Jerusalem

Mazzen als Mizwa

»Hoffe auf ein Wunder, aber verlass dich nicht auf eines«, lautet ein berühmtes Zitat aus dem Talmud. Zu den Wundern im Judentum gehören auch die Ereignisse der Pessachgeschichte. Das Fest erinnert an den Auszug der Israeliten aus Ägypten und ihre Befreiung aus der Sklaverei. Juden feiern diesen Moment der Freiheit, das »Fest der ungesäuerten Brote«, seit Jahrtausenden.

Eine der wichtigsten Pessach-Traditionen ist der Verzehr von traditionellen Mazzen, bei denen die Verwendung von Treibmitteln wie Hefe ein absolutes Tabu ist. Der Teig darf auf gar keinen Fall aufgehen. Dies erinnert an die überstürzte Flucht der Juden aus Ägypten, die keine Zeit hatten, den Brotteig säuern zu lassen. Um die heutige Herstellung des ungesäuerten Brotes ist mittlerweile eine riesige Industrie gewachsen. Vor allem in Jerusalem, wo die Produktion allerdings auch für Unmut sorgt.

Laut hebräischem Kalender wird Pessach vom 15. bis 21. Nissan – außerhalb Israels bis zum 22. – gefeiert und mit dem Sederabend am 14. eingeleitet. In dieser Zeit gilt Chametz-Verbot. Alle Speisen oder Getränke mit Getreidearten wie Weizen, Roggen, Gerste, Hafer oder Dinkel werden aus dem Haushalt verbannt.

Atmosphäre »Alles muss streng nach Vorschriften der Tora hergestellt werden«, sagt Nathan Erlanger aus Jerusalem. Er ist Rabbiner der Vizhnitzer-Bewegung und Schoa-Überlebender. »Mit handgemachter Mazze umgehen zu können, liegt nicht in der Stärke, sie zu kneten, sondern in der Kraft der einzelnen Seele«, sagt er.

Der inzwischen 87-Jährige kam 1949 nach Israel und wurde als Geistlicher in einer Jeschiwa ausgebildet. Vor den Pessach-Feiertagen überwacht er auch einige der nur zwei Monate aktiven Bäckereien im Jerusalemer Viertel Mea Shearim, wo die strenggläubigen Juden zu Hause sind. Die besondere Atmosphäre des Stadtteils ist überall auf den Straßen spürbar, so wie seine vor dem nahenden Feiertag unterschiedlich duftenden Aromen.

In den Stuben riecht es nach Holzfeuer und Schweiß, Männer kneten Fladen auf den Tischen.

Während einige religiöse Volontäre mit Schläfenlocken das Mehl mit der Hand bearbeiten, drehen andere die Schwungräder der Mühlen, die daraus Mehl machen. Auch das, was sie als »unser Wasser« für die Mazzen bezeichnen, pumpen sie am Tag vor dem Backen vor Sonnenuntergang aus einer geheimen Bergquelle außerhalb Jerusalems ab.

»Laut Halacha vergehen vom Mischen des Mehls und Wassers bis zum Ende des Backens der Mazze nicht mehr als 18 Minuten«, sagt Arik Geffen vom Institut für Politikforschung in Jerusalem (JIPR). »Sonst ist die Mazza kein ungesäuertes Brot mehr und für Pessach unbrauchbar.«

bäckereien Während sich berühmte Bäckereien wie Toldot Aharon und Yehuda Matzos auf handgemachte Mazzen spezialisiert haben – die zu den besten, aber auch teuersten gehören –, verwendeten strengere Kreise der ultraorthodoxen Gemeinschaft eher maschinell gebackene.

