Italien

Artiger Applaus

Manch jüdischer Vertreter blieb dem Synagogenbesuch des Papstes demonstrativ fern. Foto: dpa

Italien

Artiger Applaus

Der Papst besucht die Synagoge von Rom, und alle sind um Harmonie bemüht

von Gerhard Mumelter  21.01.2010 00:00 Uhr

Die eine steht am linken, die andere am rechten Ufer des Tibers: Kaum zwei Kilometer trennen den Petersdom von der römischen Synagoge. Doch die lächerlichen fünf Minuten, die der Konvoi des Papstes für die Fahrt vom Vatikan zur ältesten Synagoge Europas benötigte, haben mit der wirklichen Distanz zwischen den beiden Religionen wenig gemein.

Angesichts des delikaten Verhältnisses zwischen Juden und Katholiken standen am Sonntag beide Seiten unter Erfolgszwang. Ein Scheitern wollten Gastgeber und Besucher unter allen Umständen verhindern. Hunderte Kameras richteten sich auf Benedikt XVI., als er – fast ein Vierteljahrhundert nach dem historischen Besuch seines Vorgängers – im Ghetto eintraf, in das Papst Paul IV. die Juden 1555 verbannt hatte. Am grauen römischen Himmel kreisten Hubschrauber, Scharfschützen hatten auf den Dächern Stellung bezogen, Hunderte Polizisten überwachten das Geschehen und – ungewohnt genug – der verkehrsgeplagte Lungotevere war autofrei und menschenleer.

Benedikt legte zunächst am Gedenkstein für die 1943 von den Nazis deportierten Bewohner einen Kranz nieder. Nur 17 der 1.022 in die Vernichtungslager gebrachten Juden kehrten nach Kriegsende in die italienische Hauptstadt zurück. Sichtlich berührt ließ sich Joseph Ratzinger auf Deutsch vom Historiker Marcello Pezzetti Details erzählen. Dann unterhielt er sich mit einigen Überlebenden des palästinensischen Anschlags auf die Synagoge im Jahre 1982.

emotional Spannung und Neugier waren greifbar, als der Papst mit Oberrabbiner Riccardo di Segni die bis auf den letzten Platz gefüllte Synagoge betrat. Artiger Applaus begrüßte die beiden, die Stimmung schien freundlich. Die Vielfalt der Töne in der jüdischen Gemeinde ließ sich aus den Reden ihrer Vertreter ablesen: emotional und zu Tränen gerührt der Vorsitzende der römischen Gemeinde, Riccardo Pacifici. Amtlich und unaufdringlich der Präsident des Dachverbandes, Renzo Gattegna. Human und gelehrt Oberrabbiner Di Segni.

Die Aufmerksamkeit wuchs, als Pacifici den größten Stolperstein auf dem Weg der Verständigung ansprach: »Das Schweigen von Pius XII. zur Schoa schmerzt noch heute als Versäumnis. Vielleicht hätte er die Todeszüge nicht stoppen können, aber er hätte unseren Brüdern ein Signal, ein Wort des Trostes und der Solidarität sagen sollen, die in die Öfen von Auschwitz transportiert wurden.« Nur eine Öffnung der vatikanischen Archive ermögliche ein gemeinsames Urteil über den umstrittenen Papst, so Pacifici. Benedikt XVI. ließ sich zu keiner Abweichung vom vorgefertigten Manuskript bewegen. Die Vorwürfe gegen Pius XII. ließ er unerwidert, verteidigte die Kirche jedoch gegen die Anschuldigung, zum Judenmord geschwiegen zu haben. Der Vatikan habe – oft im Verborgenen – zahlreichen Verfolgten geholfen, und kirchliche Einrichtungen und Gläubige hätten häufig unter Lebensgefahr bedrohten Juden Schutz gewährt. Die von den Nationalsozialisten angestrebte Vernichtung des jüdischen Volkes sei »der Höhepunkt des Hasses, der entstehe, wenn der Mensch sich selbst in den Mittelpunkt der Welt stellt«. In seiner mehrmals durch Applaus unterbrochenen Rede, die er mit einer hebräischen Fürbitte abschloss, plädierte der Papst für eine Intensivierung der gegenseitigen Beziehungen.

Dafür machte sich auch Oberrabbiner Di Segni stark, der eine Standortbestimmung forderte: »Wir müssen uns offen fragen, wie es um unsere Brüderlichkeit steht und was wir tun müssen, um zu echter Brüderlichkeit und gegenseitigem Verständnis zu gelangen.«

geste Als Joseph Ratzinger sich beim Applaus für die anwesenden Schoa-Überlebenden von seinem Sitz erhob und in den Beifall einfiel, war das Eis endgültig gebrochen. »Eine Geste, die in die Geschichte eingeht«, freute sich Pacifici, der dem Gast hohes Lob zollte. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde hatte in seiner Rede auch die internen Polemiken um den umstrittenen Besuch angesprochen: »Wir haben Verständnis für jene, die heute abwesend sind«, erklärte er in Anspielung an Giuseppe Laras. Der Vorsitzende der italienischen Rabbinerkonferenz hatte in der Jüdischen Allgemeinen angekündigt, dem Papstbesuch fernzubleiben und damit in Italien ein gewaltiges Medienecho ausgelöst.

