Israel

Ex-Geisel fühlt sich »völlig im Stich gelassen«

Rom Braslavski am Tag seiner Freilassung Foto: GPO

Sein Aufschrei lässt kein Schweigen zu. Die ehemalige Geisel Rom Braslavski übt scharfe Kritik an dem Staat, in den er nach zwei Jahren in der Gewalt der Hamas in Gaza zurückgekehrt ist. Mit eindeutigen Worten klagt er an: »Ich fühle mich von allen Seiten im Stich gelassen.« Vor einem Monat war der 21-Jährige im Rahmen eines Waffenstillstands- und Geiselbefreiungsdeals zwischen Israel und der Hamas freigelassen worden.

In seinem emotionalen Facebook-Post fasst Braslavski seine Frustration in Worte und bezeichnet seine Rückkehr nach Israel »als alles andere als einen Neuanfang«. Er habe sich erlaubt, »zusammenzubrechen«. Weiter erklärt er: »Ich leide wirklich, vielleicht ist es mit bloßem Auge nicht sichtbar, aber ich leide unter unbeschreiblichen Schmerzen, weit über die Folgen eines Traumas hinaus.«  

»Ich habe etwa zehn Panikattacken pro Tag. Mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Stottern, Zittern und sogar Schreien und Gewaltausbrüchen«, weil er das Gefühl habe, seine Probleme würden von Amtsträgern völlig ignoriert. Weder Premierminister Benjamin Netanjahu noch Minister hätten seit seiner Rückkehr Kontakt zu ihm aufgenommen.

Regierungsbehörden würden sagen: »Es ist zu spät«

»Alle Regierungsbehörden haben mich völlig im Stich gelassen, ignorieren mich und sagen mir, es sei zu spät«, so der junge Mann. »Ich werde im Stich gelassen, in jeder Hinsicht, von jedem erdenklichen Beamten. Seit meiner Heimkehr ernte ich vom Staat nichts als Verachtung.«

Zu der staatlichen finanziellen Entschädigung äußert er sich ebenso unmissverständlich: »Es ist einfach nur eine Schande.« Er habe einen einmaligen Betrag in Höhe von 60.000 Schekeln erhalten (umgerechnet rund 15.000 Euro) und bekomme monatlich etwa 2.400 Euro überwiesen. Er stellte diese Summen den »Millionen« gegenüber, die von Menschen per Crowdfunding für die Geiseln gesammelt wurden, dankte den Spendern von Herzen und stellte klar: »Das sollte nicht die Aufgabe des Volkes sein. Es ist die des Staates.«

Der junge Israeli, der auch die deutsche Staatsangehörigkeit hält, wurde während des verheerenden Massakers der Hamas am 7. Oktober 2023 beim Nova-Musikfestival entführt, wo er als Sicherheitsmann arbeitete.

Während seiner Geiselhaft in den Händen des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) erlitt er, wie er später berichtete, schwere körperliche, psychische und religiöse Misshandlungen: Schläge, fast vollständiges Aushungern, erzwungene Isolation und wiederholte Versuche, ihn zum Übertritt zum Islam zu zwingen. Er berichtete auch, nackt ausgezogen, gefesselt und sexuell genötigt worden zu sein. Damit, sagte er, hätten ihn die Terroristen demütigen und seiner Würde berauben wollen.

Benny Gantz: »Wir brachten einen Gesetzesentwurf ein, der den Geiseln eine echte Chance auf Rehabilitation geben würde.«

Der Vorsitzende der Zentrumspartei Blau-Weiß, Benny Gantz, erklärte am Montag auf X, er habe Braslavskis Beitrag mehrmals lesen müssen, um zu glauben, was dort steht. »Nach der Hölle, die er durchgemacht hat, kommt er nach Hause und wird erneut vernachlässigt. Das ist nicht der Staat, in dem wir unsere Kinder großziehen wollen, das sind nicht die jüdischen Werte, für die wir seit Jahren eintreten.«

»Wir haben eine Regierung, die weder Scham noch Gnade kennt«, so seine harsche Kritik. Ganz fügte hinzu, dass seine Partei vor mehr als einem halben Jahr einen Gesetzentwurf eingebracht habe, der »unseren heimgekehrten Geiseln eine echte Chance auf Rehabilitation geben würde«.

Vertreter der Koalition äußerten sich bislang nicht zu den Aussagen der einstigen Geisel. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass sich die Regierung weigert, eine unabhängige Untersuchungskommission zuzulassen, die die Versäumnisse der Regierung vor dem und am 7. Oktober beleuchtet. Netanjahu kündigte an, dass die Koalition ihre eigene Kommission einrichten werde.

Geiseln werden als Symbole der Widerstandsfähigkeit gefeiert

Brazlavskis Beitrag sorgte in ganz Israel für Schock und Entsetzen. Viele Menschen äußerten Wut und Trauer und boten ihre Unterstützung an. Er selbst versichert seinen Unterstützern währenddessen, sich nicht zum Schweigen bringen zu lassen. »Ihr seid meine Stärke, ihr gebt mir die Kraft und den Antrieb, meinen Weg zurück ins Leben fortzusetzen«, richtet er sich an die israelischen Bürger. »Ich verspreche, dass mich nichts brechen wird. Ich liebe euch, Volk von Israel.«

Für einen Staat, der die freigelassenen Geiseln als Symbole der Widerstandsfähigkeit feiert, erlauben die ehrlichen Worte des jungen Israelis einen Blick auf die düsteren Seiten jenseits der großen Freude über ihre Befreiung. Zum einen verursacht durch das Trauma des unvorstellbaren Grauens, sich zwei Jahre lang in den Händen einer mörderischen Organisation zu befinden, und zum anderen durch die Schwierigkeiten, nach zwei Jahren in den Terrortunneln ins Leben zurückfinden zu müssen.

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