Interview

»Es hängt vom Vorschlag ab«

Gershon Baskin Foto: Flash 90

Herr Baskin, es wird erwartet, dass die US-Regierung ein endgültiges Angebot zum Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas vorlegen wird. Wie stehen die Chancen, dass beide Seiten diesen Vorschlag annehmen werden?
Das hängt davon, ob es sich um einen guten Vorschlag handelt oder nicht. Bis jetzt haben wir gesehen, dass die USA zusammen mit Katar und Ägypten über ein, wie ich meine, schlechtes Abkommen verhandelt haben. Es gab wenig Grund zu erwarten, dass es eine Einigung darüber geben würde. Ich nenne es ein schlechtes Abkommen, weil es über einen langen Zeitraum hinweg darum ging, dass der Krieg im Wesentlichen weitergehen und eine 42-tägige Waffenruhe herrschen würde und 32 israelische Geiseln freigelassen würden. Über das Schicksal der anderen Geiseln war jedoch nichts bekannt. Ich denke, wenn die Amerikaner ein Angebot auf den Tisch legen würden, das wesentlich besser auf die Bedürfnisse und Wünsche beider Seiten eingeht, hätten wir eine bessere Chance auf eine Einigung. Und hier spreche eher über die Wünsche des israelischen Volkes als die der Regierung Netanjahu: die Rückkehr aller 101 israelischen Geiseln. Das ist das Thema, bei dem die Öffentlichkeit auf die Straße gehen könnte, und zwar in noch größerem Ausmaß, als wir es in den vergangenen Tagen gesehen haben.

Was ist die derzeitige Position der Hamas?
Die Hamas, die sich in einer zunehmend geschwächten Position befindet, will vor allem das Ende des Krieges und den Rückzug Israels aus dem Gazastreifen sowie die Freilassung palästinensischer Gefangener. Israel ist sich bewusst, dass es einen hohen Preis für die Freilassung seiner Geiseln zahlen muss.

Wie hat sich die Situation nach der brutalen Exekution der sechs israelischen Geiseln verändert?
Nach den jüngsten Hinrichtungen israelischer Geiseln durch die Hamas wächst der Druck auf Israel, auf militärische Operationen zu verzichten, um weitere Tötungen zu vermeiden. Und die Hamas hat sehr deutlich gesagt, dass sich das, was an diesem Wochenende passiert ist, wiederholen wird. Ich denke also, dass wir auch bei den israelischen Operationen vor Ort eine Veränderung sehen werden.

Sie haben kürzlich aus einer Kommunikation mit einem Repräsentanten der Terrororganisation berichtet, der zufolge die Hamas bereit sei, einem Vorschlag zur Beendigung des Krieges zuzustimmen, wenn sich die israelische Armee aus dem Gazastreifen zurückzieht. Was ist neu an dieser Position?
Ich denke, es gibt Veränderungen. Beispielsweise hat die Hamas in den ersten zwei Monaten des Krieges davon gesprochen, dass alle palästinensischen Gegangenen im Austausch mit allen israelischen Geiseln freikommen müssten. Im Laufe der Zeit haben sie angedeutet, dass sie zu einem Kompromiss in dieser Frage bereit sind. Wir wissen nicht genau, was das bedeutet. Aber sie fordern nicht mehr alle palästinensischen Gefangenen in Israel. Und ich denke, was auch sehr unterschiedlich und offensichtlich ist, ist, dass die Hamas sehr schwer geschädigt ist. Sie hat nicht mehr die Infrastruktur, sie hat nicht mehr die militärischen Kräfte oder die Organisation, die sie früher hatte. Aber wir sollten ihre Fähigkeit, einen bewaffneten Aufstand zu führen und weiterhin jeden Tag israelische Soldaten zu töten, nicht unterschätzen.

