Geisel in Gaza

»In der Hölle«

»Vom 7. Oktober an haben wir 55 Tage lang nichts von ihr gehört, bis im November einige der Geiseln freigelassen wurden«, sagt Yarden Gonen, eine der Schwestern von Romi Gonen, die seither in irgendeinem Tunnel-Verlies des palästinensischen Terrors festgehalten wird. »Sie sagten uns, sie hätten sie gesehen, sie sei am Leben. Einige Tage lang seien sie mit ihr zusammen gewesen. Diese Nachricht hat uns sehr glücklich gemacht.«

Die Gonens waren zusammen mit Angehörigen anderer Geiseln der Hamas ein paar Tage lang in Berlin – auf der Suche nach Hilfe. In der Bundesrepublik – dies weiß die Familie – liegt vielen Politikern das Schicksal der Geiseln am Herzen.

Sorgen über Romis gesundheitlichen Zustand machen sich Yarden und ihre Mutter Meirav Leshem Gonen natürlich – auch aufgrund einer Schusswunde am Arm, die Romi offenbar bei der Terrorattacke am 7. Oktober davongetragen hat. Sie soll »in irgendeiner Form« in Gaza operiert worden sein. Dennoch hatte sie eine Infektion an der Wunde.

Schlimme Alpträume

Die freigelassenen Zeugen erzählten der Familie Gonen auch, dass sich Romis Finger an einer Hand aufgrund der Infektion verfärbt hätten. Vor 56 Tagen, als die ehemaligen Geiseln von ihr berichteten, konnte sie diese Finger kaum noch bewegen.

Seither gab es keine neuen Informationen mehr. Auch für eine starke, grundsätzlich optimistische Familie ist dies besorgniserregend. Die Hoffnung von Romis Mutter und ihren Geschwistern stützt sich vor allem darauf, dass sie stark ist. »Sie wurde von der stärksten, besten Frau aufgezogen, nämlich von unserer Mutter«, sagt Yarden Gonen. »Ihr Überlebensinstinkt ist stark ausgeprägt.« Dennoch könne nicht einfach angenommen werden, dass es ihr gut gehe. »Sie ist zwar stark, aber wir wissen, wozu die Hamas fähig ist.«

»Frauen, die in Geiselhaft waren und dann im November freikamen, haben uns gesagt, dass Frauen, die weiterhin in Gaza festgehalten werden, die schlimmsten Alpträume der Welt durchmachen müssen und dass sie sich in der Hölle befinden«, sagt Meirav, die Mutter.

Mehrfach vergewaltigt

Eine weitere Sorge der Gonens: Schon bevor freigelassene Geiseln von sexuellem Missbrauch bis hin zur Vergewaltigung berichteten, war klar, dass auch diese Bedrohung bestand. »Wir haben gehört, dass sich einige der weiblichen Geiseln wie Puppen kleiden mussten und dass sie wie Sklavinnen behandelt wurden«, sagt Meirav Leshem Gonen. »Wir müssen annehmen, dass einige der Betroffenen, die mehrfach vergewaltigt wurden, schwanger sein könnten und entsprechende Nebenwirkungen verspüren.« Diese Frauen würden hoffentlich früh genug freigelassen, damit Abtreibungen noch möglich seien.

»Wir wollen, dass dieser Horror auch dargestellt wird«, macht die Mutter der Geisel klar. »Einen schönen Artikel brauchen wir nicht.« Sie weiß, was ihre Tochter Romi vermutlich durchmachen muss: »Als Geisel hast du nichts zu melden. Und rund um die Uhr beobachtet dich jemand – auch wenn du badest und auf die Toilette gehst. Es sind Männer, die junge Frauen anstarren.«

Yarden Gonen fügt hinzu: Eine Frau unter den ehemaligen Geiseln habe erklärt, dass sie ständig von einem Hamas-Mitglied beobachtet wurde. Es habe sich angefühlt, als vergewaltige er sie mit den Augen. »Der einzige Grund dafür, dass er sie nicht tatsächlich vergewaltigt hat, war die Ehefrau des Terroristen, die auf der anderen Seite der Tür stand.« Auch von Epilepsie spricht sie. Diese hätten einige der Geiseln aufgrund der Stresssituation entwickelt, in der sie sich konstant befänden.