Auch wenn Tausende Anhänger aus dem ultraorthodoxen Bereich – wie Toldot Aharon oder Satmer – all die Jahre nur handgemachte Mazza aßen, »möchten einige Rabbiner, dass Mazzen maschinell hergestellt werden«, so Geffen. »Das Backen soll auf diese Weise schneller erfolgen, was die Wahrscheinlichkeit verringert, dass sie säuern.«

Während der traditionellen Backzeremonie verwenden sie auch einige moderne Hilfsmittel, wie eine Digitaluhr, die die genaue Zeit berechnet.
In den einzelnen Backstuben riecht es nach Holzfeuer und Schweiß, während mit Plastikschürzen umhüllte Männer, mit weiß gehäkelter Kippa auf dem Kopf, kleine dünne Teigfladen auf blank polierten Edelstahltischen kneten. Erst in den Morgenstunden vor dem Seder werden die letzten aus dem Holzofen geholt. Erhältlich sind diese eckigen und wie Brotscheiben dicken Mazzen landesweit in Supermärkten. Oft in besonderen Konditoreien, vor allem in Jerusalem.

Problem Dort zeichnet sich seit Jahrzehnten allerdings ein zunehmendes und ernsthaftes Problem ab: Gelegentlich arbeiten die Angestellten der Bäckereien von Mea Shearim illegal. Ohne Lizenz und Sicherheit, und auch die Ausstattung entspricht zuweilen nicht den Vorschriften. Diese Bäckereien sind in den ultraorthodoxen Vierteln überall verstreut: unter Wohnkomplexen, in Kellern von auseinanderfallenden Jeschiwa-Gebäuden sowie hinter Lagerhäusern.

»Wir haben Dutzende davon in der Stadt«, sagt Assaf Evers, Sprecher der Jerusalemer Feuerwehr. »Darüber hinaus richten sie oft schlimme Schäden an. Jedes Jahr gibt es dort vier bis fünf schwere Unfälle, wie Explosionen oder Rauchvergiftungen, und es kommt häufig zu Fingeramputationen und Verbrennungen.«

Evers erklärt zudem, dass es in diesen Einrichtungen auch an ausreichenden Sicherheitswarnungen fehle. Beim Betreten der Bäckereien vernehme man lediglich einen verkohlten Geruch, einen Holzstapel am Eingang und helles Neonlicht über der Tür. Der Grund für die große Anzahl dieser Bäckereien liegt in den unterschiedlichen Koschergesetzen der ultraorthodoxen Fraktionen.

»Jeder ultraorthodoxe Jude will seinen eigenen Mazze-Ofen«, erzählt Evers. »Doch diese Orte haben kaum Belüftungen, und die Menschen sind für die entsprechenden Notmaßnahmen nicht ausgebildet, auch wenn dort Feuerlöscher stehen.« Immerhin seien diese illegalen Bäckereien nur in den zwei Monaten um Pessach in Betrieb. Den Rest des Jahres bleiben sie laut Evers geschlossen.

Gelegentlich arbeiten die Angestellten auch illegal, ohne Lizenz.

Auch die Gesundheitsbehörde Jerusalems weiß von den illegalen Mazza-Bäckereien. Seit Jahren kämpft sie gegen die Institutionen. Doch für die Behörden ist es ein Problem, dass die Bäckereien nur zu Pessach geöffnet sind. Verantwortliche in so kurzer Zeit auszumachen, sei kein einfacher Prozess.

sorge Rabbi Nathan Erlanger versteht die Sorge der Beamten, betont aber auch: »Pessach gehört zu den Hochfesten im hebräischen Kalender.« Es sei daher eine Mizwa, Mazza herzustellen. Und: »Es ist das Fest der Freiheit«, betont der Rabbiner. Seit Jahrtausenden wird daran festgehalten. Sogar während der Schoa haben verfolgte Juden Pessach heimlich gefeiert. So auch Erlanger.

»Sich vor allem an Pessach zu erinnern, gab uns allen Hoffnung auf ein Wunder«, erzählt er. »Es erlaubte uns, die spirituelle Essenz zu behalten und sich nicht als Sklaven zu fühlen.« Selbst in Auschwitz ließ sich der heutige Rabbiner das Pessachfest nicht nehmen, der sich noch genau daran erinnert, wie er vor dem Seder Mehl aus den Lagerküchen entwendete.

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