Herr Shalicar, wie wirksam sind Israels Militärschläge gegen den Iran?
Ich denke, die Schläge sind sehr präzise und äußerst wirksam. Die Operation »Aufsteigender Löwe« dauert erst seit Freitag, und sie hat verschiedene Ziele. Das Hauptziel ist, die Atomwaffenentwicklung zu stoppen. Das Nuklearprogramm wurde bereits erheblich getroffen und geschwächt. Das zweite Ziel sind die ballistischen Raketen. Wir erleben erneut, wie der Iran mit diesen Waffen Israel immer wieder angreift. Das Regime hat diese Raketen nicht mit viel Zeit und Geld entwickelt, um das eigene Volk zu verteidigen, sondern um in der Region und auf der Welt für Angst und Schrecken zu sorgen. 2019 hat der Iran mit diesen Raketen auch Ziele in Saudi-Arabien angegriffen. Deshalb ist es unsere Absicht, die militärische Offensiv- und Defensivfähigkeit des Regimes zu treffen. Und das dritte Ziel sind die führenden Köpfe des Terrorregimes. Man kann sagen, dass dem Regime in den vergangenen Tagen sehr viele, sehr starke und wichtige Schläge zugefügt worden sind.
Ist der Iran dadurch erheblich geschwächt?
Der Iran ist nicht die Hamas oder Hisbollah, der Iran ist eine regionale Macht. Das Land ist knapp 70-mal so groß wie Israel. Es ist ein Land, das in den vergangenen 40 Jahren sehr viel daran gesetzt hat, anstatt der eigenen Bevölkerung Gutes zu tun, Energie und Geld in seine militärischen, terroristischen und nuklearen Fähigkeiten zu stecken und diese dann auch im gesamten Land zu streuen. Das zeigt – wenn man das alles zusammenzieht –, wie schwierig es ist, dort in kürzester Zeit wirklich den entsprechenden Erfolg zu haben. Das braucht Zeit. Und die Frage ist, ob das Mullah-Regime diesen ersten Schlag verkraften wird, ob es jetzt an den Tisch zu Verhandlungen mit den USA kommen wird oder ob es weiter auf Eskalation setzen will.
Wie stehen die Chancen dafür, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren?
Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage. Einerseits fühlen sich die Mullahs in ihrem Stolz verletzt. Seit 1979, seitdem sie an der Macht sind, wurden sie noch nie so stark und präzise angegriffen. Noch nicht einmal beim Angriff des Iraks 1980 und den darauffolgenden Kriegsjahren war dies der Fall, als in erster Linie Zivilisten in den Ballungszentren Opfer der Attacken wurden. Das war damals keine präzise Aktion wie die, die Israel jetzt durchführt. Und nun versteht das Terrorregime in Teheran, welche Fähigkeiten das kleine Israel hat. Sie nennen es den »kleinen Satan«, der »große Satan« ist für sie die USA. Und selbstverständlich haben sie jetzt auch die amerikanischen Streitkräfte in der Region im Blick. Sie wissen, dass ein falscher Schritt ihrerseits die Amerikaner mit ins Spiel bringen könnte. Und wenn die Machthaber in Teheran hier einen Fehler machen, dann könnte das das Ende dieses Regimes bedeuten.
Erhebt sich jetzt in dieser Situation das Volk gegen das Regime?
Es gibt zahlreiche Aufrufe zum Sturz des Regimes. Auch der Sohn des 1979 gestürzten Schahs von Persien, Reza Pahlavi, hat aus dem Exil dazu aufgerufen. Diese Appelle kommen von vielen Seiten – und natürlich auch insbesondere aus der iranischen Exilcommunity, wo man sich sagt, dass jetzt die Zeit reif ist. Es ist meiner Meinung nach noch zu früh, um wirklich abschließend sagen zu können, wohin die Reise führen wird. Ich denke, je länger dieser Kampfstatus aufrechterhalten bleibt und Israel dort präzise zuschlägt, desto mehr Iraner der verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen werden auf die Straße gehen. Das ist nur eine Frage der Zeit.