Sie haben mehrfach eine Zukunft des Gazastreifens beschrieben, bei der die Hamas entmachtet und durch eine arabisch geführte Friedenstruppe abgelöst wird. Ist das nicht illusorisch, wenn man sich beispielsweise das Scheitern der UN-Resolution 1701 anschaut, die 2006 eine vergleichbare Entmachtung und Entwaffnung der Hisbollah im Libanon vorsah?
Ein zentrales Element des potenziellen Abkommens könnte die Stationierung einer arabisch geführten Friedenstruppe im Gazastreifen sein, die allerdings nur auf Einladung einer legitimen palästinensischen Regierung ohne Beteiligung der Hamas tätig werden könnte. Dies wäre ein entscheidender Unterschied zu früheren Vereinbarungen, wie der Resolution 1701 im Libanon, die auf eine Entwaffnung der Hisbollah abzielte. Es bleibt jedoch fraglich, ob eine solche Truppe in der Lage wäre, Hamas und den Islamischen Dschihad zu entwaffnen. Aber es gibt keine andere mögliche Lösung, die ich mir vorstellen kann, die uns auf dem Weg zu mehr Stabilität und Sicherheit weiterbringt.

Ihrer Meinung nach hätte der grausame Terrorangriff vom 7. Oktober nicht stattgefunden, wenn Israel seine Grenzen richtig geschützt hätte. Warum sollte Israel jetzt die Kontrolle über den strategisch sehr wichtigen Grenzabschnitt zwischen Gaza und Ägypten aufgeben?
Was ich seit sechs Monaten sage, ist, dass der Philadelphi-Korridor von ägyptischer Seite aus versiegelt werden muss. Er muss von den Vereinigten Staaten überwacht werden. Und Katar und die Amerikaner können Finanzen, Technologie und Know-how zur Verfügung stellen, um diese Grenze zu sichern. Aber Netanjahu bringt den Philadelphi-Korridor jetzt auf den Tisch, und es ist ganz klar, dass dies eine Taktik von ihm ist, um ein Abkommen zu verhindern.

Die aktuellen Demonstrationen in Israel fordern ein sofortiges Abkommen um jeden Preis. Jüngste Umfragen zeigen, dass 43 Prozent der Befragten diese Forderung unterstützen, 49 Prozent jedoch dagegen sind, 8 Prozent der Befragten haben keine Meinung. Wie schätzen Sie das ein?
Ich habe ein großes Misstrauen gegenüber Umfragen in Kriegszeiten. Menschen sind traumatisiert und reagieren auf die momentane Situation. Eines der Probleme bei diesen Fragen ist, wenn Sie zum Beispiel fragen, ob Sie glauben, dass Hamas-Chef Sinwar jemals zustimmen wird, alle Geiseln freizulassen? Ich bin mir sicher, dass 90 Prozent der Israelis sagen würden: Nein. Wenn das also die grundlegende Überzeugung der Öffentlichkeit ist, dann glaubt sie auch, dass der Krieg kein Ende hat. Und das ist einer der Gründe, warum Netanjahu unterstützt wird.

Und weiteren Umfragen zufolge nimmt diese Unterstützung weiter zu. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, Netanjahu hat auch wegen seiner Rede im Kongress einen Schub an Unterstützung bekommen. Aber ich denke auch, ein weiterer wichtiger Grund ist, dass wir in Israel keine wirksame Opposition haben. Gantz und Lapid bieten keine positive Alternative zu dem, was Netanjahu uns anbietet. Und das ist einer der Gründe, warum die aktuellen Umfragen darauf hindeuten, dass Netanjahus Basis, die er im Oktober verloren hatte, wieder an Unterstützung gewinnt. Er hatte laut Umfragen in Israel seit vielen, vielen Jahren mehr als die Hälfte seiner Basis verloren. Und seine Basis kommt zu ihm zurück, weil niemand eine Alternative anbietet.

Mit dem Publizisten und Nahost-Verhandler sprach Detlef David Kauschke. Gershon Baskin ist ehemaliger Berater der israelischen Regierung. Er vermittelte Gespräche mit der Terrororganisation Hamas, die 2011 zur Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit führten. Nach eigenen Angaben hat er weiterhin Kontakt zu führenden Hamas-Vertretern.

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