Bis heute wissen nicht viele Menschen in Deutschland von Carolins Schicksal. Ich erlaube mir daher, meine Tochter zunächst kurz vorzustellen.
Carolin ist am 28. Februar 2001 in Hannoversch Münden, im südlichsten Zipfel von Niedersachsen, geboren. Sie hatte zwei Halbschwestern, neun und 20 Jahre älter als sie. Sie war mein einziges Kind.
Carolin war sehr empathisch, offen für alles, vorurteilsfrei, wunderschön (ohne das selbst so zu sehen), intelligent (was sie nur einsetzte, wenn Themen sie interessierten), chaotisch (aber eher sympathisch chaotisch), und sie liebte es über alles zu reisen.
»Sie war mein einziges Kind«
Ein sehr guter Freund von ihr, der – wie sie seit Beginn des Studiums – in Berlin lebte, war britisch-israelischer Staatsbürger. Er hieß Danny Darlington. Die beiden hatten sich kurzfristig entschlossen, nach Israel zu fliegen. Sie waren erst ein paar Tage in Tel Aviv und dann im Kibbuz Nir Oz. Von dort kam Dannys Mutter. Sie hatten eine sehr schöne Zeit, Danny hatte im Kibbuz einige Freunde, Shahar Vahab hat die beiden häufig begleitet auf ihren diversen Ausflügen.
Für den Abend des 6. Oktober 2023 hatten sie eine Mitfahrgelegenheit nach Tel Aviv organisiert. Am 7. Oktober sollte der Flug zurück nach Berlin gehen. Aber sie entschieden sich dann doch, die Zeit in Nir Oz bis zur letzten Minute zu genießen, und änderten ihre Pläne. Es wurde eine Mitfahrgelegenheit für den 7. Oktober organisiert, die sie dann nicht mehr brauchten. Am Morgen wurden die beiden im Schutzraum des Hauses, in dem sie übernachtet hatten, von Hamas-Terroristen ermordet. Carolin ist die einzige deutsche Touristin, die an diesem Tag ums Leben kam.
Inneres Licht
Ich habe ein paar Sätze herausgesucht, die andere Menschen über Carolin sagen, Freunde von ihr, aber auch deren Eltern: »Caro hat von innen heraus geleuchtet.« »Nur wenige Menschen besitzen so ein inneres Licht!« »Wenn Carolin einen Raum betrat, ging die Sonne auf. Die riesigen blauen Augen, ihr gewinnendes Lächeln.« »Sie war bezaubernd liebenswert und unendlich freundlich.« »Sie war ein ganz besonderer Mensch. Caro hat uns immer zum Lachen gebracht und uns mit ihrer Lebendigkeit und Lebensfreude verzaubert.«
Und Danny über Carolin in einem Telefonat mit Shahar, als er deren Besuch im Kibbuz ankündigte: »Sie ist etwas Besonderes, du wirst es herausfinden.« Shahar, als er sie dann gesehen hat: »In einer Sekunde verstand ich, was Danny meinte. Carolins Lachen, selbst aus 100 Meter Entfernung, kann den Weg direkt zu jedem Herzen erhellen. Selbst die Sonne war geblendet von Carolins blondem Haar und ihrem Lachen.«
Dies war also meine Tochter, ich war so stolz auf sie und habe sie so sehr geliebt. Sie war mein Ein und Alles, und ich vermisse sie. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde meines Lebens.
Ich habe schon am 8. Oktober erfahren, dass sie tot ist, bin zusammengebrochen. Danach gab es nur eines für mich: Wenigstens ihr Körper soll zurückkommen. Dafür musste ich nur zehn Tage kämpfen. Ich konnte das Leid der Angehörigen der anderen Opfer so sehr verstehen, die Hunderte Tage dafür kämpfen mussten. Ich kann so sehr verstehen, wie wichtig das ist. Danach wollte ich es wissen: Warum? Was ist da passiert? Warum wurde meine Tochter mit 22 Jahren aus dem Leben gerissen? Warum wurden so viele andere wunderbare Menschen aus dem Leben gerissen, Danny mit 35 Jahren und viele andere.
Ihr Schicksal ist in Deutschland fast unbekannt.
Sonja Bohl-Dencker
Nach ein paar Wochen, als ich ein wenig aus der Schockstarre herauskam, fing ich an, mich zu informieren. Ich wusste sehr wenig über Israel, ein bisschen von dem, was deutsche Medien so berichten. Das reichte mir nicht mehr. In kleinen Schritten fing ich an, ganz langsam. Ich las Bücher, zunächst zur Entstehung von Israel, über die Hamas, zum Antisemitismus, zum heutigen Israel. Und ich hörte und schaute Nachrichten.
Und was musste ich erfahren? Dass es Menschen hier in Deutschland gibt, die die Mörder meiner Tochter feiern. Zum Großteil sind es Menschen, die sich noch nicht einmal die Mühe machen, sich ordentlich zu informieren, bevor sie Parolen schreien. Und noch unerträglicher ist das Wissen, dass dieser Jubel auch hier in Deutschland ungestraft geschehen darf und teilweise große Unterstützung erfährt, selbst von Menschen und Medien, von denen ich das nie erwartet hätte.
Ich bin am 6. Oktober 2024 das erste Mal in meinem Leben nach Israel geflogen, habe Dannys israelischen Teil der Familie kennengelernt und war in Nir Oz. Eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Carolin hat Nir Oz geliebt, und es ist mir ein großes Anliegen, den Kibbuz beim Wiederaufbau zu unterstützen. Es ist in Carolins Sinn. Im Juli dieses Jahres war ich daher erneut in Israel und habe zehn Tage in Nir Oz ein klein wenig beim Wiederaufbau geholfen. Der Aufenthalt, der Kontakt mit den Menschen, gerade auch dort vor Ort, helfen mir sehr.
Die Berichterstattung hier in Deutschland über den Konflikt, insbesondere auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, beobachte ich mit Sorge. Sie fördert aus meiner Sicht den immer weiter wachsenden Antisemitismus. Und hier in Deutschland bekommt man für diese Berichterstattung sogar einen Preis. Es ist unfassbar.
»Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich aus Israel erfahre«
Neben dem Schmerz um den Verlust von Carolin muss ich dabei zusehen, wie in der deutschen Öffentlichkeit mit den Folgen der Massaker umgegangen wird. Täter-Opfer-Umkehr, fehlende Solidarität, Berichterstattung, die mich vor Entsetzen nicht zur Ruhe kommen lässt. Ich schäme mich für die Deutschen, die dabei mitmachen.
Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich aus Israel erfahre, aus der israelischen Botschaft, von den Menschen, die ich in Israel kenne, von den israelverbundenen Menschen hier in Deutschland. Von all denen erfahre ich die meiste Unterstützung, neben meiner Familie und meinen Freunden.
Ich möchte etwas tun gegen den Wahnsinn, der hier in Deutschland herrscht, weiß aber noch nicht, was. Falls Sie eine Idee haben, bitte gern.