Tänzerin und Kellnerin

Romi Gonen, die 23-jährige Geisel des palästinensischen Terrors, war immer eine fröhliche, positive Person – ebenso wie ihre Schwester Yarden. »Sie ist wie das Licht, eine glückliche, schöne junge Frau. Gerade war sie von einer Südamerika-Reise zurückgekehrt. Sie war in Brasilien, Peru und Kolumbien. Dann ging sie zum Nova-Festival, denn eine Tänzerin ist sie auch. Sie liebt diese Veranstaltungen der Liebe und Fröhlichkeit. Sie steht immer im Mittelpunkt und ist eine Art Führungspersönlichkeit.«

»Alle mögen sie. Dies spürt sie auch als Kellnerin. Einmal arbeitete sie am Tag vor ihrem Geburtstag – und Kunden, die dies mitbekommen hatten, mochten sie so sehr, dass einer von ihnen sein Mittagessen unterbrach, hinausging und das nächste Geschäft aufsuchte. Er kam mit einem Schokoladenkuchen zurück, mit Ballons, einem Schild mit der Aufschrift Happy Birthday und Kerzen. Und diese Leute hatten sie erst kurz zuvor kennengelernt.«

Romi Gonen hat im Gegensatz zu anderen Geiseln, deren Familien in der Bundesrepublik um Hilfe baten, keinen deutschen Pass. Ihre Mutter und Schwester kamen dennoch nach Berlin – mit Angehörigen von Geiseln, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft haben. »Ich habe mich so ermutigt gefühlt, als ich vor ein paar Wochen in Israel Bundestagspräsidentin Bärbel Bas getroffen habe. Sie kam damals zu einem Treffen unseres Frauenkomitees.«

Liebe und Kommunikation

Während des aktuellen Besuchs der Gonens in Berlin kam es zu diversen »geheimen Treffen« sowie einer Zusammenkunft mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie sagte zu, eine Dokumentation mit Textnachrichten der Besucher des Nova-Festivals, das damals von den Terroristen angegriffen wurden, bei vielen Gelegenheiten zu zeigen.

Die Sorge um Romi Gonen hat ihre Familie näher zusammengebracht. Die Eltern sind seit Jahren geschieden. Beide haben neue Lebenspartner. »Meine Eltern kommunizieren gut. Situationen wie diese meistert man am besten zusammen«, sagt Yarden Gonen. »Man muss in schlechten Zeiten einfach näher zusammen kommen. Wir machen das Beste daraus.«

Romi hat zwei Schwestern, darunter Yarden, zwei Brüder und eine große Patchwork-Familie, auf die sie sich verlassen kann. Stark sind sie alle. »Alle meine Kinder sind so«, versichert Meirav Leshem Gonen. «Wir kommunizieren viel. Wir reden darüber, was gut für uns ist. Die Situation ist sehr schwierig, aber wir glauben an die Liebe und an die Kommunikation. So sind wir.”

Keine Zeit mehr

Abgesehen von den Sorgen um Romi kommt bei den Gonens immer wieder Enttäuschung auf – auch in Zusammenhang mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK). »Ja, die Situation in Gaza ist kompliziert. Aber das IKRK arbeitet nicht, wie es sollte. In anderen Fällen kümmerte sich die Organisation um Geiseln, die von Terroristen festgehalten wurden, aber in diesem Fall passiert nichts«, sagt Yarden Gonen, die als Krankenschwester arbeitet. »Wo liegt der Unterschied? Dies interessiert mich auch aufgrund meines Berufes.«

Meirav Leshem Gonen und ihre Tochter Yarden wohnen in Tel Aviv. Die Mutter war eine der ersten, die im Zelt-Camp auf dem »Platz der Geiseln« lebte. Das Ziel der Angehörigen, die sich dort versammeln: Eine Rückkehr ihrer Liebsten aus Gaza. Sie wollen dafür sorgen, dass die Geiseln der Palästinenser nicht in Vergessenheit geraten. Die Reise der Gonens nach Deutschland, die noch vor Schabbat mit dem Rückflug nach Israel zu Ende ging, ist Teil dieser Bemühungen.

Die israelische Regierung, so glaubt die Familie, tut, was sie tun muss – indirekte Verhandlungen mit »problematischen Vermittlern« (Ministerpräsident Netanjahu) wie Katar inklusive. »Wir sind immer optimistisch«, so Meirav Leshem Gonen. »Wir wissen, dass es keine einfache Lösung gibt.« Auch sei aber klar, dass die Geiseln keine Zeit mehr hätten. Es müsse nun schnell gehen. »Wir hoffen, dass uns weder unsere Regierung, noch Ägypten oder Katar enttäuschen werden.«

Gut vorbereitet

Eines ist sicher: Die Goens sind gut vorbereitet – auf eine Rückkehr von Romi. »Gerade gestern haben wir darüber gesprochen«, erklärt Yarden Gonen. »Es ging auch darum, wer in der Familie wofür zuständig ist, wenn sie kommt.« Von Anfang an habe sie sich bereits die Rückkehr von Romi vorgestellt: »Von dem Moment an, in dem klar wurde, dass sie eine Geisel ist, stelle ich mir vor, wie wir uns wiedersehen, wie sie auf uns zu läuft und wie wir dann wahrscheinlich alle in Tränen ausbrechen und uns umarmen.«

Alle warten: ihre starke Mutter Meirav, ihre Schwester Yarden, die Krankenschwester ist, die anderen Geschwister, der Vater und der Rest der Großfamilie - mit unendlich viel Liebe. Jetzt muss sie nur noch freikommen.

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