Zu den Dissidenten zählte auch der Auschwitz-Überlebende Piero Terracina, der eine Teilnahme ebenso ablehnte wie Angelo Sermoneta, Präsident der Vereinigung »Jahrgang 48« im römischen Ghetto.

Für die leidenschaftlichen Fußballfans unter den römischen Juden hatte die Begegnung Roma – Genua ohnedies höheren Stellenwert als das Geschehen in der nahen Synagoge, mit dem nach Überzeugung der Tageszeitung La Stampa »niemand zufrieden sein kann«.

skepsis In den teilweise hitzigen Diskussionen überwogen im Ghetto Skepsis und nüchterner Realismus. »Dieser Besuch wird am Verhältnis zur Kirche nichts ändern«, gab sich Alberto Zantolli überzeugt. Bei vielen löste der glatte 3:0-Erfolg des AC Roma ungleich größere Euphorie aus als der im Fernsehen live übertragene Papstbesuch.

Guido Vitale und sein kleines Redaktionsteam der jüdischen Zeitung »Pagine Ebraiche« hatten an diesem Abend für Fußball keine Zeit. Unmittelbar nach dem Ende des Besuchs produzierten sie im Eiltempo eine Sondernummer mit zehn Seiten zum Ereignis. Am Morgen hatten Vorsitzende, Ratsmitglieder und Rabbiner der jüdischen Gemeinden Italiens die Zeitung auf ihrem Frühstückstisch. »Wir haben ein kleines Wunder vollbracht«, freut sich Vitale. Im Leitartikel der Sonderausgabe schreibt die Historikerin Anna Foa: »Nach diesem Sonntag wird sich niemand mehr an die Polemiken erinnern.« Der Papst habe erstmals der Deportierten des Ghettos gedacht und sich zur Würdigung der Überlebenden von seinem Sitz erhoben. »Richten wir den Blick nach vorn, akzeptieren wir Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten. Liegt nicht darin der Sinn des Dialogs?«

Die Unbeugsamen im katholischen Lager versetzte der Papstbesuch jedoch in Alarmstimmung. Mit einer zeitgleich gefeierten lateinischen Messe leisteten 50 ultrakonservative Traditionalisten in Verona »Abbitte« für die »skandalöse Geste« Benedikts XVI. Der wegen Leugnung des Holocausts von der Pius-Bruderschaft ausgeschlossene Priester Floriano Abrahamowicz (»In meinen Adern fließt auch jüdisches Blut«) forderte in seiner Predigt, »die Bekehrung von Juden zu beschleunigen«. Den Papstbesuch wertete er als »Zeichen dafür, dass in diesen apokalytischen Zeiten der Glaube selbst von der Kirchenführung untergraben wird.«

Großbritannien

Nike hat es »nicht böse gemeint«

Der Sportartikel-Konzern hing zum London Marathon ein Banner auf, das aus Sicht von Kritikern die Schoa lächerlich gemacht hat. Jetzt hat sich das Unternehmen entschuldigt.

 29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Sport

Nach Anti-Israel-Eklat: Jetzt sprechen die Schweizer Fechter

Bei der Nachwuchs-EM der Fechterinnen und Fechter kommt es in Estland zu einer viel diskutierten Szene. Nun haben sich die verantwortlichen Schweizer erklärt

 28.04.2025

Fecht-EM

Schweizer Fechter schauen bei israelischer Hymne demonstrativ weg

Nachdem die U23-Mannschaft der Schweizer Fechter gegen Israel protestierte, äußert sich nun der Schweizer Fechtverband und verurteilt den Vorfall

von Nicole Dreyfus  28.04.2025

Großbritannien

Israelfeindliche Aktivisten stören London-Marathon

Mitten im London-Marathon kommt es zu einer Protestaktion gegen Israel. Zwei Aktivisten springen auf die Strecke und streuen rotes Pulver

 27.04.2025

Essay

Wir gehen nicht allein

Zum ersten Mal hat unsere Autorin mit dem »Marsch der Lebenden« das ehemalige KZ Auschwitz besucht. Ein Versuch, das Unvorstellbare in Worte zu fassen

von Sarah Maria Sander  27.04.2025

Frankreich

Serge Klarsfeld: »Wir müssen vorbereitet sein«

Der Holocaust-Überlebende und Nazi-Jäger hat in »Le Figaro« einen dringenden Appell veröffentlicht und erneut für rechte Parteien geworben. Das Judentum sei bedrohter denn je, glaubt er

 25.04.2025

USA

Sharon Osbourne vs. die Anti-Israel-Popkultur

Rock-Veteranin Sharon Osbourne hat sich mit dem irischen Rap-Trio Kneecap angelegt, das offensichtlich meint, mit Hassrede gegen Israel seine Fanbase vergrößern zu können

von Sophie Albers Ben Chamo  25.04.2025

KZ-Gedenkstätte Auschwitz

Israels Präsident Isaac Herzog und Eli Sharabi beim »Marsch der Lebenden«

Auf dem Weg von Auschwitz nach Birkenau sind diesmal auch ehemalige israelische Geiseln der Hamas dabei. Israels Präsident Herzog erinnerte an die weiterhin in Gaza gefangen gehaltenen israelischen Geiseln

 24.04.2025