Ungarn

Das Erbe retten

Auf der Suche nach verschollenen Gräbern: Einsatz eines Bodenradars in Pilisvörösvár Foto: György Szabó

Ungarn

Das Erbe retten

Eine öffentliche Stiftung hilft dabei, die rund 1500 jüdischen Friedhöfe im Land zu sanieren

von György Polgár  03.06.2021 08:32 Uhr

Von den geschätzten 1500 jüdischen Friedhöfen in Ungarn sind rund 1400 in einem desaströsen Zustand. Die meisten liegen in Ortschaften, in denen wegen der Schoa und wegen Abwanderungen heute keine oder nur noch sehr wenige Juden leben. Während der 40 Jahre Sozialismus ließ man die Ruhestätten verfallen.

Sie sind teilweise im Besitz der jeweiligen Kommunen, teilweise gehören sie dem Verband der Ungarischen Jüdischen Gemeinden. Beiden fehlen jedoch die Fördermittel, sich um die verwahrlosten Gräber angemessen kümmern zu können. Die Öffentliche Stiftung des Jüdischen Erbes in Ungarn hat sich nun der Friedhöfe angenommen und finanziert die Sanierung von so vielen wie möglich.

pflege Dazu müssen sich die Eigentümer nicht nur mit einem Konzept bewerben, sondern verpflichten sich, die sorgsame Pflege in den nächsten zehn Jahren mit eigenem Budget zu übernehmen. Die Anträge werden von einem Fachkomitee bearbeitet, Zusagen erteilt das Kuratorium der Stiftung. Dieses besteht aus Vertretern jüdischer Gemeinden in Ungarn und dem Ausland, verschiedener Organisationen der Zivilgesellschaft, der reformierten und der katholischen Kirche sowie der World Jewish Restitution Organization (WJRO).

Während der ersten Phase, die vor etwa einem Jahr abgeschlossen wurde, hat die Stiftung 700.000 Euro an staatlicher Un­terstützung verteilen können. Damit konnten 54 Friedhöfe in Ordnung gebracht werden. Für die in diesem Jahr angefangene zweite Etappe stehen 800.000 Euro zur Verfügung. Davon werden weitere 47 Friedhöfe saniert.

Während der 40 Jahre Sozialismus ließ man die Ruhestätten verfallen.

»Das ist nicht besonders viel«, gesteht György Szabó, der Vorsitzende des Kuratoriums. »In diesem Tempo wird es wohl 50 Jahre dauern, bis wir alles erledigt haben. Doch zumindest tut sich jetzt etwas, und wir sind sehr stolz auf das bisher Erreichte. Wir bekommen auch sehr viel Zustimmung von Lokalpolitikern und Bürgern«, fügt er hinzu.

territorium Die Arbeit ist nicht einfach, da oft nicht einmal die Zäune der Friedhöfe erhalten geblieben sind – das heißt, man weiß nicht genau, wo früher die Grenzen verliefen. Häufig haben die benachbarten Grundstücksbesitzer ihr Territorium zulasten der Friedhöfe illegal vergrößert. Die meisten Flächen wurden von der Natur vereinnahmt, sind voller Gestrüpp und Unkraut. Viele Grabsteine sind umgefallen, beschädigt oder gar im Boden versunken. Oftmals kennt man nicht einmal die Standorte einzelner Gräber.

Um Klarheit zu schaffen, wird ein hochmoderner Bodenradar eingesetzt. Dieser dringt bis in eine Tiefe von 15 Metern durch und kann dort Gegenstände mit einer Genauigkeit von zwei Zentimetern erfassen. Das Gerät verfügt über ein GPS, das die Positionen der generierten 3D-Bilder dann sofort auf Google Maps übermittelt.

Priorität bekommen Friedhöfe, die aus religiöser oder kultureller Sicht besonders wichtig sind.

Priorität bekommen Friedhöfe, die aus religiöser oder kultureller Sicht besonders wichtig sind. Zuerst werden neue Zäune errichtet, oder man repariert die alten. Danach wird nach Grabsteinen gesucht, die dann gereinigt und wiederaufgestellt werden.

insel Da im Laufe der Jahrzehnte viele Gehwege verlegt wurden, wird unter ihnen nach verschollenen Gräbern geforscht. Szabó ist auf den Alten Friedhof in Tokaj besonders stolz, der nordostungarischen Stadt, aus der auch der weltbekannte Wein herkommt. Der Friedhof liegt an einem besonderen Ort, auf einer Insel im Flüsschen Bodrog.

