Entlassungen

Von Krise zu Krise

Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara soll als Nächste gehen. Foto: Flash 90

Die Anschuldigungen fliegen dieser Tage hin und her. Für Premierminister Benjamin Netanjahu sind die Entscheidungen der vergangenen Tage eine logische Konsequenz aus dem Scheitern vor und während des 7. Oktober, für seine Kritiker ist es eine Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und sogar der Anfang vom Ende der israelischen Demokratie.

Nachdem Netanjahu dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, das Vertrauen abgesprochen hatte und dessen Entlassung angekündigt worden war, stimmten die Minister nun einstimmig dafür, ihn mit Wirkung zum 10. April zu entlassen. Die Oberste Richterin Gila Canfy-Steinitz entschied daraufhin, die Amtsenthebung vorerst auszusetzen, um Petitionen anzuhören. Anschließend erklärten mehrere Minister, die Regierung werde diese ignorieren, und machten klar: »Bars Rauswurf ist wirksam.«

Zudem hat nun auch das Verfahren zur Absetzung der Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara begonnen. Am vergangenen Sonntag votierte das Kabinett einstimmig für einen Misstrauensantrag gegen die Generalstaatsanwältin. Justizminister Yariv Levin (Likud) erklärte, der Schritt sei auf Baharav-Miaras »unangemessenes Verhalten« und die »substanziellen und anhaltenden Meinungsverschiedenheiten« zwischen ihr und der Regierung zurückzuführen.

Ende von Kontrolle und Gegenkontrolle

Die Generalstaatsanwältin entgegnete, die Regierung wolle sich offensichtlich über das Gesetz erheben und »ohne Kontrolle und Gegenkontrolle« agieren. Sie wies zudem darauf hin, dass die Generalstaatsanwaltschaft unter ihrer Leitung Hunderte von der Regierung eingebrachte Gesetze unterstützt sowie sie in mehr als 2000 Klagen vertreten habe – darunter auch bei umstrittenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Hamas.

Benny Begin, Sohn des legendären Gründers der Likud-Partei und ehemaligen Premierministers Menachem Begin, schrieb auf Facebook: »Dieser Schritt zeigt, dass diese Regierung nicht regieren, sondern herrschen will – ohne Grenzen und ohne Weisheit, ein neues und gefährliches Regime, dessen Name noch nicht bekannt ist, das aber keine Demokratie sein wird.« Auch die Oppositionsparteien kritisierten die Entscheidung der Koalition scharf.

In Jerusalem drückten am selben Tag Tausende Israelis ihren Unmut dagegen aus. Am Abend zuvor waren bereits landesweit rund 100.000 Menschen auf die Straße gegangen als Ausdruck der zunehmenden öffentlichen Opposition, unter anderem auch gegen die rasche Verabschiedung eines umstrittenen Gesetzesentwurfs zur Änderung des Prozederes, wie Israel seine Richter wählt. Ein weiteres Puzzleteil im wieder aufgenommenen Versuch einer Umstrukturierung des Justizwesens.

Erneuter Versuch einer Umstrukturierung des Justizwesens

Die aktuellen Proteste folgen auf fast zwei Jahre anhaltender Spannungen zwischen der rechtsreligiösen Regierung, die behauptet, die Justiz habe zu viel Macht, und deren Gegnern, die das Justizsystem als Kontrollorgan des fragilen israelischen Systems betrachten, nicht zuletzt deshalb, weil Israel keine schriftliche Verfassung hat.

Netanjahu und seine Verbündeten werfen dem eigenen Sicherheits- und Verteidigungsapparat außerdem vor, den Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 nicht erkannt und rechtzeitig verhindert zu haben. Der Premier wiederum wird beschuldigt, es zugelassen zu haben, dass die Hamas über Jahre hinweg stärker werden konnte, vor allem mithilfe der Unterstützung aus Katar. Der Aufstieg der Terrororganisation wurde zumindest teilweise durch katarische Gelder ermöglicht, die jahrelang in den Gazastreifen flossen.

»Dieser Schritt zeigt, dass diese Regierung nicht regieren, sondern herrschen will.«

benny begin

Die neue »Katargate«-Affäre hat sich aus Ermittlungen gegen Berater des Premiers ergeben. Der Vorwurf lautet, dass sie von Katar bezahlt wurden, während sie gleichzeitig Geiselverhandlungen führten und Zugang zu geheimen Kriegsinformationen hatten. Bislang gibt es zwei Hauptverdächtige, Yonatan Orich und Eli Feldstein, gegen weitere Personen wird ermittelt. Es geht um Bestechung, Kontakte mit ausländischen Agenten, Vertrauensbruch sowie Geldwäsche und Steuerdelikte.

Interessenkonflikt

Genau diese Untersuchungen seien ein Grund für einen Interessenkonflikt, meint Amichai Cohen, Experte für Recht und Sicherheit am Israel Democracy Institute. »Ein Interessenkonflikt ist definiert als eine Situation, in der ein Amtsträger ein persönliches Interesse hat, das die Erfüllung seiner öffentlichen Pflichten beeinträchtigen könnte. So ein Fall ist der, den der Schin Bet mit Genehmigung der Generalstaatsanwältin gerade im Büro des Premierministers untersucht.«

Darüber hinaus prüft der Inlandsgeheimdienst derzeit Vorwürfe einer möglichen Unterwanderung der Polizei durch rechtsradikale Elemente. Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, wird der politischen Einmischung verdächtigt. »Die Untersuchung erinnert an dunkle Zeiten, untergräbt die Grundlagen der Demokratie und zielt auf den Sturz einer rechtsgerichteten Regierung ab«, hieß es dazu aus dem Büro des Premiers. Und Ben-Gvir schimpft den Schin-Bet-Chef einen Lügner und Verbrecher, »der im Gefängnis sitzen sollte«. Ronen Bar sammle Informationen, »um einen Putsch zu inszenieren«. Bar konterte laut einem Bericht von Channel 12 mit den Worten: »Gestern haben Sie mich des Verrats beschuldigt, heute drohen Sie mir mit Gefängnis, morgen werden Sie mich hinrichten.«

Verfassungskrise im Anzug

Wie die Entscheidung, Bar zu entlassen, wird wahrscheinlich auch der Versuch, Baharav-Miara zu stürzen, vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden. Nach der Ankündigung der Minister, den Gerichtsbescheid zum Aussetzen von Bars Entlassung zu ignorieren, befürchten viele Israelis, dass auch ein Urteil im Fall der Generalstaatsanwältin von der Regierung missachtet werden könnte. Und dann steht Israel nicht mehr vor einer Verfassungskrise – dann steckt es mittendrin.

Schon mehrfach haben Arbeiter- und Angestelltenverbände in diesem Fall mit Generalstreik gedroht. Auch jetzt äußerten sich die Vorsitzenden des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes sowie des Business- und Hightech-Forums und forderten die Regierung auf, die Gerichte zu achten. Arnon Bar-David, Leiter der Histadrut, sagte: »Ich erwarte von der israelischen Regierung, dass sie jedes Gerichtsurteil respektiert und umsetzt, so wie sie dies auch von den Bürgern des Landes, den Gewerkschaften und anderen Organisationen erwartet. Der Staat Israel ist ein Rechtsstaat, und die Regierung steht nicht über dem Gesetz.«

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