»NoSafeSpaceForJewHate«

48 Stunden Sendepause

Schrieb einen offenen Brief an Twitter und Facebook: der britische Oberrabbiner Ephraim Mirvis Foto: imago/ZUMA Press

Emma Barnett ist eine der beliebtesten Radiomoderatorinnen der BBC. Jeden Morgen ist sie drei Stunden lang auf BBC Radio 5 Live auf Sendung. Bei Barnett können Hörer anrufen und ihre Meinung zu aktuellen Fragen kundtun.

An diesem Montag kehrte Barnett zurück aus dem Urlaub – und wurde in ihrer Anmoderation gleich ungewöhnlich persönlich.
Anlass waren Dutzende kruder antisemitischer Posts des bekannten britischen Rappers Wiley am Wochenende.

Auf Twitter hatte der in London geborene und aufgewachsene Sohn von Einwanderern aus Trinidad suggeriert, Juden beherrschten die Banken, die Polizei und überhaupt alles, was man so beherrschen kann. Fast eine halbe Million Follower hat der Rapper, der als Mitbegründer der Stilrichtung Grime gilt, auf Twitter.

POSTS Unter seinen Posts waren Sätze wie »Jüdische Menschen, ihr glaubt, ihr seid so wichtig, ich habe die Schnauze voll von euch«, »Jüdische Menschen sind rassistisch und verstecken sich«, »Schwarze Menschen rufen nicht die Polizei an, aber Juden schon, wenn Wiley seine Meinung sagt, F**** EUCH«.

»Hört sich an, als käme es direkt aus dem Hitlerschen Drehbuch von Nazi-Deutschland der 30er-Jahre«, entfuhr es Barnett. Ihre eigene Großmutter sei vor den Nazis aus Wiener Neustadt in Österreich nach Großbritannien geflüchtet und habe als Dienstmädchen eine Anstellung gefunden. Die Großmutter ihres Mannes habe Auschwitz überlebt; er selbst habe es bislang nicht übers Herz gebracht, das ehemalige NS-Vernichtungslager zu besuchen.

Für viele Juden sei es schockierend, mitanzusehen, dass selbst »im aufgeklärten Großbritannien von heute ein 41-jähriger Typ aus London an einem beliebigen Freitag einfach mal Juden anpöbelt«, sagte Barnett.
Auch Innenministerin Priti Patel zeigte sich schockiert und nannte die Tweets »widerlich«.

Plattform Empörung löste auch das zögerliche Verhalten von Twitter aus, denn es dauerte fast 48 Stunden, bis die Plattform die antisemitischen Beleidigungen Wileys löschte und dem Künstler eine siebentägige Sperre aufbrummte. Patel kündigte eine offizielle Untersuchung an.

Der Unmut in der jüdischen Gemeinschaft Großbritanniens und darüber hinaus war aber so groß, dass eine Initiative für einen zeitweisen Boykott der sozialen Netzwerke großen Zulauf erhielt. Unter dem Hashtag »NoSafeSpaceForJewHate« (»Kein Rückzugsort für Judenhass«) riefen jüdische Persönlichkeiten, darunter Großbritanniens Oberrabbiner Ephraim Mirvis und sein Vorgänger Jonathan Sacks, dazu auf, von Montag bis Mittwoch (9 Uhr) 48 Stunden lang alle Aktivitäten in den sozialen Netzwerken einzustellen.

Zu einer zweitägigen Sendepause verpflichteten sich nicht nur namhafte britische Juden, sondern auch Politiker wie Patel und zahlreiche Abgeordnete der Labour-Partei, Prominente wie der ehemalige Fußballstar Gary Lineker oder der Radiomoderator Maajid Nawaz, Verbände wie Greenpeace UK und kulturelle Einrichtungen wie das Londoner Royal Opera House.