Was ist dazu von Ihren zahlreichen Kontakten im Iran zu hören und zu lesen?
Da wird gefeiert. Die Schläge gegen das iranische Militär werden bejubelt – und natürlich auch, dass führende Köpfe des Terrorregimes eliminiert wurden. Ich gehe davon aus, dass der Druck Israels in den nächsten Tagen anhält. Wenn sich das Mullah-Regime nicht den Forderungen der freien westlichen Welt beugt, dann wird der Druck Israels aufrechterhalten bleiben. Und es besteht die Möglichkeit, dass sich mehr Menschen trauen, auf die Straße zu gehen und die Zügel in die Hand zu nehmen. Das kann das Regime tatsächlich in ernsthafte Schwierigkeiten versetzen.
Was ist dem Angriff vorausgegangen?
Israel sieht sich durch das iranische Atomprogramm seit Jahren existenziell bedroht und betrachtet einen »Point of no return« als entscheidenden Moment zum Handeln. Diplomatische Bemühungen zur Lösung des Konflikts mit dem Iran sind immer wieder gescheitert, da Teheran wiederholt gelogen und betrogen hat. Selbst die Internationale Atomenergiebehörde hat inzwischen bestätigt, dass der Iran seine Verpflichtungen erneut nicht erfüllt hat. Diese Verstöße sind nicht nur in Jerusalem, sondern auch in Berlin, Paris und Washington bekannt. Besonders in den vergangenen Monaten haben die USA mehrfach direkte Gespräche mit dem Iran geführt, jedoch ohne Erfolg. Der Iran zeigte kein Interesse, seine atomaren Ambitionen aufzugeben. Die andauernde anti-israelische Rhetorik, die Vernichtungsdrohungen sowie die Entwicklung tödlicher Waffen gelten als Beleg für eine reale Gefahr. Wer denkt, dass das nur ein israelisches Problem ist, der täuscht sich. Man muss verstehen, dass der Iran hier in der Region der »Kopf der Schlange« ist, der verschiedene Terrorgruppierungen und -organisationen anführt. Das Mullah-Regime steht auch den Saudis und der pragmatischen arabischen Welt feindlich gegenüber. Es geht ja im Endeffekt auch um die Vormachtstellung in der islamischen Welt. Und nicht zuletzt: Sollte der Iran zur Atommacht werden, könnten andere Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien und Ägypten nachziehen, was einen nuklearen Rüstungswettlauf auslösen würde.
Wie verfolgen Sie derzeit ganz persönlich die Entwicklung?
Ich bin in einem persischsprachigen Haushalt aufgewachsen, habe iranische Familie und Freunde in der ganzen Welt. Daher beobachte ich die Entwicklung schon seit Jahrzehnten aus einem ganz besonderen Blickwinkel. Ich habe mir immer gewünscht, einmal den Geburtsort meiner Eltern besuchen zu können, aber spätestens seit meinem Dienst in der israelischen Armee ist es damit vorbei. Als Armeesprecher habe ich übrigens auch Stellungnahmen auf Persisch abgegeben. Jetzt bin ich nicht mehr in dieser Funktion, bin Militärsprecher in Reserve, äußere mich hier also als Privatperson. Ich habe immer verfolgt, was das Regime in Teheran seinem Volk antut und wie sich die Iraner dagegen wehren. Und natürlich wünschen sich viele dort und in der iranischen Community im Ausland, dass das Regime endlich fällt. Die Menschen im Iran haben es mehrfach versucht. Aus der Geschichte wissen wir, dass Diktaturen meist nur mit militärischer Macht zu Fall gebracht werden. Ich hoffe, dass es endlich so weit ist.
Mit dem israelisch-deutsch-persischen Publizisten sprach Detlef David Kauschke.
Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Armee (IDF) in Reserve und betreibt den Podcast »Nahost Pulverfass – Kriegsbericht aus Israel«.