Am Eingang können die Besucher mit ihren NFC-fähigen Smartphones Wissenswertes über die sanierten Gräber erfahren sowie Informationen über die Geschichte des örtlichen Judentums und der Siedlung abrufen. Dazu müssen sie ihr Telefon nur kurz an den entsprechend gekennzeichneten Punkt halten. Dieser Service steht zurzeit nur auf Ungarisch zur Verfügung. Demnächst sollen englische und hebräische Erklärungen hinzukommen.

Die Corona-Pandemie hat glücklicherweise keinen Einfluss auf das Projekt. Die körperlichen Arbeiten geschehen im Freien, wo mit Einhaltung der üblichen Hygienemaßnahmen sicher gearbeitet werden kann. Zu Arbeitsbesprechungen treffen sich die Mitarbeiter im virtuellen Raum. »Die Entscheidungen fallen jetzt sogar schneller«, sagt Szabó und lächelt. »Irgendwie sind die Zoom-Konferenzen kürzer und effizienter.«

Kommentar

Müssen immer erst Juden sterben?

Der Anschlag von Sydney sollte auch für Deutschland ein Weckruf sein. Wer weiter zulässt, dass auf Straßen und Plätzen zur globalen Intifada aufgerufen wird, sollte sich nicht wundern, wenn der Terror auch zu uns kommt

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025

Meinung

Blut statt Licht

Das Abwarten, Abwiegeln, das Aber, mit dem die westlichen Gesellschaften auf den rasenden Antisemitismus reagieren, machen das nächste Massaker nur zu einer Frage der Zeit. Nun war es also wieder so weit

von Sophie Albers Ben Chamo  14.12.2025 Aktualisiert

Anschlag in Sydney

Felix Klein: »Von Terror und Hass nicht einschüchtern lassen«

Zwei Männer töten und verletzen in Sydney zahlreiche Teilnehmer einer Chanukka-Feier. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung äußert sich zu der Tat

 14.12.2025

Terror in Sydney

Zivilist entwaffnet Angreifer und wird als »Held« gefeiert

Zwei Männer schießen auf Teilnehmer einer Chanukka-Feier in Sydney: Es gibt Tote und Verletzte. Ein Video soll nun den mutigen Einsatz eines Passanten zeigen

 14.12.2025

Australien

Merz: »Angriff auf unsere gemeinsamen Werte«

Bei einem Anschlag auf eine Chanukka-Feier in der australischen Metropole gab es viele Tote und Verletzte. Der Bundeskanzler und die Minister Wadephul und Prien äußern sich zu der Tat

 14.12.2025 Aktualisiert

Terror in Sydney

Zentralrat der Juden: »In Gedanken bei den Betroffenen«

Der Zentralrat der Juden und weitere jüdische Organisationen aus Deutschland äußern sich zu dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney

 14.12.2025 Aktualisiert

Australien

16 Tote bei antisemitischem Massaker in Sydney

Australien ist im Schockzustand: Zwei Attentäter schossen am Sonntag auf Juden, die sich in Bondi Beach zu einer Chanukka-Feier versammelt hatten

von Michael Thaidigsmann  14.12.2025 Aktualisiert

Australien

Judenfeindlicher Terroranschlag in Sydney: Zwei Personen in Polizeigewahrsam

Die Polizei ruft nach dem Angriff in Sydney dazu auf, das Gebiet des Angriffs weiter zu meiden. Der Einsatz dauere an

 14.12.2025

Terror

Medienberichte: Terroranschlag in Australien bei Chanukka-Feier

Die Polizei warnt vor einem »sich entwickelnden Vorfall« am Bondi Beach. Ersten Berichten zufolge soll das Ziel ein Chanukka-Fest gewesen sein. Australische Medien berichten von mehreren Opfern

von Denise Sternberg  14.12.2025 Aktualisiert