Europa

Auf diplomatischem Parkett

Spricht man von Diplomatie, ist das Wort »geheim« nie weit. Und fast wirkte der Weltgipfel des »Jewish Diplomatic Corps«, der vergangene Woche in Straßburg und Basel stattfand, wie eine Geheimsitzung: keine übliche Vorabmeldung, keine eigene Website.

Natürlich hätte jedes andere Diplomatentreffen ähnlich lautlos stattgefunden, aber dieses jüdische Diplomatenkorps besteht eigentlich gar nicht aus Diplomaten. Sondern es sind junge Juden, die für das Leadership-Programm des Jüdischen Weltkongresses (WJC) ausgewählt wurden. Sie werden eines Tages, geht es nach dem Willen von WJC-Präsident Ronald S. Lauder, die künftige Führungsriege der jüdischen Gemeinden und Verbände stellen.

Zusammenhalt Zu dem Treffen waren 160 Korpsmitglieder aus aller Welt angereist. Seit sieben Jahren gehört auch Michaela Fuhrmann, die Leiterin der politischen Abteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, zu diesem Kreis. Die Zusammenkunft diene sowohl als Lehrveranstaltung als auch zur Stärkung des nötigen weltweiten Zusammenhalts, denn, so Fuhrmann, »die globalen Herausforderungen an das Judentum sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden«.

Das bestätigt auch der JD Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). »Der Flüchtlingsstrom stellt uns vor ein Dilemma«, sagt er: »Einerseits sollten gerade wir Juden für Toleranz und Willkommenskultur eintreten, andererseits treibt uns die damit verbundene Sorge vor der Zunahme von Antisemitismus und dem radikalen Islam um.«

Bei einem Termin im Europarat in Straßburg stand neben der Meinungs- und der Religionsfreiheit auch die Frage der Sicherheit auf dem Programm. In der Schweiz etwa müsse Jonathan Kreutner die Behörden immer wieder darauf aufmerksam machen, dass Juden überdurchschnittlich gefährdet seien.

Von den Workshops, die auf dem Weltgipfel angeboten wurden, interessierte ihn vor allem einer über die höchste Kunst der Diplomatie: Wie »lobbyiert« man Regierungen? »Es ist schwieriger, jüdische Interessen zu verkaufen als ein Produkt«, resümiert Kreutner, »denn immer muss man auf Emotionen reagieren.« Aber wie?

Interessen Die Bedingungen, unter denen jüdische Interessen vertreten werden, unterscheiden sich von Land zu Land und von Person zu Person. Das weiß keiner besser als Maram Stern. Von Brüssel aus ist der stellvertretende Direktor für Diplomatie des WJC oberster europäischer Diplomat in jüdischer Sache.

Das bedeutet für ihn, seinen Gesprächspartnern in den unterschiedlichsten Regierungsstellen jedes Mal aufs Neue erklären zu müssen, dass Juden Menschen sind wie alle anderen, also auch Staatsbürger ihrer jeweiligen Länder. »Die Sorge um die Existenz Israels ist uns in der DNA mitgegeben, denn Israel ist eine Lebensversicherung, die wir brauchen. Aber es rangiert immer an zweiter Stelle«, sagt Maram Stern.

Zuerst müsse man sich mit den Widrigkeiten daheim auseinandersetzen, und die unterscheiden sich von Land zu Land erheblich. So sind die AfD oder der Front National (FN) strukturell nicht unbedingt vergleichbar. FN-Chefin Marine Le Pen hat in ihrem Stab auch jüdische Berater, bei der AfD hingegen herrsche offen antisemitisches Gedankengut, was an Tonfall und Vokabular ablesbar sei. Wie geht der Diplomat damit um? Man suche zu beiden keinen Kontakt, und wenn eine Anfrage kommt, erkläre man – ganz diplomatisch –, keine Zeit zu haben, verrät Stern.

Gleichmut Diplomatie ist kein Geschäft für Empfindliche. Und wie schwierig es ist, den Gleichmut zu wahren, müssen gerade die jungen Diplomaten immer wieder erfahren. Denn was in den sozialen Netzwerken verbreitet wird, verlangt nach einer Gegenrede. Doch wie soll man reagieren, ohne in einen Strudel von Hate- und Counterspeech zu geraten? Da ist vor allem die junge Generation gefragt, einen neuen Ton zu finden.

Und vielleicht könnte eine verstärkte Ausrichtung der jüdischen Interessenvertretung auf gesamtgesellschaftliche Belange einer anderen Gefahr vorbeugen, der die JDs ebenfalls ausgesetzt sind. Marc Pozniak, der Leiter des Leadership-Programms, erkennt durchaus, dass sich durch die strengen Auswahlkriterien eine Elite herausbildet, die schließlich einem Korpsgeist – oder wie er es ausdrückt: einem »Gruppendenken« – verfallen könnte. Dann bliebe genau das auf der Strecke, was eigentlich angestrebt wird: Vielfalt, Kreativität und Ideenreichtum.

Ein Mittel, einer Wagenburgmentalität entgegenzuwirken, ist das offene Eintreten für die liberale, weltoffene Gesellschaft, wenn möglich, zusammen mit geeigneten, auch nichtjüdischen Partnern – und am besten ohne Geheimdiplomatie.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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