Brief Oberrabbiner Mirvis veröffentlichte zudem einen offenen Brief an Twitter-CEO Jack Dorsey und Facebook-Chef Mark Zuckerberg. Darin warf er den beiden Topmanagern vor, sie hätten es zugelassen, dass ihre sozialen Netzwerke zu »Rückzugsorten für Hass und Vorurteile« verkommen seien. Mirvis sprach zudem von einem »beklagenswerten Mangel an Führungsverantwortung« in den Chefetagen der weltweit führenden Plattformen.

Zuckerbergs und Dorseys »Untätigkeit« im Kampf gegen »Hate Speech« komme einer »Mittäterschaft« gleich, donnerte Mirvis. Wenn die Meinungsfreiheit dazu missbraucht werde, zum Hass und zur Gewalt gegen andere aufzurufen, hätten die Anbieter sozialer Medien die Pflicht, einzuschreiten – »ohne jede Verzögerung«, schrieb Mirvis.

FRage Für Emma Barnett war ein anderer Aspekt der Affäre noch wichtiger. Sie beschäftigte die Frage, woher der von Wiley und anderen verbreitete Antisemitismus kommt, und ob man wohlhabende und von Beratern umgebene Menschen von derartigen Vorurteilen überhaupt befreien könne. Sie müsse Wiley leider enttäuschen, rief Barnett lakonisch: »Die Juden beherrschen nicht die Justiz, die Juden beherrschen nicht die Banken, die Juden beherrschen nicht die ganze Welt!«

Ob der Rapper ihr zugehört hat, ist nicht bekannt. Eine Woche lang darf er sich auf Twitter nicht mehr äußern. Noch mehr ärgern dürfte ihn, dass auch die Agentur A-List Management, die ihn lange Jahre betreute, den Vertrag mit ihm aufgekündigt hat. »Ich bin ein stolzer jüdischer Mann und zutiefst schockiert und traurig darüber, was er da gesagt hat,« erklärte deren Chef John Woolf. Das Verhalten Wileys sei einfach inakzeptabel.

München/Gent

Charlotte Knobloch spricht von »historischem Echo«

Nach der Ausladung des israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Musikfestival meldet sich Charlotte Knobloch mit deutlichen Worten

 11.09.2025

Italien

Jüdisches Touristen-Paar in Venedig attackiert

Die Täter schrien »Free Palestine«, bevor sie die Ehefrau mit einer Flasche attackierten und ihren Ehemann ohrfeigten

 11.09.2025

Georgien

Sicher und schön

Der Kaukasus-Staat pflegt Erbe und Zukunft der Juden. Und bietet atemberaubende Natur. Ein Besuch

von Michael Khachidze  11.09.2025

Belgien

Argerich, Maisky, Schiff empört über Gent-Festival

Bekannte jüdische und nichtjüdische Musiker haben eine Petition gestartet, um gegen die Ausladung der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani zu protestieren

 11.09.2025

Imanuels Interpreten (13)

Herb Alpert: Der Universalkünstler

Vom Trompeter zum Philantropen: Der Sohn jüdischer Einwanderer aus Kalifornien erreichte in den 90 Jahren seines bisherigen Lebens viel

von Imanuel Marcus  10.09.2025

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  10.09.2025 Aktualisiert

Südafrika

Unvergessliche Stimme

Die Schoa-Überlebende Ruth Weiss hat sich als Journalistin, Schriftstellerin und Kämpferin für Menschenrechte einen Namen gemacht. Sie wurde 101 Jahre alt. Ein Nachruf

von Katrin Richter  10.09.2025

Belgien

Aus der Straße des Antisemiten wird die Straße der Gerechten

In Brüssel gibt es jetzt eine Rue Andrée Geulen. Sie ist nach einer Frau benannt, die im 2. Weltkrieg mehr als 300 jüdische Kinder vor den deutschen Besatzern rettete. Doch bei der Einweihung herrschte nicht nur eitel Sonnenschein

von Michael Thaidigsmann  08.09.2025

Vuelta

Spanischer Radprofi Romo stürzt wegen Protestaktion

Die »propalästinensischen« Proteste bei der Spanien-Rundfahrt nehmen kein Ende. Auf der 15. Etappe ist es zu Stürzen gekommen

 07.09.2025