschrieben den Vertrag am 10. September 1952 im Rathaus von Luxemburg nach monatelangen Verhandlungen im niederländischen Wassenaar bei Den Haag. Die Bundesrepublik verpflichtete sich darin zu Leistungen im Wert von 3,5 Milliarden D-Mark. Im Laufe von zwölf Jahren lieferte sie Schiffe, Lokomotiven oder Eisenbahn-Waggons sowie Fabrikmaschinen an Israel. Nur sieben Jahre nach den Verbrechen des Holocaust mit sechs Millionen jüdischen Opfern gingen Deutschland und der jüdische Staat damit wieder aufeinander zu.

»Für die Israelis, die gerade erst ihren Unabhängigkeitskrieg mit einiger Mühe gewonnen hatten, war es wichtig, dass Gelder und Güter von den Tätern flossen«, erläutert Ernst. »Sie brauchten sie für die Industrialisierung des Landes, aber auch für ihre Verteidigungsfähigkeit.« Doch bis das Abkommen stand, war es ein steiniger Weg.

Adenauers Haltung war Anfang der 1950er-Jahre alles andere als selbstverständlich.

Denn Adenauers Haltung war Anfang der 1950er-Jahre alles andere als selbstverständlich. Bei einer Umfrage waren damals 96 Prozent der Westdeutschen der Meinung, Anspruch auf Hilfe hätten vor allem Kriegswitwen und Waisen. 90 Prozent nannten Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten und nur 68 Prozent die Juden.

Auch in Israel gab es Vorbehalte. So stilisierte der konservative Oppositionspolitiker und spätere Ministerpräsident Menachem Begin Deutschland zum biblischen Erzfeind, mit dem auf keinen Fall verhandelt werden könne. Die Mörder wollten sich durch »Blutgeld« von ihrer Schuld loskaufen, hieß es. Doch Israel, von den Arabern bedrängt, und wirtschaftlich zeitweise kurz vor dem Ruin, brauchte dringend Hilfe von außen, zumal viele Zuwanderer ins Land drängten.

Diplomatie So kam die Geheimdiplomatie zum Zuge: Der jüdische SPD-Bundestagsabgeordnete Jakob Altmaier fädelte ein erstes Treffen zwischen Adenauer und einem Vertreter Israels in Paris ein. Daraufhin bekannte sich der Kanzler vor dem Bundestag erstmals zur Verantwortung Deutschlands für die NS-Verbrechen und sprach von der Pflicht zur Wiedergutmachung.

»Für ihn war klar, dass der Weg für Deutschland zurück zu einer legitimen Rolle in der internationalen Politik nur offen sein würde, wenn man sich mit Israel einigen würde«, sagt Ernst. Der Historiker und Buchautor Michael Borchard von der Konrad-Adenauer-Stiftung betont zudem, dass Adenauer immer auch moralisch-religiöse Motive gehabt habe. »Adenauer hatte zum Judentum sehr intensive Kontakte, auch in seiner Zeit als Oberbürgermeister von Köln.«

In Israel sorgte Ministerpräsident David Ben-Gurion für den notwendigen Rückhalt für die Verhandlungen

In Israel sorgte derweil Ministerpräsident David Ben-Gurion von der Arbeiterpartei für den notwendigen Rückhalt für die Verhandlungen, an denen auch die »Jewish Claims Conference« als Vertretung der außerhalb Israels lebenden Juden beteiligt war. An den Zahlungen zur Wiedergutmachung sollte ursprünglich auch Ostdeutschland mit einem Drittel beteiligt werden. Doch die DDR winkte ab. Ihre soziale Revolution habe den Faschismus an der Wurzel gepackt und beseitigt und damit die nationale Schande aufgelöst, hieß es dort.

So schloss die Bundesrepublik das Luxemburger Abkommen allein. Es wurde am 18. März 1953 vom Bundestag verabschiedet. Die oppositionelle SPD stimmte als einzige Partei geschlossen dafür, nahm dabei aber die Distanz zu einem großen Teil ihrer Wähler in Kauf. Aus seiner eigenen Fraktion erhielt Adenauer nur 84 von 146 möglichen Ja-Stimmen, aus der FDP nur 17 von 49.

Kosten Bedenken kamen vor allem aus der Wirtschaft, denn die Bundesrepublik hatte sich zeitgleich zur Rückzahlung deutscher Auslandsschulden von rund 14,5 Milliarden Mark verpflichtet. Außerdem musste sie die Kosten für die Wiederbewaffnung von etwa 13 Milliarden Mark tragen. Hinzu kam die Eingliederung von etwa zehn Millionen Flüchtlingen. Und das bei einem Jahresetat von rund 27,85 Milliarden Mark.

Das zwischenstaatliche Luxemburger Abkommen brachte auch Gesetze für die individuelle Entschädigung von Opfern des NS-Regimes voran. Bis Ende 2021 zahlte die Bundesrepublik insgesamt 80,526 Milliarden Euro an Holocaust-Überlebende. Natürlich habe es immer wieder Rückschläge gegeben, sagt Ulrich Ernst vom Auswärtigen Amt. Dennoch sei im Laufe der Jahrzehnte enormes Vertrauen zwischen beiden Ländern gewachsen. Heute gelte Deutschland in Israel als zweitwichtigster Partner nach den USA: »Es ist auf jeden Fall eine Erfolgsgeschichte.«

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